Genom der Stellerschen Seekuh entschlüsselt



Bio-News vom 07.02.2022

Durch das eiszeitliche Nordeuropa und -amerika streiften einst Riesensäuger wie Mammuts, Säbelzahnkatzen und Wollnashörner und auch in den kalten Ozeanen der nördlichen Hemisphären lebten Giganten wie die bis zu acht Meter lange und zehn Tonnen schwere Stellers Seekuh. Sie ist bereits vor rund 250 Jahren ausgestorben, doch jetzt ist es einem internationalen Forschungsteam gelungen, aus fossilen Knochen das Genom dieser eiszeitlichen Spezies zu lösen. Sie fanden dabei auch eine Antwort auf die Frage, was das Genom der ausgestorbenen Seekuhart über heutige Hauterkrankungen verrät.

Die gigantische Seekuh aus der Eiszeit wurde im Jahr 1741 von Georg Wilhelm Steller entdeckt und später nach ihm benannt. Den Naturforscher des 18. Jahrhunderts interessierte neben der enormen Körpergröße dieser Tierart auch ihre besondere, rindenartige Haut. Er beschrieb sie als „eine so dicke Haut, die der Rinde von alten Eichen ähnlicher wäre, als einer Thierhaut.“ Diese borkige Struktur der Oberhaut ist bei artverwandten Seekühen, die heutzutage ausschließlich in tropischen Gewässern leben, nicht vorhanden. In wissenschaftlichen Kreisen ging man bislang davon aus, dass die borkige Oberhaut durch Parasitenfraß entstand, aber auch Wärme isolieren und damit die eiszeitliche Stellers Seekuh gut vor Kälte und vor Verletzungen im Eismeer schützen konnte.


Eine rezente Seekuh.

Publikation:


Diana Le Duc et al.
Genomic basis for skin phenotype and cold adaptation in the extinct Steller’s sea cow

Science Advances

DOI: 10.1126/sciadv.abl6496



In der aktuellen Studie belegen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter Leitung von Dr. Diana Le Duc und Prof. Torsten Schöneberg von der Universität Leipzig, Prof. Michael Hofreiter von der Universität Potsdam und Prof. Beth Shapiro von der University of California, USA, dass die Paläogenome von Stellerschen Seekühen funktionelle Veränderungen offenbaren. Diese sind wiederum für die rindenartige Haut und die Anpassung an Kälte verantwortlich.

Um das herauszufinden, hat ein internationales Forschungsteam aus Deutschland und den USA aus fossilen Knochenresten von insgesamt zwölf verschiedenen Individuen das Genom dieser ausgestorbenen Spezies rekonstruiert. „Das spektakulärste Resultat unserer Untersuchungen ist die Klärung der Ursache für die borkige Haut des Meeresgiganten“, resümiert Diana Le Duc vom Institut für Humangenetik der Universitätsmedizin Leipzig. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fanden im Seekuh-Genom Inaktivierungen von Genen, die für den normalen Aufbau der äußeren Hornhautschicht notwendig sind. Diese Gene werden auch in der menschlichen Haut genutzt.


Die Verbreitung der Seekuh-Arten in den Weltmeeren.

„Erbliche Defekte dieser sogenannten Lipoxygenase-Gene führen beim Menschen zur sogenannten Ichthyosis. Das ist eine Verdickung und Verhornungsstörung der obersten Hautschicht mit großen Hautschuppen, manchmal auch ‚Fischschuppen-Krankheit‘ genannt“, so Schöneberg vom Rudolph-Schönheimer-Institut für Biochemie. „Damit schärfen die Ergebnisse unserer Forschung auch den Blick auf dieses Krankheitsbild“, erklärt der Biochemiker und ergänzt: „Hierin kann der Schlüssel für neue Therapieansätze liegen.“ Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kamen dem Gendefekt auf die Spur, in dem sie das Genom mit dem des nächsten Verwandten, der Seekuh Dugong, miteinander verglichen. Bei ihren Untersuchungen wurden die Forschenden durch das Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie Leipzig unterstützt, die ihre bioinformatische Expertise in der Analyse von alter DNA einbrachten.

Folglich identifizierten sie wichtige Hinweise auf genetische Veränderungen, die zur Anpassung an den kühlen Lebensraum des Nordpazifiks beigetragen haben können. „Dies ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, dass Gen-Defekte nicht nur einen Krankheitswert, sondern in Abhängigkeit vom Lebensraum auch Vorteile haben können“, so Hofreiter von der Universität Potsdam. Weiterhin konnte aus den Genomdaten eine dramatische Reduktion der Populationsgröße geschlossen werden. Diese begann schon 500.000 Jahre vor der Entdeckung dieser Art und könnte zum Aussterben beigetragen haben. „Mit unserer Studie schließt sich der Kreis einer exakten Beobachtung eines deutschen Naturforschers im frühen 18. Jahrhundert mit der molekulargenetischen Klärung von heute“, resümiert Hofreiter.



Diese Newsmeldung wurde mit Material der Universität Leipzig via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.

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