Aerotoxisches Syndrom


Unter dem Begriff aerotoxisches Syndrom werden mögliche Gesundheitsschädigungen diskutiert, die durch Verunreinigung der Atemluft in der Kabine von Passagierflugzeugen ausgelöst werden können. Dabei werden hauptsächlich Probleme in der Zapfluft-Anlage als mögliche Ursache von Verunreinigungen der Atemluft genannt.[1]

Das aerotoxische Syndrom gilt als relativ unerforschtes Krankheitsbild, das gegenwärtig noch untersucht wird, obwohl es schon seit dem Ende der 1950er-Jahre bekannt ist.[2] Der Begriff stammt aus dem Jahr 1999 und wurde von Dr. Harry Hoffman, Professor Chris Winder und Jean Christophe Balouet Ph.D. eingeführt.

Über das aerotoxische Syndrom

Ablauf

Nahezu alle Verkehrsflugzeuge beziehen die Frischluft für die Kabine mittels einer Zapfluftanlage aus dem Verdichter des Triebwerkes. Bei fehlerhafter Abdichtung der Lager im Verdichter können Öl oder Öldämpfe in den Luftstrom des Triebwerks und von dort über die Zapfluftanlage in die Kabinenluft gelangen.

Triebwerksöle

Die Triebwerke werden mit einem speziellen Öl geschmiert, aus dem jedoch, wenn es erhitzt wird, hochgiftige bis nervenschädigende Dämpfe entstehen, die unter Umständen ungefiltert in die Atemluft der Passagierkabine gelangen können. Diese enthalten Stoffe wie Organo-Phosphate, Phenyl-Napthylamine und Trikresyl-Phosphat (TCP), die von mehreren Toxikologen als hochgefährlich eingestuft wurden.[3][4] Filter für die Reinigung der Kabinenluft gibt es nicht. Inzwischen wurde das giftige TCP im Blut von Passagieren gefunden.[5]

Vorkommen

Bekannte Fälle dieses Syndroms gibt es im Vergleich zur Anzahl durchgeführter Flüge sehr wenige - zumal nur ein Bruchteil überhaupt gemeldet wird. Das Luftfahrt-Bundesamt erfasst zwar Vorfälle, veröffentlicht sie jedoch nicht. Das britische Pendant, die Civil Aviation Authority, hat 2006 1050 derartige Vorfälle erfasst, wovon 444 davon auf Flugzeuge des Typs Boeing 757 und 233 weitere auf die BAe 146 entfallen, die damit die am häufigsten betroffenen Flugzeugtypen sind.[6]

