Es geht auch ohne Arrestin



Bio-News vom 19.02.2019

In einem Modell der Zellmigration von Interneuronen konnten Pharmakologen des Universitätsklinikums Jena zeigen, dass dieser von G-Protein-gekoppelten Rezeptoren gesteuerte vorgeburtliche Zellwanderungsprozess nahezu unverändert abläuft, auch wenn kein Beta-Arrestin gebildet werden kann. Entscheidend ist vielmehr, dass weder zu wenig noch zu viel des Chemokins vorliegt, das den Wanderungsprozess steuert. Mit ihrer jetzt im Fachjournal Cell Reports veröffentlichten Studie rütteln die Wissenschaftler an der Lehrmeinung, dass das Adapterprotein Beta-Arrestin unentbehrlich ist für die Rezeptorfunktion.

Um ihre Funktion im Körper zu erfüllen, müssen sich manche Zellen von einem Ort zum anderen bewegen, zum Beispiel um bei einer Immunreaktion mitzuwirken oder bei der Neubildung von Blutgefäßen nach einer Verletzung. Sie werden von Botenstoffen, den Chemokinen, an ihren Einsatzort gelockt. Das Zusammenspiel dieser kleinen Signalproteine mit hochspezifischen Rezeptoren in den Zellmembranen wirkt wie ein Navigationssystem für die Zellwanderung.

Die Arbeitsgruppe von Professor Ralf Stumm am Institut für Pharmakologie und Toxikologie des Universitätsklinikums Jena erforscht die Wanderung hemmender Nervenzellen in der Großhirnrinde. Dieser Prozess ist ein wichtiger Bestandteil der vorgeburtlichen Hirnreifung. Als Wegweiser für die Interneuronen fungiert dabei das Chemokin CXCL12, das vom Rezeptor CXCR4 erkannt und in ein Signal für die Zellbewegung übersetzt wird. Dieser Rezeptor gehört zur großen Gruppe der G-Protein-gekoppelten Rezeptoren, die ihre Signale über die namensgebenden G-Proteine in die Zelle weitergeben. Die mehr als 800 Mitglieder zählende Rezeptorfamilie spielt eine zentrale Rolle bei der Zellkommunikation und der Verarbeitung von Schmerz– und Sinnesreizen. Etwa 30 Prozent aller Medikamente, zum Beispiel Opioide, Betablocker oder Neuroleptika, zielen auf diese Rezeptoren, die deshalb im besonderen Fokus der Arzneimittelforschung liegen.


Zellwanderung in der Großhirnrinde der embryonalen Maus: Interneurone (dunkelrote Zellen) erspüren den Botenstoff CXCL12 (rot) und folgen ihm auf definierten Routen.

Publikation:


Saaber F, et al.
ACKR3 regulation of neuronal migration requires ACKR3 phosphorylation but not beta-arrestin
Cell Rep. 2019

DOI: 10.1016/j.celrep.2019.01.049



Rezeptorenpaar steuert Zellwanderung

„Das Besondere an der Wanderung der Interneuronen ist, dass für die richtige Funktion ihres Navigationssystems ein zweiter Rezeptor notwendig ist“, erklärt Ralf Stumm. Dieser mit ACKR3 bezeichnete Rezeptor gehört wegen seiner chemischen Struktur zwar mit zur Großfamilie, kann aber keine G-Proteine aktivieren und ist deshalb atypisch. Er transportiert das Chemokin ins Zellinnere und räumt quasi hinter dem Interneuron auf. Damit sorgt er für den Unterschied in der Konzentration des Chemokins, der die Richtung der Zellwanderung bestimmt.

Ralf Stumm: „Aus Zellkulturversuchen weiß man, dass die Ankopplung von Phosphatgruppen an G-Protein-gekoppelte Rezeptoren für deren Regulation wichtig ist. Ob dies auch auf die neu entdeckten atypischen Rezeptoren wie ACKR3 zutrifft, war bislang unbekannt. Es wird vermutet, dass das Adapterprotein Beta-Arrestin sich an diese Gruppen heftet und so die Aufnahme des Rezeptormoleküls ins Zellinnere ermöglicht. Zudem soll es unabhängig vom G-Protein Signale ins Zellinnere leiten“. Für den atypischen Rezeptor müsste Beta-Arrestin also entscheidend sein. Aber auch für die G-Protein-gekoppelten Rezeptoren gilt Beta-Arrestin vielen Wissenschaftlern neben dem G-Protein als wichtigster Signalpartner.

In einer jetzt im Fachjournal Cell Reports veröffentlichten Studie, die im Rahmen des Transregio „ReceptorLight“ von der DFG gefördert wurde, analysierten die Jenaer Pharmakologen die Steuerung der Interneuronen-Wanderung erstmals im lebenden Organismus – und zeigten, dass es ohne beta-Arrestin geht. Dazu untersuchten sie die vorgeburtliche Hirnentwicklung von Mäusen, die kein Beta-Arrestin bilden konnten. „Die Interneuronen waren ähnlich verteilt wie in der Großhirnrinde von Wildtyp-Tieren, und beide Rezeptoren CXCR4 und ACKR3 funktionierten in den Zellen fast normal“, so Friederike Saaber, die Erstautorin der Studie.

Unbekannte Adapterproteine?

Um das Zusammenspiel der beiden Rezeptoren näher zu beleuchten, nahmen die Wissenschaftler weitere Veränderungen vor. Sie modifizierten den atypischen Rezeptor so, dass er keine Phosphatgruppen aufnehmen konnte. „Dadurch konnte das Chemokin nicht mehr in die Zellen geschleust werden, es reicherte sich im Gewebe an und überreizte den anderen Rezeptor CXCR4, so dass dieser in der Zelle abgebaut wurde und gar nicht mehr auf den Botenstoff reagieren konnte“, beschreibt Friederike Saaber die erheblichen Funktionsstörungen. In der Folge häuften sich die Neuronen in den falschen Schichten der Großhirnrinde an. Ganz ähnlich sahen die Störungen aus, wenn kein Chemokin oder zu viel davon gebildet wurde.

Die richtige Menge des Botenstoffs ist also entscheidend für die von Chemokinen gesteuerte Zellwanderung. Ralf Stumm: „Es ist erstaunlich, dass ein derart komplexer Prozess von den Phosphatgruppen des atypischen Rezeptors abhängt, aber ohne Beta-Arrestin funktioniert. Unsere Arbeit eröffnet die Suche nach bislang unbekannten Adapterproteinen, die an den Phosphatgruppen der Rezeptoren regulatorisch angreifen.“


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Informationsdienstes der Wissenschaft (idw) erstellt

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