Frühmenschen in der Altsteinzeit: Mehr als nur Wild auf dem Speiseplan
Bio-News vom 29.11.2023
Forschende zeigen in einer neuen Studie, dass sich Frühmenschen des Mittelpaläolithikums vielfältiger ernährten als bislang angenommen. Die Analyse einer Fundstelle im iranischen Zagros-Gebirge belegt, dass Homininen vor circa 81 000 bis 45 000 Jahren sowohl Huftiere als auch Schildkröten und Raubtiere bejagten. Möglicherweise wurden auch Vögel verspeist.
Bereits im Altpaläolithikum, dem frühesten Abschnitt der Altsteinzeit, haben die Vorfahren des heutigen Menschen effektiv Jagd auf kleine und große Säugetiere gemacht. „Die Homininen des anschließenden Mittelpaläolithikums – dem Zeitraum zwischen 300.000 und 45.000 Jahren – ernährten sich laut verschiedener Untersuchungen hauptsächlich von Huftieren.
Publikation:
Mata-González, M., Starkovich, B.M., Zeidi, M. et al.
Evidence of diverse animal exploitation during the Middle Paleolithic at Ghar-e Boof (southern Zagros)
Sci Rep 13, 19006 (2023)
DOI: 10.1038/s41598-023-45974-8
Dennoch gibt es immer mehr Belege dafür, dass zumindest gelegentlich auch Schildkröten, Vögel, Hasenartige, Fische und fleischfressende Raubtiere auf dem Speiseplan von Neandertaler und Co. standen“, erläutert Mario Mata-González, Erstautor der neuen Studie und Doktorand an der Universität Tübingen, und fährt fort: „Die Rekonstruktion von Ernährungsgewohnheiten früherer Homininen ist eines der Hauptziele archäozoologischer Studien. Sie geben Aufschluss darüber, wie sich unsere Vorfahren an unterschiedliche Umgebungen anpassten und mit ihnen interagierten.“
Mata-González hat gemeinsam mit weiteren SHEP-Forschenden die erste umfassende und systematische Nahrungsanalyse an einer spätpleistozänen, etwa 81.000 bis 45.000 Jahre alten Fundstelle im südlichen Zagros-Gebirge durchgeführt. „Das Zagros-Gebirge ist nicht nur der größte Höhenzug Irans, sondern gilt auch als eine geografische Schlüsselregion für die Untersuchung der menschlichen Evolution in Südwestasien während des Mittelpaläolithikums, insbesondere wegen seiner heterogenen Topografie und seiner großen Umweltvielfalt“, ergänzt er.
Bislang waren die archäozoologischen Funde aus dem Gebirge fast ausschließlich auf Huftiere beschränkt. Die Ergebnisse von der Fundstelle Ghar-e Boof zeigen aber, dass zur Nahrung der dortigen Homininen unter anderem auch Raubtiere und Schildkröten zählten. „Mehr als 75 Prozent der Fauna von Ghar-e Boof besteht aus Huftieren – von kleinen bis sehr großen Arten. Wir haben vor allem Überreste von Wildziegen (Capra aegagrus) und Gazellen (Gazella sp.) gefunden. In geringerer Anzahl konnten wir zudem Wildschweine (Sus scrofa), Rothirsche (Cervus elaphus), Pferdeähnliche (Equus sp.) und Wildrinder (Bos primigenius) dokumentieren“, erläutert der Tübinger Doktorand und spricht weiter: „Neben den Huftieren sind Schildkröten (Testudo sp.) die am häufigsten vorkommende Art, deren Fossilien wir auf der etwa 18 Quadratmeter großen Ausgrabungsfläche bergen konnten.“
Auch Knochen verschiedener Vogelarten und wenige Überreste von Fleischfressern, wie einem Rotfuchs (Vulpes vulpes) und einer großen Raubkatze – wahrscheinlich eines Leoparden (Panthera cf. pardus) –, konnte das Forschungsteam identifizieren.
Schnitte und Bearbeitungsspuren an einigen der fossilen Knochen weisen auf Frühmenschen als Verursachende hin. Die verzehrten Schildkröten wurden laut der Studie vorab in ihren Panzern geröstet – so interpretieren die Forschenden die Feuerspuren auf den Außenflächen der fossilen Schildkrötenpanzer.
Der Letztautor der Studie Prof. Nicholas J. Conard, SHEP, resümiert: „Die faunistischen Überreste von Ghar-e Boof sind der erste Nachweis für die Nutzung von Kleinwild, wie Schildkröten oder Vögeln, sowie Raubtieren durch Homininen im südlichen Zagros-Gebirge. Auch wenn der Verzehr einiger dieser Arten nur sporadisch stattfand, zeigen unsere Ergebnisse, dass die im Mittelpaläolithikum lebenden Homininen der Zagros-Region einen vielfältigeren Speiseplan hatten als bisher angenommen. Dies deckt sich mit Funden in anderen Teilen Eurasiens.“
Diese Newsmeldung wurde mit Material der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.