Biologische Schatztruhe im Nordpolarmeer geöffnet



Bio-News vom 18.10.2022

Von September 2019 bis Oktober 2020 driftete das deutsche Forschungsschiff Polarstern vom Alfred-Wegener-Institut während der MOSAiC-Expedition im Eis eingefroren durch das Nordpolarmeer. Im Rahmen einer internationalen Forschungskooperation, an der auch Forschende der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) beteiligt waren, wurde ein umfassender Genomdatensatz des marinen polaren Ökosystems erhoben. In der Fachzeitschrift PLoS Biology wird vorgestellt, wie dieser Datensatz dazu beitragen kann, die Artenvielfalt zu messen und zu verstehen, wie sich das Verschwinden des Meereises aufgrund des Klimawandels auf das arktische Ökosystem auswirkt.

Die arktischen Ökosysteme gehören zu den am stärksten von der globalen Erwärmung betroffenen. Somit kann das Nordpolarmeer auch als Indikator für die Folgen des Klimawandels sowie für den Fortbestand der biologischen Vielfalt auf unserem Planeten dienen. Doch in der Arktis zu forschen ist nicht leicht: Da gerade die Nordpolregion schwer zugänglich ist, stehen Expeditionen ins Nordpolarmeer vor erheblichen logistischen Schwierigkeiten. Nicht allein deshalb ist dieser Teil der Erde einer der am wenigsten erforschte.


Während der MOSAiC-Expedition driftete die Polarstern ein Jahr lang durch die zentrale Arktis. Es ging u.a darum, die Rolle des Nordpolarmeeres und seiner Ökosysteme in Klimaprozessen besser zu verstehen und aktuelle Klimamodelle zu verbessern.

Publikation:


Thomas Mock et. al.
Multiomics in the central Arctic Ocean for benchmarking biodiversity change

PLoS Biology (2022)

DOI: 10.1371/journal.pbio.3001835



Mikroorganismen im Meereis und in der Wassersäule sind Eckpfeiler dieses Ökosystems und spielen eine entscheidende Rolle bei der Rückkopplung mit dem Klima und bei der Aufrechterhaltung von Nahrungsketten, die für den Schutz und die Ökosystemleistungen von zentraler Bedeutung sind. Aufgrund ihrer schnellen Anpassungsfähigkeit an Umweltveränderungen sind marine Mikroorganismen gute biologische Indikatoren für Umweltveränderungen.


Ein CTD-Kranzwasserschöpfer, mit denen in verschiedenen Wassertiefen Proben genommen und dabei verschiedene physikalische Parameter aufgezeichnet werden können, am Kran der Polarstern.

Ab September 2019 driftete der deutsche Forschungseisbrecher Polarstern, festgefroren an einer Eisscholle, ein Jahr lang durch die zentrale Arktis. Diese MOSAiC-Mission („Multidisciplinary drifting Observatory for the Study of Arctic Climate“) war die größte Arktisexpedition der Geschichte und wurde vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) geleitet. Hunderte von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern erforschten und beprobten Ozean, Atmosphäre und Meereis, um die Rolle des Nordpolarmeeres und seiner Ökosysteme in Klimaprozessen besser zu verstehen und die aktuellen Klimamodelle zu verbessern.

Eine internationale Gruppe von Molekularbiologinnen und -biologen („EcoOmics“) will auf Basis der während MOSAiC gewonnenen Proben die Biodiversität und den genetischen Hintergrund des arktischen marinen Ökosystems inventarisieren. Damit soll eine Basis geschaffen werden, um den Wandel der biologischen Vielfalt im Nordpolarmeer bemessen zu können. So können Schutzmaßnahmen entwickelt werden, indem einzigartige Arten identifiziert und deren Aussterberisikos bewertet werden. Dies geschieht, indem die Forschenden alle genetischen Spuren der marinen Lebewesen aus den während der MOSAiC-Expedition gewonnenen Proben sequenzieren. Am Ende will das Projekt der wissenschaftlichen Gemeinschaft eine frei zugängliche Informationsquelle zur arktischen marinen Biodiversität zur Verfügung stellen.

