Forschergruppe stellt umfassende Studie zu Artenveränderung auf Berggipfeln vor



Bio-News vom 22.05.2014

Kein direkter Zusammenhang zwischen Klimaerwärmung und Zunahme des Pflanzenartenreichtums auf europäischen Gipfeln.

Die Klimaerwärmung ist offensichtlich nicht direkt für die auf Europäischen Berggipfeln beobachtete Zunahme an Pflanzenarten verantwortlich. Dies stellt eine internationale Forschergruppe unter Beteiligung des Rostocker Forschers Dr. Gerald Jurasinski in der aktuellen Online-Ausgabe des international renommierten Fachblatts „Global Ecology and Biogeography“ fest. Die Forscher analysierten Daten zum Vorkommen von Pflanzenarten auf über 100 europäischen Berggipfeln entlang eines weiten Bereichs geografischer Breite von den Alpen über Skandinavien bis nach Grönland und über eine Zeitspanne von mehr als 100 Jahren. Sie stellten fest, dass die Veränderung in den Artengemeinschaften auf den untersuchten Gipfeln keine statistisch signifikante Beziehung zur klimatischen Erwärmung auf den Gipfeln aufweist und das es nicht vermehrt die wärmeliebenden Arten sind, die die Zunahme der Artenzahl auf den Gipfeln verursachen.


Blick von Botneheia auf Svalbard. Im Bild die Feldassistenten Jessica Abbott und Walter Kapfer.

Publikation:


Grytnes J-A, Kapfer J, Jurasinski G, Birks HH, Henriksen H, Klanderud K, Odland A, Ohlson M, Walther G-R, Wipf S, Birks HJB
Identifying driving factors behind observed species range shifts on European mountains

Global Ecology and Biogeography

DOI: 10.1111/geb.12170



Vor dem Hintergrund der globalen Klimaerwärmung erforschen Wissenschaftler seit einiger Zeit die möglicherweise resultierenden Verschiebungen in den Verbreitungsgebieten der Arten. Im Allgemeinen wird erwartet, dass viele Pflanzenarten ihr Verbreitungsgebiet in Richtung der Pole und in höhere Gegenden der Gebirge ausdehnen. Insbesondere Pflanzenarten mit natürlichen Verbreitungsgrenzen in hochmontanen Lagen wurden diesbezüglich verstärkt in den Blick genommen. Denn die bereits in den hohen Lagen der Gebirge vorkommenden und an die (zuvor) harschen Bedingungen angepassten Arten haben kaum Ausbreitungsmöglichkeiten, wenn sie durch aufwärts wandernde, oftmals konkurrenzstärkere Arten bedrängt werden.

Weitere Gründe für die Konzentration der Forschung auf Artenveränderungen auf Berggipfeln sind eher praktischer Natur: Zum einen gibt es teilweise mehr als hundert Jahre alte, komplette Inventarisierungen der Pflanzenartenzusammensetzung auf Berggipfeln, weil viele bedeutende Forscher die an der Entwicklung der Fachgebiete Vegetationskunde und Pflanzenökologie beteiligt waren, früh ein Interesse an diesen Grenzstandorten des Pflanzenwachstums entwickelten. Zum anderen sind historische Aufnahmen auf Berggipfeln vergleichsweise leicht relokalisierbar, sprich, man findet die exakten ehemaligen Aufnahmeflächen, ohne dass die Erstuntersucher sie mittels GPS oder dergleichen kartiert hätten.

In den letzten Jahren wurde eine beträchtliche Zahl von Untersuchungen zu Artenveränderungen auf Berggipfeln im 20. Jahrhundert veröffentlicht. In den meisten dieser Studien werden tatsächlich eine Aufwärtsausbreitung vieler Arten und die Zunahme der Artenzahl auf den Gipfeln konstatiert. Bisher galt, dass die im Zeitraum zwischen Erst- und Zweitaufnahme im jeweiligen Gebiet festzustellende klimatische Erwärmung für diese Veränderungen verantwortlich sei. Trotz der Vielzahl der Studien zu diesem Thema gab es keine, die diese Hypothese explizit getestet hat. Der Rostocker Wissenschaftler Dr. Gerald Jurasinski erinnert sich: „Als ich meine Ergebnisse zur Homogenisierung von Alpengipfeln im Schweizer Bernina Gebiet auf einer internationalen Fachtagung vorstellte, wurde in der Diskussion mit norwegischen Kollegen die Idee für diese Metaanalyse geboren.“

Forscher aus Norwegen, Deutschland, der Schweiz und Großbritannien brachten nun die vorhandenen Daten zusammen und ergänzten diese mit neuen sowie mit selbst erhobenen Daten. Die Analyse dieses Datensatzes zur Veränderung des Vorkommens von Pflanzenarten auf 114 Europäischen Berggipfeln brachte zu Tage, dass 70% der auf und um die Gipfel lebenden Arten tatsächlich Aufwärtsbewegungen im letzten Jahrhundert gezeigt haben.

Zudem konnte kein statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen Erwärmung und Artenzunahme gefunden werden. Stattdessen zeigte sich, dass an Berggipfeln mit geringerer Erwärmung mehr Arten aufwärts gewandert waren als an solchen mit höherer Erwärmung, jedoch war dieser Zusammenhang nicht signifikant. Es gibt demnach keinen Zusammenhang zwischen dem Grad der Erwärmung an einem bestimmten Berggipfel und der Anzahl der Arten, die ihre obere Verbreitungsgrenze nach oben verschoben haben.

Darüber hinaus ergab die Untersuchung, dass nicht die wärmeliebenden Arten heute vermehrt auf den Gipfeln anzutreffen sind. Noch dazu waren unter den 30% Arten die von den Gipfeln verschwunden sind, signifikant mehr wärmeliebende Arten. Dieses Ergebnis lässt in Kombination mit dem oben festgestellten nur den Schluss zu, dass das im Allgemeinen beobachtete Aufwärtswandern der Arten an Berggipfeln nicht allein durch die Klimaerwärmung erklärt werden kann. „Es wird seit längerem diskutiert, dass die Erwärmungshypothese möglicherweise zu einfach gedacht ist. Mit unserer Arbeit zeigen wir, auf welche Faktoren wir uns in zukünftigen Untersuchungen konzentrieren sollten. Dass die beobachteten Artenverschiebungen mit der globalen Klimaveränderung im Zusammenhang stehen bleibt jedoch unbenommen.“, fasst Dr. Gerald Jurasinski die aktuellen Forschungsergebnisse zusammen.


Diese Newsmeldung wurde via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.


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