Wie hängen Chemikalieneinsatz und der Verlust der Artenvielfalt zusammen?
Bio-News vom 29.06.2023
Chemikalien in der Umwelt werden in der Wissenschaft nicht ausreichend als eine der Ursachen für den Schwund der Artenvielfalt in den Blick genommen. Dies zeigen 40 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Forschungsnetzwerks RobustNature in einer Studie, die kürzlich veröffentlicht wurde. Die Forschenden sehen in einem interdisziplinären Ansatz eine neue Chance, den Verlust der Biodiversität besser zu verstehen, um effizienter Gegenmaßnahmen ergreifen zu können. Dazu untersuchen sie die Wechselwirkungen zwischen chemischer Belastung und Biodiversitätsverlust.
Der Rückgang der biologischen Vielfalt bedroht die Lebensgrundlagen der Menschheit. Die Wissenschaft macht eine ganze Reihe von Gründen für diesen Rückgang verantwortlich.
RobustNature
Der Forschungsverbund RobustNature widmet sich dem Thema Robustheit und Resilienz von Natur-Gesellschaftssystemen im sich entwickelnden Anthropozän und speziell der Interaktion von chemischer Belastung und Biodiversitätsverlust.
Mit Partnern aus dem In- und Ausland hat RobustNature eine interdisziplinäre Zusammenarbeit entwickelt, um wichtige Fragestellungen zur Mensch-Ökosystem-Dynamik anzugehen.
Während allerdings der Zusammenhang zwischen dem Artenschwund einerseits und andererseits dem Verlust von Lebensräumen, dem Eindringen nicht-heimischer Arten oder dem Klimawandel intensiv erforscht wird, schenkt die Wissenschaft den Auswirkungen von Chemikalien auf die Biodiversität weniger Aufmerksamkeit. Das belegt ein Forscherteam um Prof. Henner Hollert, Dr. Francisco Sylvester und Fabian Weichert von der Goethe-Universität Frankfurt in einer aktuellen Studie.
Publikation:
Sylvester, F., Weichert, F.G., Lozano, V.L. et al.
Better integration of chemical pollution research will further our understanding of biodiversity loss
Nat Ecol Evol (2023)
DOI: 10.1038/s41559-023-02117-6
Das Team hat die wissenschaftliche Literatur der Jahre 1990 bis 2021 zum Thema umfassend analysiert. Demnach werden die sehr zahlreichen Forschungsarbeiten zur Umweltbelastung durch Chemikalien in einer nur geringen Anzahl hochspezialisierter ökotoxikologischer Fachzeitschriften veröffentlicht, in denen nur sehr selten Arbeiten über den Verlust der Artenvielfalt zu finden sind.
„Das lässt auf eine starke Abkapselung des Fachgebietes schließen und steht im starken Gegensatz zu dem Publikationsverhalten, wenn es um andere Ursachen des weltweiten Biodiversitätsverlustes geht“, sagt Henner Hollert. „Die Forschung zur Umweltbelastung durch Chemikalien erfolgt bis heute meist losgelöst von der Bewertung des Verlusts der biologischen Vielfalt.“
Das Autorenteam fordert eine stärkere interdisziplinäre Ausrichtung der Forschungsaktivitäten, um die Auswirkungen von chemischen Stoffen auf die Biodiversität besser verstehen und mildern zu können. Hoffnungsvoll stimmt die Forschenden dabei, dass es in den letzten Jahren eine ganze Reihe von methodischen Fortschritten im Bereich der Ökotoxikologie und Ökologie gab. So lassen sich etwa in Umweltproben mit Hilfe moderner chemischer und effektbasierter Analytik sowie Big-Data-Wissenschaft Tausende von bekannten und unbekannten Substanzen gleichzeitig aufspüren. Hinzu kommen unter anderem Technologien zur Umweltfernüberwachung etwa mit Satelliten, Computermodelle zur Vorhersage ökologischer Risiken von Chemikalien oder Methoden zur Bestimmung der Artenvielfalt mit Hilfe von Umwelt-DNA.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sehen allerdings auch Herausforderungen, die trotz interdisziplinärem Ansatz erheblich sind. So fehlen häufig grundlegende Daten; jedes Untersuchungsgebiet hat spezifische Merkmale; die Prozesse auf der Skala eines Ökosystems sind komplex. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, geben die Forschenden 16 Empfehlungen. So schlagen sie beispielsweise vor, die Industrie zu verpflichten, relevante Daten öffentlich zu machen. Oder sie regen an, ökologische Testmodelle zu entwickeln, die nicht nur einzelne Organismen, sondern auch Populationen, Gemeinschaften oder gar Ökosysteme erfassen.
Diese Newsmeldung wurde mit Material der Goethe-Universität Frankfurt am Main via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.