Neues von den Eichhörnchen in Berlin



Bio-News vom 20.09.2022

Eichhörnchen gehören zu den in Großstädten wie Berlin am häufigsten gesichteten Wildtieren. Die Verteilung ihrer Lebensräume gleicht jedoch eher einem Flickenteppich, fand ein Wissenschaftsteam nun mit Hilfe von Computermodellen und Eichhörnchen-Sichtungen von Bürgerwissenschaftler:innen heraus. Die Modelle führen die Sichtungen mit verschiedenen Umweltparametern zusammen und sind so ein wichtiges Instrument für die Stadtplanung, da sie Gegenden identifizieren, in denen Korridore zur Verbindung fragmentierter Lebensräume fehlen.

Auch in Großstädten wie Berlin sind Eichhörnchen – genauer gesagt das rote Eurasische Eichhörnchen (Sciurus vulgaris) – eine Allerweltsart. Häufige Sichtungen täuschen jedoch darüber hinweg, dass die Großstadt für die Nagetiere ein herausforderndes Pflaster ist und geeignete Lebensräume klein und fragmentiert sind. Diese „Inseln“ im Meer der Metropole sind häufig isoliert, dazu stellen Straßen und freilaufende Hauskatzen für die Tiere große Herausforderungen dar.


Eichhörnchen in Berlin.

Publikation:


Grabow M, Louvrier JLP, Planillo A, Kiefer S, Drenske S, Börner K, Stillfried M, Hagen R, Kimmig S, Straka TM, Kramer-Schadt S
Data-integration of opportunistic species observations into hierarchical modeling frameworks improves spatial predictions for urban red squirrels
Front. Ecol. Evol. 10:881247 (2022)

DOI: 10.3389/fevo.2022.881247



Daher weisen städtische Eichhörnchen kleinere Aktionsradien auf als ihre Artgenossen in großen, zusammenhängenden Lebensräumen. Eine weitere Verdichtung des Gebäudebestands in der Stadt könnte die Konnektivität der fragmentierten Habitate weiter verschlechtern und die einzelnen Populationen näher an den Rand ihres „Existenzminimums“ bringen. Auch die zunehmende Bildung von Hitzeinseln in Städten durch den Klimawandel könnte ihnen zusetzen. Daher ist das nun publizierte Wissen über die Verbreitung und das Sterberisiko der Eichhörnchen in Abhängigkeit von der Verortung baulicher Strukturen und anderer Umweltvariablen wichtig für die Stadtplanung und den Umgang mit städtischen Frei- und Grünflächen.


Eichhörnchen in Berlin.

Dieses Wissen entsprang einer Zusammenführung und mathematischer Modellierung von Daten am Leibniz-IZW und dem Berlin-Brandenburgischen Institut für Biodiversitätsforschung (BBIB). „Wir konnten auf Daten aus zwei Citizen-Science-Projekten zurückgreifen, in denen Berliner Bürgerinnen und Bürger Eichhörnchen-Sichtungen meldeten oder die Tiere über Wildtierkameras in Stadtgärten registriert wurden“, sagt Prof. Stephanie Kramer-Schadt, Leiterin der Abteilung für Ökologische Dynamik am Leibniz-IZW und Professorin für Planungsbezogene Tierökologie an der Technischen Universität Berlin (TUB).


Eichhörnchen Sciurus vulgaris fuscoater auch in München...
...beim Heranschaffen von Baumaterial.

„Diese Daten weisen unterschiedliche Qualität und Grade an Strukturiertheit auf: Beispielsweise waren die Wildtierkameras mittels eines 2x2-Kilometer-Rasters in Berlin gleichmäßig verteilt, während die Sichtungen zufällig dort und dann erfolgten, wo die Menschen die Tiere eben gesehen haben“, ergänzt Marius Grabow, Doktorand in Kramer-Schadts Abteilung und Erstautor der Veröffentlichung. Das Team um Grabow und Kramer-Schadt entwarf mit unterschiedlichen Methoden mehrere mathematische Computermodelle, die das Vorkommen von Eichhörnchen anhand von Umweltvariablen bestmöglich vorhersagten. Zu den Umweltvariablen zählten beispielsweise der Abstand zur nächsten Grünfläche, der Abstand zur nächsten Straße, Baumbestand und -alter, nächtliche Temperaturen oder Versiegelungsgrad.