Trivia

  • 2001 wurde in Australien die Aviation Organophosphate Information Site (AOPIS) gegründet, in der sich Piloten und Besatzungsmitglieder, die meinen, an einem aerotoxischen Syndrom zu leiden, organisieren.[7] Eine weitere Gruppe mit ähnlichen Zielen ist Aerotoxic Association, die auch in Deutschland aktiv ist.[8]
  • In Australien wurde einer Flugbegleiterin 97.000 Euro Schmerzensgeld gezahlt, nachdem sie Öldämpfen ausgesetzt war und seitdem an Atembeschwerden leidet. In Deutschland ist eine ähnliche Klage anhängig.[9]
  • Im August 2010 kündigte die Deutsche Lufthansa aufgrund höherer Kritik an, dass sie bei ihrem Bordpersonal Urinproben nehmen will. Diese werden auf das Nervengift TCP untersucht.[10]
  • Die Douglas DC-8 (außer bei den DC-8-70ern, bei denen teilweise Zapfluft verwendet wird)[11] und die Boeing 787 sind die einzigen Verkehrsflugzeuge, die die Atemluft nicht durch ein Zapfluftsystem einspeisen. Sowohl die heute kaum noch betriebenen Douglas DC-8, als auch die Boeing 787, verfügen zwar über ein Zapfluftsystem – beide nutzen dieses jedoch lediglich zur Enteisung bzw. bei der DC-8 (bis zur DC-8-63) auch zum Antrieb jener Kompressoren, die Außenluft für die Druckkabine ansaugen und verdichten,[12] sodass eine Kontaminierung der Kabinenluft durch Gase von Triebwerksölen unmöglich ist.
  • Am medizinischen Zentrum der Universität von Nebraska hat man das weltweit bisher einzige (Stand Oktober 2012) Verfahren entwickelt, mit dem sich anhand einer Blutprobe nachweisen lässt, ob eine Person TOKP - eine Variante der TCPs - ausgesetzt war. Bei dem Kopiloten, der im November 2011 unter starker Übelkeit, Würgereiz und Blutdruckabfall gelitten hatte, wurde TOKP im Blut festgestellt.[13]
  • Besatzungen leiden wegen des ständigen Aufenthaltes in trockener Luft vermehrt an Atemwegsproblemen und einem schlechten Geruchssinn. [13]
  • Bisher haben nur die neuen Boeing 787 separate elektrische Kompressoren eingebaut, mit dem Ziel, Gewicht und Kraftstoffverbrauch zu senken. Airbus entschied sich beim Konkurrenzmodell Airbus A350 für die klassische Methode, sie benötige weniger Wartung. [13]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. http://www.aerotoxic.org/ueber-das-aerotoxische-syndrom
  2. http://www.welt.de/wissenschaft/article6055457/Gefaehrliche-Giftschwaden-in-Passagier-Flugzeugen.html
  3. http://www.wdr.de/tv/markt/sendungsbeitraege/2010/0329/00_aerotoxic.jsp
  4. http://www.aerotoxic.org/index.php/ueber-das-aerotoxische-syndrom
  5. http://www.aero.de/news/Forscher-weisen-Nervengift-TCP-bei-Flugpassagieren-nach.html Kabinenluft, Forscher weisen Nervengift TCP bei Flugpassagieren nach, in aero.de, Datum: 19. September 2011, Abgerufen: 5. Oktober 2011
  6. http://www.wdr.de/tv/markt/sendungsbeitraege/2010/0329/download/100329-Airlines_Tabelle_plusminus.pdf (Memento vom 21. August 2010 im Internet Archive)
  7. "AOPIS - Air Travel and Health Follow-Up Inquiry: Call for Evidence", abgerufen am 1. Oktober 2012
  8. Offizielle Webpräsenz der Aerotoxic Association
  9. "Fliegen nur noch mit Sauerstoffzelt". In: Süddeutsche Zeitung GmbH, 20. August 2010. Abgerufen am 1. Oktober 2012. 
  10. Giftige Bordluft: Urintest für Lufthansa-Crews. In: focus.de. 17. August 2010, abgerufen am 1. Oktober 2012.
  11. Bernd Vetter: Pioniere des Jet-Zeitalters, DC-8, Gera Mond Verlag, München (2001) ISBN 3-932785-86-X Seite 87-88
  12. Bernd Vetter: Pioniere des Jet-Zeitalters, DC-8, Gera Mond Verlag, München (2001) ISBN 3-932785-86-X Seite 24
  13. 13,0 13,1 13,2 zeit.de: [1]

Weiterführende Literatur

  • Schopfer LM, Furlong CE, Lockridge O: Development of diagnostics in the search for an explanation of aerotoxic syndrome. In: Anal. Biochem. 404. Jahrgang, Nr. 1, September 2010, S. 64–74, doi:10.1016/j.ab.2010.04.032, PMID 20447373.
  • Hale MA, Al-Seffar JA: Preliminary report on aerotoxic syndrome (AS) and the need for diagnostic neurophysiological tests. In: Am J Electroneurodiagnostic Technol. 49. Jahrgang, Nr. 3, September 2009, S. 260–79, PMID 19891417.
  • Abeyratne R: Forensic aspects of the aerotoxic syndrome. In: Med Law. 21. Jahrgang, Nr. 1, 2002, S. 179–99, PMID 12017442.
  • Gross H: ["Aerotoxic syndrome:" danger caused by hydraulic oil in aircraft?] In: Dtsch. Med. Wochenschr. 135. Jahrgang, Nr. 19, Mai 2010, S. p18, doi:10.1055/s-0030-1247682, PMID 20461667 (german).

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