Die Arbeiten des vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven und von der University of East Anglia (UEA) in Großbritannien gemeinsam geleiteten EcoOmics-Forschungsteams werden unter anderen von der Helmholtz-Gemeinschaft, der Deutsche Forschungsgemeinschaft, dem Joint Genome Institute in den USA und dem britische Earlham Institute unterstützt. Von der HHU ist das Institut für Quantitative und Theoretische Biologie der HHU mit Doktorandin Ellen Oldenburg, Dr. Ovidiu Popa und Institutsleiter Prof. Dr. Oliver Ebenhöh an dem Projekt beteiligt.

Die HHU-Biologin will mit ihren Kollegen Schlüsselkomponenten aufdecken, die die Dynamik der arktischen marinen Mikroorganismen bestimmen. Wenn die funktionellen Rollen der Mitglieder der Gemeinschaft entschlüsselt und die Stoff- und Energieflüsse durch arktische Ökosysteme verstanden sind, kann die Rolle dieser Flüsse in den globalen geochemischen Kreisläufen bewertet werden.

Im Mittelpunkt der Arbeiten steht das Zusammenspiel von Bakterien und anderen Planktonorganismen, die mit Mikroalgen assoziiert sind, um die funktionellen Beziehungen der einzelnen Lebewesen besser zu verstehen. Ellen Oldenburg: „Wir nutzen Informationen über die Zusammensetzung der Gemeinschaften, das genomische Potenzial und die zellulären Aktivitäten der Mikroorganismen, um Modelle zu entwickeln, die das Verständnis der Gemeinschaften und der damit verbundenen Stoffwechselaktivitäten in Abhängigkeit von einer sich verändernden Umwelt in der Arktis verbessern.“

Darüber hinaus sollen Vorhersagemodelle abgeleitet werden, die an ein breites Spektrum von Ökosystemen angepasst und erweitert werden können. Prof. Ebenhöh: „Das endgültige Modell soll die Dynamik des arktischen mikrobiellen Ökosystems über den Jahreszyklus hinweg beschreiben. Wir erhoffen uns aus dem Modell Einblicke in die Mechanismen, die die Ökosystemstruktur und -dynamik stabilisieren. Auch wollen wir Faktoren identifizieren, die das Ökosystem am anfälligsten machen.“

Die ersten Ergebnisse der MOSAiC-EcoOmics-Gruppe wurden nun in PLoS Biology veröffentlicht. Der Genomdatensatz gibt Aufschluss über ein Jahr biologischer Prozesse im Nordpolarmeer. Dieses Seegebiet stellt sich als Fundgrube dar, um neuartige biologische Prozesse zu entdecken, die sich möglicherweise aufgrund von Anpassungsprozessen entwickelt haben.

Dr. Katja Metfies vom AWI, Koordinatorin der EcoOmics-Gruppe: „Dieser Datensatz wird uns einen noch nie dagewesenen Einblick in die Bedeutung des Meereises und seiner Organismen für die Aufrechterhaltung der Funktionalität und ihrer Rolle im arktischen Meeresökosystems geben, das dem drastischen Druck des Klimawandels ausgesetzt ist. MOSAiC gibt uns einen wichtigen Einblick in die Zukunft der arktischen Ökosysteme nach 2050, wenn das Nordpolarmeer im Sommer voraussichtlich eisfrei sein wird."

Prof. Dr. Thomas Mock von der UEA, einer der Leiter des EcoOmics-Projekts: „Dies ist der erste und größte Versuch, das zentrale Nordpolarmeer durch Raum und Zeit zu sequenzieren. Wir haben den ersten Beweis für eine neuartige Biologie gefunden, da wir Daten in einem Gebiet genommen haben, das noch nie zuvor mit Hilfe von Genomsequenzen aus dem tiefen Ozean untersucht wurde.“

EcoOmics will einen Beitrag zu den Bemühungen um den Schutz der arktischen marinen Ökosysteme leisten und grundlegende Fragen der Biologie erweitern. Hierzu gehören auch Aussagen zur Evolution des Lebens auf der Erde, die ohne die Berücksichtigung polarer Organismen unvollständig bleibt. Und gerade diese Organismen versprechen neue biologische Erkenntnisse, aufgrund ihrer einzigartigen Anpassung auf ihren extremen Lebensraum.


Diese Newsmeldung wurde mit Material der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.


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