„Unser Ziel war, es räumliche Modelle so zu verbessern, dass wir anhand vorhandener Umweltdaten möglichst genaue Vorhersagen zum tatsächlichen Vorkommen der Tiere treffen können – die großartigen Daten der Bürgerwissenschaftler:innen waren dafür unsere Referenz“, sagt Grabow. Das Team identifizierte mit den Modellen kritische Hotspots, wo die Verbindung von Lebensraum-Inseln besonders wichtig ist. Dies ist beispielsweise an der Elsenstraße/Elsenbrücke in Treptow der Fall, wo die Spree und die breiten Fahrbahntrassen die Grünflächen im Treptower Park, auf der Halbinsel Stralau und im Schlesischen Busch/Görlitzer Park trennen. Ebenso „einschneidend“ sind die Trasse der A111 im Tegeler Forst und Frohnau sowie die Bahn- und Stadtautobahntrassen zwischen dem Tempelhofer Feld und den Grünanlagen in Britz. Positiv fiel ein wichtiger und langer Korridor für Eichhörnchen auf, der durch mehrere Grünanlagen an der Spree gebildet wird. „Dieser Gürtel hat das Potenzial, Stadtteile in Ost und West zu verbinden und ist lediglich durch einzelne, massive bauliche Barrieren unterbrochen“, so Grabow.

„Die häufige Sichtung von Eichhörnchen in Berlin verleitet nicht nur zu der Fehlannahme, dass sie in der Großstadt sehr gute Lebensraumbedingungen vorfinden, sondern führt auch zu dem Irrglauben, dass wir recht viel über ihre Lebensweise und Gesundheit wissen“, so Ko-Autorin Sinah Drenske vom Leibniz-IZW. „Viel vermeintliches Wissen über ihre Bewegungsmuster, ihre Nahrung oder ihren Gesundheitszustand sind tatsächlich nur anekdotisches Wissen“, sagt Drenske, die am Leibniz-IZW und der TUB mit dem Projekt „Ökologie der Eichhörnchen in Berlin“ promoviert. Tatsächlich entdeckte Dr. Gudrun Wibbelt von der Abteilung für Wildtierkrankheiten am Leibniz-IZW in Kooperation mit dem Konsiliarlabor für Pockenviren am Robert Koch-Institut vor wenigen Jahren ein bis dahin unbekanntes Pockenvirus für Eichhörnchen („Berlin Squirrelpoxvirus“), an welchem junge Eichhörnchen regelmäßig versterben.

Drenske wird in den kommenden 2 bis 3 Jahren immer wieder Eichhörnchen in Berlin mit Chips und Sendern markieren, vermessen und untersuchen, Proben nehmen und sie danach sofort wieder freilassen. Durch diese Langzeitbeobachtung wird das Projekt gesicherte Erkenntnisse zur Überlebensfähigkeit der Bestände und ihrer genetischen Struktur, zum Gesundheitszustand der Tiere, ihrem Bewegungsverhalten, ihrer Ernährung und ihren Ökosystemleistungen wie Samenverbreitung erbringen. „Die Modelle zur Verbreitung der Eichhörnchen, die auf den bürgerwissenschaftlichen Daten beruhen, dienen dabei zur Auswahl der Untersuchungsorte entlang eines urbanen Gradienten in Berlin“, sagt Dr. Conny Landgraf, beteiligte Wissenschaftlerin im Eichhörnchenprojekt. Es gäbe Anzeichen, dass Städte Refugien für Eichhörnchen darstellen können, z.B. aufgrund der abweichenden Zusammensetzung an Beutegreifern gegenüber ländlichen Räumen und der Zufütterung durch Anwohner. Dennoch wisse man nicht, wie es den Eichhörnchen gesundheitlich gehe, wie viele es gibt und wie sich verschiedene Gefahren (wie Straßen oder nicht artgerechte Nahrung) auf die Gesundheit der Eichhörnchen auswirken, so Drenske. „Bevor es in Berlin zu einem Populationsrückgang kommt, wollen wir das Wissen generieren, das helfen kann, die Eichhörnchen-Bestände in der Stadt langfristig zu sichern.“


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) im Forschungsverbund Berlin e.V. via Informationsdienst Wissenschaft erstellt

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