Evolution in Aktion: Neue Pflanzenart in den Schweizer Alpen
Bio-News vom 06.10.2020
space Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung Universität Zürich, Rita Ziegler, 06.10.2020 09:28 Die neue Pflanze Cardamine insueta tauchte im Urnerboden vor rund 150 Jahren auf, als sich die Schweizer Alpenregion vom Wald zum Grasland wandelte. Die neu entstandene Art aus der Gattung der Schaumkräuter konnte nur dank zwei vererbten Schlüsselmerkmalen der Elternpflanzen in einer ausgeprägten Umweltnische überleben, wie Forschungen der Universität Zürich zeigen.
Taucht eine neue Art auf, geschieht dies meist über lange Zeiträume. Das Beispiel der Pflanze Cardamine insueta zeigt allerdings, dass Evolution auch recht schnell erfolgen kann. Diese neue Art des Schaumkrautes, die 1972 erstmals beschrieben wurde, ist erst vor kurzem im Urnerboden, einem kleinen Alpendorf in der Zentralschweiz, entstanden. Sie hat sich erst in den letzten 150 Jahren aufgrund von Umweltveränderungen im umliegenden Tal entwickelt – als die Einheimischen den Wald rodeten, um Weideland zu gewinnen.
Publikation:
Jianqiang Sun*, Rie Shimizu-Inatsugi* et al.
*contributed equally
A Recently Formed Triploid Cardamine insueta Inherits Leaf Vivipary and Submergence Tolerance Traits of Parents
Frontiers in Genetics, 6 October 2020
DOI: 10.3389/fgene.2020.567262
Evolution in Aktion einer neuen Pflanzenart beobachten
„Cardamine insueta erweist sich als Ausnahmefall, weil wir die genetischen Merkmale und Umweltreaktionen einer neuen Art direkt analysieren können – Evolution in Aktion sozusagen. Dies ist auch das Hauptthema des entsprechenden universitären Forschungsschwerpunktprogramms der Universität“, sagt Rie Shimizu-Inatsugi vom Institut für Evolutionsbiologie und Umweltforschung der Universität Zürich (UZH). Zusammen mit weiteren Pflanzenbiologen gelang es ihr nun, die genetischen Mechanismen zu entschlüsseln, die der Evolution der Pflanze zugrunde liegen.
Die neue Pflanze entwickelte sich aus zwei Elternarten mit spezifischen ökologischen Lebensräumen: Während C. amara in und an Wasserläufen wächst, bewohnt C. rivularis leicht feuchte Standorte. Die Umnutzung von Wald in Grasland favorisierte die Hybridisierung der beiden Vorfahren, wodurch die neue Art entstand, die zwischen den elterlichen Lebensräumen mit temporär fluktuierendem Wasserstand zu finden ist. „Es ist die Kombination der genetischen Merkmale ihrer Eltern, die es der neuen Art ermöglichte, in einer bestimmten Umweltnische zu wachsen“, sagt Shimizu-Inatsugi. Tatsächlich erbte C. insueta einen Chromosomensatz von C. amara und zwei Chromosomensätze von C. rivularis. Sie enthält also drei Chromosomensätze, was sie zu einer so genannten triploiden Pflanze macht.
Zwei elterliche Schlüsselmerkmale ermöglichten das Überleben
Um die Reaktionen auf die veränderte Umgebung und das Verlaufsmuster der Genexpression der drei Spezies zu analysieren, verwendete das Forschungsteam die Hochdurchsatz-Sequenzierung. Die Forschenden fanden heraus, dass die Genaktivität, die für zwei Elternmerk-male verantwortlich ist, der Schlüssel für das Überleben der neuen Spezies im neuen Lebensraum ist. Erstens kann sich C. insueta klonal vermehren, d.h. es produziert auf der Blattoberfläche kleine Ableger, die zu neuen Pflanzen heranwachsen. Die Fähigkeit zur ungeschlechtlichen vegetativen Vermehrung hat sie von C. rivularis geerbt. Da C. insueta sexuell steril ist, wäre sie ohne diese Eigenschaft nicht in der Lage gewesen, zu überleben.
Zweitens erbte C. insueta die Fähigkeit, bei unterschiedlichem Wasserstand zu überleben, von C. amara, da die für dieses Merkmal verantwortlichen Gene in beiden Arten aktiv waren. „Die Ergebnisse zeigen, dass die neue Pflanzenart vorteilhafte Muster der elterlichen Genaktivität kombinierte, um zu seiner Etablierung in einer neuen Nische innerhalb eines Wassernutzungsgefälles beizutragen. Abhängig von der Umweltsituation aktiviert die Pflanze einen unterschiedlichen Satz von Genen, den sie von ihren beiden Elternarten geerbt hat“, sagt Rie Shimizu-Inatsugi.
Diese Newsmeldung wurde mit Material der Universität Zürich via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.