Wie Seeigellaven ihre Kalkskelette vor Übersäuerung schützen



Bio-News vom 12.08.2021

Seeigel sind ideale Modellorganismen, um den Prozess der Kalzifizierung – die Bildung von Kalkschalen und Skeletten – sowie Anpassungsmechanismen an veränderte Umweltbedingungen im Ozean zu erforschen. Bereits die mikroskopisch kleinen Larvenstadien von Seeigeln bilden Skelette aus Kalziumkarbonat – wie genau ist heute allerdings noch ein weitgehend unbekannter und hochkomplexer physiologischer, chemischer und physikalischer Prozess.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und der Humboldt Universität Berlin ist es nun gelungen, einen wesentlichen funktionalen Baustein in diesem vielschichtigen Prozess zu entschlüsseln: Eine neue, kürzlich entdeckte Familie an Protonenkanälen, sogenannte Otopetrine, sind dafür verantwortlich, dass die Säure (Protonen), die bei der Bildung von Kalk in Zellen entsteht, vom Ort der Kalkbildung entfernt wird. Dieser Schritt ist von entscheidender Bedeutung, da sich sonst der Kalk, der beispielsweise für den Aufbau von Schalen oder Skeletten benötigt wird, auflösen würde und die kalkbildenden Zellen übersäuert. Die Ergebnisse sind kürzlich in der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS)“ erschienen und verdeutlichen zum ersten Mal die physiologische Rolle von Otopetrinen bei der Bildung von Kalziumkarbonat in tierischen Zellen. Die Studie trägt darüber hinaus entscheidend zum besseren Verständnis der pH-Regulierung in kalzifizierenden Systemen bei und zeigt auf, wie die Kalkbildung von Organismen vor dem Hintergrund tiefgreifender Veränderungen im Ökosystem Ozean etwa durch die zunehmende Versauerung beeinflusst wird.


Aufnahme einer Seeigellarve unter dem Fluoreszenzmikroskop.

Publikation:


William W. Chang, Ann-Sophie Matt, Marcus Schewe, Marianne Musinszki, Sandra Grüssel, Jonas Brandenburg, David Garfield, Markus Bleich, Thomas Baukrowitz, Marian Y. Hu
An otopetrin family proton channel promotes cellular acid efflux critical for biomineralization in a marine calcifier

PNAS, Jul 2021, 118 (30) e2101378118

DOI: 10.1073/pnas.2101378118



„Mit unserer Arbeit haben wir einen Schlüsselmechanismus im Mineralisierungsprozess identifiziert, der für viele kalkbildende Arten und ihre Reaktionen auf Veränderungen des pH-Werts in der Umwelt von Bedeutung ist. Otopetrine bilden in kalzifizierenden Zellen der Seeigellarve ein Ventil für Protonen, um die Bildung des Kalkskelettes vor Übersäuerung zu schützen“, sagt Dr. Marian Hu, Leiter der Studie am Physiologischen Institut der CAU. „Da bei Otopetrinen die Richtung des Protonenflusses aus den kalzifizierenden Zellen durch den Umwelt-pH-Wert vorgegeben wird, stellt der pH-Wert des Meeres einen entscheidenden Faktor für den erfolgreichen Aufbau von Kalkschalen mariner Organismen dar“, so Meeresforscher Hu, der mit seiner Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe am Physiologischen Institut der Uni Kiel die zellulären Prozesse der pH-Regulierung bei der Kalkbildung von Seeigeln und anderen marinen Organismen erforscht.

Im Rahmen ihrer Untersuchung an den mikroskopisch kleinen, nur 0,3 Millimeter großen Organismen haben die Forschenden unterschiedliche Methoden wie die zelluläre pH-Messung, molekulare Methoden oder die Heterologen-Charakterisierung vom Seeigel Otopetrin in Xenopus Oocyten angewendet – Verfahren, die besonders an der Kieler Universität durch die langjährige enge Zusammenarbeit von Medizinerinnen und Mediziner am Institut für Physiologie und Meeresforschenden entwickelt wurden. Die Seeigellarve als kleiner und transparenter mariner Organismus ist dabei ideal für alle zellulären Untersuchungen mit molekularen Methoden, mithilfe derer auch komplexe genetische Prozesse erforscht werden können.


Kalkskelette von Seeigeln. Seeigel sind ideale Modellorganismen, um den Prozess der Kalzifizierung – die Bildung von Kalkschalen und Skeletten – sowie Anpassungsmechanismen an veränderte Umweltbedingungen im Ozean zu erforschen.

Die Ergebnisse der Studie sind auch deshalb von hoher Bedeutung für die Erforschung des Klimawandels, da marine Organismen wie Seeigel oder Korallen in der Lage sind, ein metabolisches Abfallprodukt – in dem Fall CO2, das bei der Stoffwechselproduktion entstanden ist – zu nutzen, um ihre Schalen und Skelette herzustellen. „Ein besseres Verständnis für die zellulären Mechanismen der Biomineralisation könnten daher auch eine Grundlage für lösungsorientierte Technologien zur Bindung und Nutzung von Atmosphärischem CO2 sein. Wir könnten also von der Natur lernen“, resümiert Dr. William Chang, Erstautor der Studie und Postdoc in der Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe an der Uni Kiel.


Diese Newsmeldung wurde mit Material der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.


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