Zelleigene Redakteure korrigieren genetische Fehler
Bio-News vom 01.03.2019
Fast alle Landpflanzen beschäftigen ein Heer von Redakteuren, die Fehler in ihrer Erbinformation berichtigen. Forscher der Universität Bonn haben nun Teile dieser Maschinerie in ein Bakterium übertragen. Ihre Ergebnisse bestätigen eine umstrittene These zur Funktionsweise dieses weit verbreiteten Mechanismus. Sie sind nun in der Zeitschrift Communications Biology der Nature Publishing Group erschienen.
Man könnte meinen, die genetische Maschinerie höherer Pflanzen sei von einem bürokratischen Umstandskrämer erdacht worden: Viele der pflanzlichen Erbanlagen enthalten kleine Fehler. Betroffen ist vor allem die DNA in den Kraftwerken ihrer Zellen, den Mitochondrien. Die Pflanze muss diese Fehler korrigieren, ansonsten würde ihre Energieversorgung zusammenbrechen. Sie macht das auch, aber auf einem denkbar komplizierten Weg: Sie verbessert nicht etwa die DNA, also die eigentliche Bauanleitung der Mitochondrien. Stattdessen berichtigt sie die Abschriften, die von dieser Bauanleitung hergestellt werden. Das ist etwa so, als würde man einen fehlerhaften Rundbrief tausendfach ausdrucken und dann auf jedem dieser Ausdrucke das falsch geschrieben Wort nachträglich korrigieren.
Mehr noch: Die Redakteure, die diese Berichtigungen vornehmen, sind absolute Spezialisten. Sie erkennen meist nur einen einzigen bestimmten Fehler. Manche Pflanzen verfügen daher über 500 oder mehr verschiedene Korrekturleser. „Die DNA-Abschriften bestehen aus RNA; wir nennen diesen Mechanismus daher RNA-Editing“, erklärt Prof. Dr. Volker Knoop vom Institut für Zelluläre und Molekulare Botanik der Universität Bonn. „Warum es ihn gibt und wie er im Einzelnen funktioniert, ist bislang erst in Ansätzen verstanden.“
Publikation:
Bastian Oldenkott, Yingying Yang, Elena Lesch, Volker Knoop und Mareike Schallenberg-Rüdinger
Plant-type Pentatricopeptide Repeat proteins with a DYW domain drive C-to-U RNA editing in Escherichia coli
Communications Biology
DOI: 10.1038/s42003-019-0328-3
Zumindest einer Antwort auf die zweite Frage sind Knoop und seine Mitarbeiter nun einen Schritt nähergekommen. Dazu haben sie einige Redakteure aus dem Laubmoos Physcomitrella patens in das Darmbakterium E. coli verfrachtet. „Wir wollten herausfinden, ob sie dort die bakterielle RNA editieren“, sagt Knoops Kollegin Dr. Mareike Schallenberg-Rüdinger. „Bislang war strittig, ob sie das alleine überhaupt können oder ob sie dazu Hilfe benötigen.“
Die meisten Forscher gehen nämlich davon aus, dass das RNA-Editing in der Regel ein zweischrittiger Prozess ist: Die Redakteure (die so genannten PPR-Proteine) erkennen den Fehler. Um ihn zu beheben, rufen sie dann eine Art RNA-Tippex zu Hilfe – ein Enzym namens Cytidin-Desaminase.
RNA-Tippex funktioniert auch in E. coli
Manche PPR-Proteine verfügen an ihrem Ende aber über eine bestimmte Abfolge von Aminosäuren, von denen man weiß, dass sie theoretisch als Cytidin-Desaminase wirken können. Sie tragen also möglicherweise ihr Fläschchen Tippex immer mit sich herum. „Tatsächlich konnten wir zeigen, dass diese Gruppe von PPR-Proteinen die RNA von E. coli editieren kann“, sagt Mareike Schallenberg-Rüdinger. „Sie benötigt dazu also keine separate Desaminase.“ Wenn die Wissenschaftler dagegen auch nur eine der wichtigen Tippex-Aminosäuren veränderten, büßte das PPR-Protein seine Korrektur-Fähigkeit ein.
Den Forschern ist es zudem gelungen, PPR-Proteine so zu programmieren, dass sie spezifisch bestimmte Fehler erkannten. „Experimente wie diese tragen dazu bei, dass wir das RNA-Editing besser verstehen“, erklärt Volker Knoop. „Dabei hilft uns vor allem auch der Modellorganismus E. coli, denn in Pflanzen wären sie nur mit viel größerem Aufwand durchzuführen.“
Mittelfristig erhoffen sich die Wissenschaftler auch eine Antwort auf die Frage, warum sich diese aufwändige Redaktions-Maschinerie im Laufe der Evolution überhaupt gebildet hat. Theorien dazu gibt es einige: So könnte das RNA-Editing Pflanzen erlauben, Mutationen gewissermaßen „zu sammeln“. So können sich vielleicht im Laufe der Zeit Kombinationen vieler verschiedener Veränderungen bilden, die einzeln schädlich oder gar tödlich wären, in ihrer Summe der Pflanze jedoch einen Überlebensvorteil bieten.
Der umständliche Prozess hätte demnach durchaus einen wichtigen Sinn: als Spielwiese der Evolution.
Diese Newsmeldung wurde via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.