Grundlegender Lebensprozess gefilmt
Bio-News vom 27.10.2021
Alle Proteine einer Zelle werden von komplizierten molekularen Maschinen zusammengebaut, die Vorstufen dieser Ribosomen werden im Zellkern produziert und gelangen dann durch die sogenannten Kernporen in die Zelle. Forschende haben diesen grundlegenden Prozess nun erstmals in lebenden Zellen gefilmt. Ihre Experimente verbessern das Verständnis, wie Ribosomen entstehen.
Der Zellkern ist eine Art Tresor: Er liegt in der Zelle und hütet die DNA, die die Bauanleitungen für sämtliche Proteine der Zelle enthält. Wenn die Zelle für eine bestimmte Aufgabe ein Protein benötigt, bestellt sie im Kern eine Abschrift des passenden DNA-Abschnitts. Diese Kopie verlässt den Zellkern und gelangt zu den Ribosomen, komplexen molekularen Maschinen. Sie arbeiten die Anleitung Schritt für Schritt ab und produzieren so das gewünschte Protein.
Die allermeisten Zellmoleküle werden also außerhalb des Kerns hergestellt. Das gilt aber nicht für die Ribosomen selbst: Ihre zahlreichen Bestandteile werden bereits weitestgehend im Kern zusammengebaut. Dabei entstehen zwei große Molekülkomplexe, die prä-60S- und die prä-40S-Untereinheit. Beide werden dann durch die Kernporen in die Zelle geschleust und dort in einem finalen Schritt zum Ribosom zusammengesetzt.
Publikation:
Jan Andreas Ruland, Annika Marie Krüger, Kerstin Dörner, Rohan Bhatia, Sabine Wirths, Daniel Poetes, Ulrike Kutay, Jan Peter Siebrasse und Ulrich Kubitscheck
Nuclear export of the pre-60S ribosomal subunit through single nuclear pores observed in real time
Nature Communications
Das Team der Universität Bonn und der ETH Zürich hat nun gefilmt, wie der Export der größeren prä-60S-Untereinheit genau abläuft. „Wir haben dazu die Kernporen mit einem grünen Farbstoff angefärbt und die prä-60S-Einheit in rot“, erklärt Prof. Dr. Ulrich Kubitscheck vom Institut für physikalische und theoretische Chemie der Universität Bonn. Die Aufzeichnung selbst erfolgte mit Hilfe eines Spezialmikroskops, das die Forschenden für diesen Zweck zudem eigens umgebaut hatten.
Gelpropfen als Poren-Stöpsel
„Auf diese Weise ist es uns weltweit erstmalig gelungen, den Durchtritt einzelner Ribosomen-Bestandteile durch eine Pore live festzuhalten“, sagt der Erstautor der Studie Dr. Jan Ruland, der in Kubitschecks Arbeitsgruppe promoviert hat. Das ist alles andere als trivial: Der Kern menschlicher Zellen ist von mehreren Tausend Poren geradezu übersät. Jede von ihnen hat gerade einmal einen Durchmesser von etwa ein Zehntausendstel Millimeter. Grundlage des Erfolgs sind Fortschritte der Mikroskopietechnik, aber auch mehr als zehn Jahre Forschungsarbeit, in denen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre Methode immer weiter optimiert haben.
Der Transport durch die Poren ist ein komplexer Vorgang: Diese sind mit einer Art Gel verschlossen, der den Durchtritt größerer Moleküle normalerweise verhindert. Die Untereinheiten der Ribosomen sind riesig; ohne Helfer könnten sie den Kern nicht verlassen. Sie umgeben sich daher mit bestimmten Molekülen, den Export-Rezeptoren. Dadurch können sie den Gelpropfen gewissermaßen „durchschwimmen“. „An der Außenseite jeder Pore sitzt ein Protein-Greifarm, der die Ribosom-Einheit herauszieht“, erklärt Kubitschecks Mitarbeiter Dr. Jan Peter Siebrasse.
Durchtritt dauert nur 25 Millisekunden
Dieser Schritt scheint der „Flaschenhals“ des Transportprozesses zu sein. „Wir konnten zeigen, dass sich die prä-60S-Einheiten genau an der Stelle stauen, an der das Protein-Ärmchen in die Pore greift“, sagt Siebrasse, der wie Kubitscheck Mitglied im Transdisziplinären Forschungsbereich „Bausteine der Materie und fundamentale Wechselwirkungen“ (TRA Matter) ist. Dennoch geht der Export relativ rasch vonstatten - die Beteiligten der Studie schätzen, dass 35 bis 50 Untereinheiten pro Sekunde durch eine einzige Pore treten können.
Wir haben die aktuellen technischen Möglichkeiten so gut wie ausgereizt. Nicht ohne Grund haben die Gutachter unsere Studie als Referenz bezeichnet, von der hoffentlich auch andere Gruppen profitieren können.“
Prof. Dr. Ulrich Kubitscheck, Universität Bonn
Die Auswertung der Filme zeigt aber auch, dass der Export nicht immer klappt. Nur in jedem dritten Fall, in dem eine prä-60S-Einheit mit einer Pore in Kontakt trat, gelangte sie dann tatsächlich aus dem Zellkern. In den restlichen Fällen wurde der Vorgang dagegen abgebrochen - möglicherweise, weil zeitgleich noch andere Moleküle aus dem Kern transportiert wurden, spekuliert Kubitscheck.
Die Studie gibt detailliertere Einblicke in die Entstehung der Ribosomen. Zudem eignet sich die Methode auch für die Untersuchung anderer Transportprozesse.
Beteiligte Institutionen und Förderung
An der Studie waren auch Wissenschaftlerinnen der ETH Zürich maßgeblich beteiligt. Die Arbeiten wurden durch die Universität Bonn und den Schweizerischen Nationalfonds gefördert.
Diese Newsmeldung wurde mit Material der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.