Eine optische Täuschung gibt Einblicke ins Gehirn



Bio-News vom 22.09.2020

Yunmin Wu erforscht, wie wir Bewegung wahrnehmen können. Inspiriert durch ein Katzenvideo, kam sie auf die elegante Idee, die Wasserfall-Illusion in winzigen Zebrafischlarven auszulösen.

Im Interview erzählt die Doktorandin vom Max-Planck-Institut für Neurobiologie, wie ihr dadurch überraschende Einblicke in den neuronalen Mechanismus der Bewegungswahrnehmung möglich wurden.

Worum genau geht es in deiner Forschung und warum arbeitest du mit Zebrafischen als Modellorganismus?

Im Gehirn gibt es spezielle Nervenzellen, die Bewegung und deren Richtung verarbeiten. Da es sehr viele von diesen Nervenzellen gibt, möchte ich herausfinden, ob sie alle auch für die Wahrnehmung von Bewegungen notwendig sind. Dafür sind die Larven von Zebrafischen ein super Tiermodell – sie sind klein, durchsichtig und zeigen viele komplexe Verhaltensweisen, die wir Menschen auch aufweisen.


Mit Hilfe der Wasserfall-Illusion konnten Wissenschaftler in Zebrafischen Nervenzellen identifizieren, die für das Bewegungsehen relevant sind.

Publikation:


Yunmin Wu, Marco dal Maschio, Fumi Kubo, Herwig Baier
An Optical Illusion Pinpoints an Essential Circuit Node for Global Motion Processing
Neuron, online 22. September 2020

DOI: 10.1016/j.neuron.2020.08.027



Wie bist du auf die Idee gekommen eine optische Illusion für deine Forschung zu nutzen?

Ich wurde durch ein Video inspiriert, in dem eine Katze versucht, eine optische Täuschung in Form von sich bewegenden Schlangen zu fangen. Ich habe mich gefragt, ob eine Illusion, auf die wir Menschen reagieren, auch bei Zebrafischen funktioniert. In diesem Fall könnte ich einen Blick ins Gehirn werfen und untersuchen, welche Nervenzellen dabei involviert sind. Mit der Hilfe meiner Betreuerin Fumi habe ich mich am Ende unter vielen coolen Illusionen für den Bewegungsnacheffekt entschieden.

Kannst du den Bewegungsnacheffekt – auch als Wasserfall-Illusion bekannt – erklären?

Der Bewegungsnacheffekt ist eine sehr alte Illusion, die bereits von Aristoteles beschrieben wurde. Betrachten wir längere Zeit eine Bewegung, wie die eines Wasserfalls, und fokussieren danach ein unbewegtes Objekt, dann sehen wir eine Scheinbewegung. Es wirkt, als ob sich das Objekt in die entgegengesetzte Richtung zur davor beobachteten Bewegung bewegt – im Falle eines Wasserfalls also nach oben. Das Einzigartige am Bewegungsnacheffekt ist, dass das Empfinden von Bewegungen nicht durch tatsächliche Bewegungen hervorgerufen wird, sondern gänzlich im Gehirn entsteht.

Für viele mag es unerwartet klingen, dass du mit Hilfe des Bewegungsnacheffekts Einblicke in das Gehirn gewonnen hast – Illusionen werden oft als Fehler des Gehirns angesehen.

Anstatt an einen Fehler zu denken, sind Illusionen für mich eher ein Fenster ins Gehirn. Selbst ohne tiefergehende Untersuchungen geben sie uns bereits einige Hinweise darauf, wie das Gehirn Umweltinformationen verarbeitet. Illusionen sind somit nicht nur interessante Täuschungen, für Wissenschaftler können sie auch ein sehr hilfreiches Werkzeug sein.

Fische können nicht sagen, was sie sehen. Wie hast du herausgefunden, dass Fische die Wasserfall-Illusion erleben?

Wir haben eine Art „Kino” gebaut: Der Fisch sitzt in der Mitte und betrachtet einen Film aus bewegten Streifenmustern, während wir seine Augenbewegungen aufnehmen. So können wir sehen, ob und in welche Richtung der Fisch Bewegungen wahrnimmt. Auf diese Weise haben wir festgestellt, dass der Fisch Schweinbewegungen in die entgegengesetzte Richtung sieht, sobald der Film stoppt.

Nachdem du diesen Versuchsaufbau entwickelt hattest, was waren deine nächsten Schritte?

Wir haben uns gefragt, welche Gehirnregion für die Illusion verantwortlich ist. Mit Hilfe der Optogenetik, einer Methode bei der durch Licht Nervenzellen an- und ausgeschaltet werden können, haben wir verschiedene Gehirnregionen deaktiviert. So konnten wir nachweisen, dass das Prätektum, eine wichtige Hirnregion für das visuelle System, essentiell für die Wahrnehmung der Wasserfall-Illusion ist. Mit dem 2-Photonen-Mikroskop konnten wir zeigen, dass nur ungefähr die Hälfte der vielen Nervenzellen, die auf Bewegungen reagieren, während der Illusion aktiv sind. Räumlich gesehen konzentrieren sich diese Nervenzellen innerhalb eines Knotenpunktes im Prätektum. Dies gab uns die Möglichkeit diese Nervenzellen zielgerichtet zu manipulieren. Entfernten wir Nervenzellen in diesem Zentrum waren die Fische erstaunlicherweise bewegungsblind. Im Gegensatz dazu konnten wir beim Anschalten der Nervenzellen bewegungsspezifische Augenbewegungen auslösen, ohne dass dem Fisch Bewegungen gezeigt wurden.

Was ist die Quintessenz deiner Studie und warum ist sie so speziell?

Mit Hilfe der Illusion konnten wir die große Anzahl an Nervenzellen auf eine Handvoll Zellen eingrenzen, die für das Bewegungssehen nicht nur notwendig, sondern auch ausreichend sind. Diese Erkenntnis eröffnet eine ganz neue Sichtweise; zuvor wurde angenommen, dass Reaktionen auf Bewegungen von weit verzweigten neuronalen Netzwerken abhängen.

Was begeistert dich am meisten an deiner Studie?

Die Illusion – ich freue mich immer wieder, darüber zu sprechen und zu sehen, dass andere meine Begeisterung teilen. Ebenso ist es spannend darüber nachzudenken, dass „Sehen nicht gleich Glauben“ ist. Illusionen erinnern uns daran, dass unsere Wahrnehmung eine verarbeitete Version der Realität ist. Wir sollten das im Hinterkopf behalten und nicht nur unserer eigenen Wahrnehmung vertrauen.

Das Interview führte Christina Bielmeier


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie via Informationsdienst Wissenschaft erstellt

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