Aus-Schalter für Nebenwirkungen



Bio-News vom 22.06.2018

Opioide sind starke Schmerzmittel, die eine Reihe schädlicher Nebenwirkungen haben und zu Abhängigkeit führen können. Forscher aus Deutschland, Österreich und den USA haben jetzt ein Verfahren entwickelt, das tiefere Einblicke in die Reaktion des Gehirns auf Opioide erlaubt. Die Forscher analysierten mittels Massenspektrometrie Veränderungen der Protein-Phosphorylierungsmuster in verschiedenen Gehirnregionen und ordneten sie erwünschten und unerwünschten Wirkungen der Opioidbehandlung zu. Mit diesem Ansatz sollen neuartige Arzneimittel-Targets identifiziert werden. So können neue Klassen von Schmerzmitteln mit weniger Nebenwirkungen entwickelt werden. Die Studie wurde in Science publiziert.

Die Signalkaskaden, derer sich Zellen bedienen, um auf äußere Reize zu reagieren, ähneln der Weisungskette eines Unternehmens. Durch die Aktivierung eines Rezeptors erhalten andere Proteine in den Zellen Anweisungen, vergleichbar mit der Kommunikation des Firmenchefs mit Gruppen von Untergebenen. Diese Informationen werden dann über Signalkaskaden anderer interagierender Proteine an niedrigere Stufen in der Organisationsstruktur weitergegeben. Wie Mitarbeiter, die verschiedene Aufgaben übernehmen, um ein Unternehmen am Laufen zu halten, sind Proteine die molekularen Maschinen in den Zellen, die den Großteil der Funktionen ausüben. In den Zellen werden die Anweisungen durch Veränderung der Funktion dieser „Zellmitarbeiter” an andere Proteine weitergeleitet. Eine Möglichkeit, die Funktion zu verändern, sind „Phosphorylierungen”, d. h. die Anlagerung eines Phosphatmoleküls an die Proteine. Indem sämtliche molekulare Schalter gleichzeitig analysiert werden, lässt sich die Aktivität von Signalwegen in Zellen oder einem Organ bestimmen. Die Erforschung dieser Weisungskette erlaubt einen genaueren Einblick in die aktuell stattfindenden Prozesse in den Zellen als die Analyse der DNA, der genetischen „Blaupause“, die in allen Zellen mehr oder weniger identisch ist.

Momentaufnahme der Proteinaktivitäten

Forscher im Labor des Max-Planck-Institut für Biochemie (MPIB)-Direktors Matthias Mann beschreiben mittels Massenspektrometrie – einem Verfahren zur Bestimmung der Identität und Quantität von Proteinen in einer Probe – die Phosphorylierungsmuster von Tausenden von Proteinen in verschiedenen Organproben. Dieser Ansatz wird als Phospho-Proteomik bezeichnet. In der jüngst durchgeführten Studie untersuchten die Forscher die Aktivierung von Signalwegen in den unterschiedlichen Gehirnregionen, die auf opioidartige Medikamente ansprechen. Zu diesem Zweck verwendeten die Wissenschaftler eine kürzlich entwickelte Methode namens EasyPhos.


Durch die Massenspektrometrie lassen sich Muster in der Signalweg-Aktivierung erkennen und Ansätze zur Reduzierung der Nebenwirkungen von opioidartigen Medikamenten entwickeln.

Publikation:


J. Liu, K. Sharma, L. Zangrandi, C. Chen, S. Humphrey, Y.-T. Chiu, M. Spetea, L.-Y. Liu-Chen, C. Schwarzer and M. Mann
In vivo Brain GPCR Signaling Elucidated by Phosphoproteomics
Science, Juni 2018

DOI: 10.1126/science.aao4927



Um die Wirkungsweise von Medikamenten wie zum Beispiel Opioiden zu verstehen, müssen die Forscher ihre Auswirkung auf das Gehirn kennen. „Mit Hilfe der Phospho-Proteomik können wir mehr als 50.000 Phosphorylierungsorte auf einmal untersuchen. Wir erhalten eine Momentaufnahme der Aktivität aller Signalwege zu einem bestimmten Zeitpunkt in den Gehirnproben. Nach Applikation eines opioidartigen Medikaments stellten wir mehr als 1000 Veränderungen fest, was einen globalen Effekt dieser Arzneimittel auf die Signalgebung im Gehirn belegt“, erklärt Jeffrey Liu, der Erstautor der Studie. Mit den bislang angewendeten Methoden ließen sich die Proteinphosphorylierungen nicht in einer vergleichbaren Größenordnung erfassen, so dass das An- oder Abschalten vieler wichtiger Signalwege unbemerkt bliebe.

Phospho-Proteomik – ein vielseitiges Werkzeug

„In unserer Studie haben wir die Aktivierung von Signalwegen im Gehirn, die für gewünschte Wirkungen von Opioiden wie zum Beispiel Schmerzlinderung verantwortlich sind, untersucht. Im Gegensatz dazu führt die parallele Aktivierung anderer Signalwege zu unerwünschten Nebenwirkungen”, so Liu. Die Forscher bestimmten mittels Phospho-Proteomik, wie aktiv diese zu positiven Effekten bzw. Nebenwirkungen führenden Signalwege sind. Christoph Schwarzer von der Medizinischen Universität Innsbruck, der im Rahmen dieser Studie mit Liu und Mann zusammenarbeitete, legt den Schwerpunkt seiner Forschung auf diese Opioid-aktivierten Signalkaskaden im Gehirn. Bei der Entwicklung neuer Medikamente können die Phospho-Proteomik-Daten der Identifizierung von Substanzen dienen, die eine starke therapeutische Wirkung aufweisen und weniger Nebenwirkungen haben. Darüber hinaus verspricht diese Studie auch eine Reduktion der Nebenwirkungen durch das Eingreifen in die hierfür verantwortlichen Signalkaskaden. Die aktuellen Medikamente aus der Opioidfamilie sind zwar starke Schmerzmittel, bewirken aber eine rasche Abhängigkeit. Daher besteht ein dringender Bedarf an neuartigen Opioiden, die kein Abhängigkeitspotential aufweisen.

Stellt man sich die Proteine im Gehirn als Unternehmen vor, so können Forscher mit Hilfe der Phospho-Proteomik die Aktivität des gesamten Personals gleichzeitig verfolgen anstatt sich auf ein paar ausgewählte Mitarbeiter zu konzentrieren. Die Massenspektrometrie ist ein wirkungsvolles Instrument zur Erforschung von Medikamenten-Targets im Gehirn oder anderen Organen. Massenspektrometrie-Experte Matthias Mann meint dazu: „Die derzeit epidemisch auftretenden Todesfälle im Zusammenhang mit Opioiden in den USA sind ein schockierendes Beispiel für die möglichen Folgen der Verschreibung von Arzneimitteln mit starken Nebenwirkungen wie beispielsweise Abhängigkeit. Mit Hilfe der Massenspektrometrie lassen sich die Wirkungen von Medikamenten umfangreich erfassen, so dass die Entwicklung neuer Medikamente mit weniger Nebenwirkungen optimiert werden kann.” Dies sei aber nur eine von vielen Anwendungsmöglichkeiten der Phospho-Proteomik, erklärt Mann. Mit dem Verfahren ließen sich auch Erkenntnisse über die Art und Weise, wie Zellen ihre Weisungsketten zur Informationsverarbeitung einsetzen, und die Wirkungen von Medikamenten in anderen Organen gewinnen.


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Informationsdienstes der Wissenschaft (idw) erstellt

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