Wie man Giftschlangen auf den Zahn fühlt



Bio-News vom 17.09.2023

Nicht nur in den Tropen führen Schlangenbisse zu gefährlichen Vergiftungen – auch Bisse europäischer Giftschlangen können ernste körperliche Beschwerden hervorrufen. Doch ihr Gift enthält auch Wirkstoffe, die künftig gegen bakterielle Krankheitserreger eingesetzt werden könnten. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Gießener Fraunhofer Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie IME und des hessischen LOEWE-Zentrums für Translationale Biodiversitätsgenomik erforschen die Gifte europäischer Schlangen und haben kürzlich den Giftcocktail der in Griechenland heimischen Milosviper entschlüsselt.

Kobras, Mambas oder Klapperschlangen – dass von solchen Giftschlangen eine Gefahr für Leib und Leben ausgehen kann, ist sicherlich den meisten Menschen bewusst. Weltweit ereignen sich jährlich beinahe drei Millionen Schlangenbisse, die bis zu hunderttausend Todesopfer fordern, vor allem in tropischen Regionen. Die Weltgesundheitsorganisation hat daher bereits vor kurzem Schlangenbisse als vernachlässigte Tropenkrankheit eingestuft.


Das Gift der Milosviper (Macrovipera schweizeri), hier ein ausgewachsenes Tier auf der Insel Milos, wurde nun erstmals aufgeschlüsselt.

Publikation:


Lennart Schulte, Maik Damm, Ignazio Avella, Lilien Uhrig, Pelin Erkoc, Susanne Schiffmann, Robert Fürst, Thomas Timm, Günter Lochnit, Andreas Vilcinskas, Tim Lüddecke
enomics of the Milos viper (Macrovipera schweizeri) unveils patterns of venom composition and exochemistry across blunt-nosed viper venom

Frontiers in Molecular Biosciences (2023)

DOI: 10.3389/fmolb.2023.1254058



Doch auch in Europa gibt es Giftschlangen. Zwar geht von ihren Giftbissen häufig eine deutlich geringere Gefahr aus als von den tropischen Verwandten, dennoch können die Bisse einiger Arten Langzeitschäden und auch Todesfälle verursachen. Im Vergleich zu den Giftcocktails tropischer Schlangen sind die Gifte europäischer Tiere deutlich weniger erforscht. Hessische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler befassen sich daher in Forschungsprojekten mit den vernachlässigten Giften von Kreuzotter und Co. Dabei ist es den Forscherinnen und Forschern nun erstmals gelungen, die Giftzusammensetzung der berüchtigten Milosviper (Macrovipera schweizeri) zu entschlüsseln.



Lüddecke weiter: „Sie lebt nur auf wenigen Inseln der griechischen Kykladen, vor allem auf Milos. Trotz ihrer nahen Verwandtschaft zu diesen gefährlichen Tieren und ihrer einzigartigen ökologischen Nische auf den Kykladen war uns das Gift der Milosviper völlig unbekannt. Durch Anwendung modernster Massenspektrometrie, der so genannten Proteomics, konnten wir erstmals die Komponenten im Gift der Milosviper identifizieren. Wir können zeigen, dass ihr Giftcocktail nahezu identisch mit den Giften der verschiedenen Unterarten der Levanteviper ist und müssen schlussfolgern, dass es eine vergleichbare Potenz besitzt“, sagt Lüddecke.

„Um unsere Hypothesen zu überprüfen, haben wir die Effekte des Milosvipergifts im Labor experimentell bestimmt. So haben wir seine schädigende Wirkung auf Gewebe anhand verschiedener Zelltypen und die Aktivität von Eiweiß abbauenden Enzymen gemessen und mit denen der Levanteviper verglichen. Tatsächlich ähneln sich die Effekte von Milosviper- und Levanteviper-Giften sehr stark“, erklärt Lennart Schulte, Doktorand der Arbeitsgruppe und Erstautor der Studie. „Milosvipern sind keine angriffslustigen Tiere und beißen Menschen lediglich, um sich zu verteidigen. Wir müssen aber davon ausgehen, dass sie in der Lage sind, medizinische Notfälle zu verursachen“, so Schulte weiter.

Obwohl die Studie bestätigt, dass Milosvipern nicht ungefährlich sind, lassen sich aus ihrem Gift möglicherweise in der Zukunft biomedizinische Anwendungen ableiten. „Wir haben mehrere Toxine identifiziert, die zu Proteinklassen mit bekannter Wirksamkeit gegen bakterielle Krankheitserreger gehören. Diese lassen sich eventuell einsetzen, um neue Leitmoleküle für die Wirkstoffentwicklung gegen Infektionskrankheiten zu entwickeln“, erklärt Lüddecke. „Wir haben erste Aktivitätsstudien mit dem Gift durchgeführt und zeigen, dass es in der Tat starke Wirksamkeit gegen einige medizinisch relevante Bakterien aufweist. Nun gilt es, diese Komponenten zu isolieren und weiterzuentwickeln“, führt Lüddecke aus. Erste Experimente, um die Gifte der Milosviper und naher Verwandter in ihre Bestandteile aufzutrennen, werden gerade vorbereitet.

Die nun veröffentlichte Arbeit unterstreicht, dass es auch jenseits der besonders gefährlichen, tropischen Arten noch viel über Schlangengifte zu lernen gibt. „Es ist von enormer Bedeutung, dass wir ein besseres Verständnis zur Giftzusammensetzung, der Funktion und den Vergiftungserscheinungen auch von europäischen Giftschlangen entwickeln“, so Lüddecke. „Wir werden dieser Aufgabe nun mit besonderem Fokus nachgehen und dabei insbesondere unsere in Deutschland vorkommenden Arten ins Visier nehmen. Über deren Gifte wissen wir ebenfalls nur wenig“, ergänzt Schulte.


Diese Newsmeldung wurde mit Material der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.


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