Hilfreiche Katzenverwandtschaft und die genetische Vielfalt des bedrohten Iberischen Luchses
Bio-News vom 16.01.2024
Auch vom Aussterben bedrohte und genetisch stark erodierte Tierarten wie der Iberische Luchs (Lynx pardinus) können unter bestimmten Umständen ihre genetische Vielfalt wieder vergrößern, wenn sie sich etwa mit eng verwandten Arten vermischen. Das belegt die Studie eines internationalen Forschungsteams unter der Leitung der Doñana Biological Station in Spanien, an dem auch der Potsdamer Evolutionsbiologe Prof. Dr. Michael Hofreiter beteiligt ist.
Dabei konnten die Forschenden nachweisen, dass sich der Iberische Luchs in den vergangenen zwei- bis viertausend Jahren mit dem Eurasischen Luchs (Lynx lynx) gekreuzt hat, was zu einer Erhöhung seiner genetischen Vielfalt beigetragen haben dürfte. Diese Erkenntnisse geben nicht nur Aufschluss über die Evolutionsgeschichte einer der seltensten Katzenarten der Welt, sondern sind auch von allgemeinem Interesse für Strategien zur Erhaltung von bedrohten Arten
Publikation:
Maria Lucena-Perez, Johanna L. A. Paijmans, Francisco Nocete, Jordi Nada5, Cleia Detry, Love Dalén, Michael Hofreiter, Axel Barlow, José A. Godoy
Recent increase in species-wide diversity after interspecies introgression in the highly endangered Iberian lynx
Nat Ecol Evol (2024)
DOI: 10.1038/s41559-023-02267-7
Für die Studie analysierte das Team die DNA von drei fossilen Exemplaren des Iberischen Luchses: eines aus Andújar, das auf etwa 4.300 Jahre datiert wurde, eines aus Alcanar in Katalonien (2.500 Jahre) und eines aus der Algarve in Portugal (2.100 Jahre). Beim Vergleich der Ergebnisse mit den genetischen Daten heutiger Individuen stellten die Forschenden etwas völlig Unerwartetes fest: Die genetische Vielfalt der alten Luchse war geringer als die der heutigen Luchse. Da die Population des Iberischen Luchses im Laufe der Zeit abnahm, sollte die genetische Vielfalt heute lebender Exemplare jedoch geringer und nicht höher sein.
Das Forschungsteam fand eine mögliche Erklärung dafür in der sogenannten Hybridisierung. „Die Analysen ergaben, dass die modernen Luchse mehr genetisches Material mit ihrer Schwesterart, dem Eurasischen Luchs, teilen als die älteren Luchse“, sagt die Erstautorin der Studie María Lucena, die diese Arbeit im Rahmen ihrer Doktorarbeit an der Biologischen Station Doñana – CSIC durchgeführt hat.
„Dies deutet darauf hin, dass in den letzten zweitausend Jahren ein genetischer Austausch zwischen den beiden Arten stattgefunden hat.“ Die Ergebnisse zeigen außerdem, dass die jüngeren der alten Exemplare des Iberischen Luchses – aus Katalonien und der Algarve – mehr genetische Varianten des Eurasischen Luchses aufweisen als die älteren Exemplare aus Andújar. Das Verbreitungsgebiet des Iberischen Luchses könnte sich vor Tausenden von Jahren bis nach Südfrankreich und Norditalien erstreckt haben, während der Eurasische Luchs bis vor wenigen Jahren den Norden der iberischen Halbinsel bewohnte, was einen Genaustausch zwischen den beiden Arten ermöglichte. Der Genfluss vom Eurasischen Luchs zum Iberischen Luchs hätte sich dann auf alle modernen Populationen ausgebreitet.
Die Erkenntnisse der Studie könnten auch für die Bemühungen um den Schutz bedrohter Arten relevant sein. Die genetische Vielfalt ist eine wesentliche Voraussetzung für Arten, sich an Veränderungen in ihrer Umwelt anpassen zu können. Deshalb sind gerade Arten, deren Populationen drastisch geschrumpft sind, doppelt bedroht – wie der Iberische Luchs: Obwohl sich seine Population in den ersten Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts etwas erholt hat, verfügt der Iberische Luchs noch nicht über eine Mindestpopulationsgröße, die eine akzeptable genetische Vielfalt in der Zukunft gewährleistet. Könnte die Hybridisierung mit anderen Arten dieses Problem lösen? Die Einführung von entfernt verwandten Individuen in gefährdete und genetisch deprivierte Populationen als Erhaltungsstrategie ist durchaus umstritten.
„Unsere Ergebnisse ergänzen die sich häufenden Belege für natürliche Vermischung und Introgression in den Genomen vieler Arten und zeigen, dass dies zu einem Anstieg der vorhandenen genetischen Vielfalt in genetisch stark erodierten Populationen führen kann“, sagt Michael Hofreiter. „Insofern sollte man die strikte Vermeidung interspezifischer Quellen bei Maßnahmen zur genetischen Wiederherstellung möglicherweise überdenken und sorgfältig prüfen – vor allem dann, wenn – wie beim Iberischen Luchs –keine zusätzliche Population der gleichen Art vorhanden ist, so dass eine eng verwandte Art die einzige Quelle für neue genetische Vielfalt sein könnte.“
Diese Newsmeldung wurde mit Material der Universität Potsdam via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.