Machtspiele um Dominanz: Verhaltensmuster zwischen Geschlechtern bei 9 Säugetierarten
Bio-News vom 07.11.2022
Das stärkere und aggressivere Geschlecht dominiert das schwächere Geschlecht - Diese Sichtweise von Dominanzbeziehungen zwischen Weibchen und Männchen ist weit verbreitet. Sie wird aber der Komplexität von Dominanzbeziehungen im Tierreich nicht gerecht. Ein Forschungsteam erstellte nun zwischengeschlechtliche Dominanzhierarchien von neun gruppenlebenden Säugetieren mit Hilfe einer Reihe von standardisierten Methoden und Verhaltensweisen.
Das Forschungsteam unter Beteiligung Leibniz-IZW erstellte zwischengeschlechtliche Dominanzhierarchien von neun gruppenlebenden Säugetieren mit Hilfe einer Reihe von standardisierten Methoden und Verhaltensweisen. Die daraus resultierenden Hierarchien waren praktisch identisch, was bedeutet, dass die angewendeten Methoden robust sind und sich für die Erforschung von Dominanzbeziehungen zwischen den Geschlechtern eignen. Außerdem stellte das Team fest, dass sich die Tiere in weiblich dominierten Gesellschaften eher auf unterwürfige Signale und Gesten verließen, um ihre Dominanz zu etablieren und aufrechtzuerhalten, während sie sich in männlich dominierten Gesellschaften hauptsächlich aggressiver Verhaltensweisen bedienten.
Publikation:
Kappeler PM, Huchard E, Baniel A, Canteloup C, Charpentier MJE, Cheng L, Davidian E, Duboscq J, Fichtel C, Hemelrijk CK, Höner OP, Koren L, Micheletta J, Prox L, Saccà T, Seex L, Smit N, Surbeck M, van de Waal E, Girard-Buttoz C
Sex and dominance: How to assess and interpret intersexual dominance relationships in mammalian societies
Front. Ecol. Evol. 10. (2022)
In Gruppen lebende Tiere bilden in der Regel Dominanzhierarchien, um körperliche Auseinandersetzungen und Verletzungen zu vermeiden. Diese Hierarchien lassen sich aus Begegnungen zwischen jeweils zwei Gruppenmitgliedern ableiten; das Tier, das sich dabei unterwürfig verhält, ist das Unterlegene und tiefer rangige. Bei vielen Arten konkurrieren Männchen und Weibchen um Ressourcen und interagieren häufig miteinander. In der Wissenschaft sind jedoch separate Hierarchien für jedes Geschlecht und geschlechtsspezifische Theorien zur Untersuchung der sozialen Dominanz die Regel. Dies liegt daran, dass Dominanz oft durch körperliche Stärke bestimmt wird, und Männchen und Weibchen sich bei vielen Arten in Größe und Stärke unterscheiden.
Bei diesem traditionellen Ansatz wird außer Acht gelassen, dass Dominanz auch durch Merkmale bedingt sein kann, die nichts mit körperlichen Eigenschaften zu tun haben, wie beispielsweise soziale Unterstützung, und die unabhängig vom Geschlecht sind. „Die binäre Sichtweise von entweder weiblich oder männlich dominierten Gesellschaften ist auch deshalb zu einfach, weil wir inzwischen wissen, dass Dominanz entlang eines Gradienten variiert, der auch Gesellschaften einschließt, in denen sich Männchen und Weibchen die Macht teilen“, sagt Erstautor Prof. Peter Kappeler vom Deutschen Primatenzentrum ¬– Leibniz-Institut für Primatenforschung (DPZ). Die Erforschung zwischengeschlechtlicher Dominanzbeziehungen wird zudem dadurch erschwert, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler je nach Studienart und Kontext unterschiedliche Methoden zur Erstellung von Hierarchien. „Wir brauchen dringend standardisierte methodische Ansätze und einen breiteren theoretischen Rahmen zur Erforschung von Dominanzbeziehungen zwischen den Geschlechtern“, sagt Prof. Kappeler.
In einem ersten Schritt auf dem Weg zu diesem Ziel sammelte das Wissenschaftsteam Verhaltensbeobachtungen und ermittelte inner- und zwischengeschlechtliche Dominanzhierarchien bei neun Säugetierarten: Tüpfelhyänen, Klippschliefer und sieben Primaten – Larvensifaka, Rotstirnmaki, Bärenpaviane, Schopfmakaken, Mandrills, Grüne Meerkatzen und Bonobos. Dazu setzten sie eine Reihe von allgemein angewandten Methoden ein und berechneten den Grad der Dominanz der Weibchen gegenüber den Männchen anhand von fünf verschiedenen Indizes. Anschließend untersuchten sie, ob es einen Zusammenhang zwischen dem Grad der weiblichen Dominanz bei einer Art und der Art und Weise gibt, wie die Dominanz hergestellt und aufrechterhalten wird, insbesondere wie stark sich die Tiere auf aggressive Handlungen (z. B. Schnappen und Beißen) im Vergleich zu unterwürfigen Signalen (z. B. Anlegen der Ohren und Senken des Hinterns) verlassen.
Das Team fand heraus, dass die Rangordnung der Individuen in der Hierarchie unabhängig von den verwendeten Methoden gleich war und dass alle Indizes für weibliche Dominanz gut miteinander korrelierten. „Das zeigt, dass die Methoden zur Bestimmung zwischengeschlechtlicher Hierarchien vergleichbar sind und die zugehörigen Maße für den Grad der weiblichen Dominanz robust sind“, sagt Koautor Dr. Oliver Höner vom Leibniz-IZW. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bestätigten außerdem, dass die intersexuelle Dominanz entlang eines Kontinuums von strikter weiblicher Dominanz bis hin zu strikter männlicher Dominanz variiert.
Die wissenschaftliche Untersuchung ergab zudem einen auffälligen Unterschied im Dominanzverhalten zwischen männlich und weiblich dominierten Gesellschaften. „Je höher der Grad der weiblichen Dominanz in einer Spezies war, desto seltener setzten die Tiere Aggressionen ein, um ihre Dominanzbeziehungen aufrechtzuerhalten“, erklärt die Koautorin Dr. Elise Huchard vom Institut des Sciences de l'Évolution de Montpellier (ISEM), Frankreich. „Bei stark weiblich dominierten Arten wie Tüpfelhyänen zeigen Tiere beiderlei Geschlechts häufiger unterwürfige Signale und Gesten und setzen seltener aggressive Handlungen ein als bei männlich dominierten Arten wie Bärenpavianen.“ Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass in Gesellschaften, in denen die Dominanz eher bei den Weibchen liegt, Signale besonders wichtig für die Strukturierung des sozialen Lebens sind und dadurch Aggression vermieden werden kann.
„Die Tatsache, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die an verschiedenen Arten arbeiten, oft unterschiedliche Instrumente, Methoden und Verhaltensweisen zur Untersuchung der Dominanz verwenden, hat dazu beigetragen, dass die Fortschritte auf diesem Gebiet begrenzt sind“, so Dr. Höner. „Mit dieser Arbeit zeigen wir, dass wir über robuste methodische Werkzeuge verfügen, um die Beziehungen zwischen den Geschlechtern bei gruppenlebenden Arten auf standardisierte Weise zu untersuchen." Die Arbeit liefere daher wichtige Grundlagen für künftige Studien zur Untersuchung der ökologischen und evolutionären Ursachen für die Variation zwischengeschlechtlicher Beziehungen bei Tiergesellschaften.
Diese Newsmeldung wurde mit Material des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) im Forschungsverbund Berlin e.V. via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.