Carl-Heinz Rodenberg


Carl-Heinz Rodenberg, seltener Karl-Heinz Rodenberg, (* 19. November 1904 in Heide; † 1995) war ein deutscher Neurologe und Psychiater. Rodenberg war Gutachter bei den nationalsozialistischen Krankenmorden, der „Aktion T4“, und ab 1943 wissenschaftlicher Leiter der Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung.

Leben

Der Sohn eines Arztes studierte Medizin und promovierte 1930 an der Universität Marburg über das Thema „Über echte Kombinationen epileptischer und schizophrener Symptomkomplexe“.[1] Als Medizinalpraktikant arbeitete Rodenberg an der Marburger Universitäts-Nervenklinik, dann als Wissenschaftlicher Assistent an der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie in München und bis 1934 als Abteilungsarzt an der Heil- und Pflegeanstalt Branitz bei Oppeln in Oberschlesien.

Der NSDAP und der SA trat Rodenberg am 20. April 1932 bei. Nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten wurde Rodenberg 1933 Mitarbeiter des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP. Ab 1934 leitete er die Erbgesundheitsstelle beim Oberpräsidenten des oberschlesischen Provinzialverbandes. Seit 1936 Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, wechselte Rodenberg 1937 nach Berlin. Dort leitete er die Abteilung für Erb- und Rassenpflege im „Reichsausschuß für den Volksgesundheitsdienst“, war Geschäftsführer der Staatsmedizinischen Akademie und als Richter am Erbgesundheitsobergericht an Entscheidungen über Zwangssterilisierungen beteiligt. Ab 1. März 1939 arbeitete Rodenberg als Kriminalbiologe in der Abteilung für Erb- und Rassenpflege des Reichsgesundheitsamtes.

Datei:T4-Gutachterliste.JPG
Rodenberg auf der T4-Gutachterliste

Für die Zeit vom 28. Februar 1940 bis zum 14. Oktober 1940 wird Rodenberg als Gutachter der „Aktion T4“ geführt.[2] In dieser Funktion entschied er anhand von Meldebogen mit den Daten von Kranken und Behinderten über deren Weiterleben oder Tod in einer der Tötungsanstalten der „Aktion T4“ mit. Ebenfalls 1940 betrieb Rodenberg seine Übernahme in die SS. Zu dieser Zeit Sanitäts-SA-Sturmbannführer, bestätigte ein erhaltenes Gutachten Rodenberg eine bereits längere Tätigkeit als Informant des Sicherheitsdienstes (SD). Rodenberg habe „dem SD mehrfach wertvolles Material zur Verfügung gestellt“ und zeige „an der SD-Arbeit reges Interesse. Er verfügt außerdem über zahlreiche Verbindungen. Auf seine Übernahme in die SS […] wird daher großer Wert gelegt.“[3] In der SS wurde Rodenberg am 30. Januar 1944 zum SS-Obersturmbannführer befördert. Bei dieser Gelegenheit wurden seine „hervorragende weltanschauliche Einstellung, sein Kameradschaftsgeist und sein gewandtes Auftreten“[3] betont.

Im August 1942 wechselte Rodenberg zum Reichssicherheitshauptamt (RSHA) in das Referat IIIB3 „Rasse und Volksgesundheit“. Am 27. Oktober 1942 war Rodenberg Teilnehmer einer vom RSHA initiierten Konferenz im Referat IVB4, geleitet von Adolf Eichmann.[4] Thema der Konferenz war die Sterilisierung von „Halbjuden“, die auf „freiwilliger Grundlage“ als einzige Alternative zur Deportation erfolgen sollte. Eine Verwirklichung der Planungen erfolgte nicht.

Am 1. Juli 1943 wurde Rodenberg als wissenschaftlicher Referent für sexualpsychologische Fragen ins Reichskriminalpolizeiamt (RKPA) berufen und übernahm gleichzeitig als wissenschaftlicher Leiter die „Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung“. Hauptaufgabe der Reichszentrale war die Registrierung und Erfassung von Homosexuellen. Friedrich Panzinger beschrieb im November 1944 Rodenbergs weitere Aufgaben: So sollte er unter anderem bei Kriminalfällen anfallendes „Material zur weiteren Klärung des Entmannungsproblems“ in Hinsicht auf „Triebverbrecher wie Homosexuelle, sonstige Sittlichkeitsverbrecher, Pyromane, Gewohnheitsverbrecher“ auswerten, um so die Basis für gesetzgeberische oder verwaltungsrechtliche Maßnahmen zu schaffen.[5]

Rodenberg hatte sich bereits seit 1941 in Fachzeitschriften mit der Kastration Homosexueller beschäftigt, was ihm am 30. Dezember 1942 eine Anerkennung Himmlers für „überzeugende Aufsätze“[3] einbrachte. So konstatierte Rodenberg 1941 in der Zeitschrift „Der öffentliche Gesundheitsdienst“, dass eine „erwünschte Befriedung des Geschlechtslebens aber auch bei Homosexuellen oft durch die Entmannung, und zwar nur durch Entmannung herbeigeführt werden kann.“[6] Bislang hätten nur wenige Homosexuelle „der Volksgemeinschaft ein Opfer“ gebracht und sich freiwillig kastrieren lassen, was Rodenberg in einem „Mangel an Verantwortungsgefühl“ begründet sah. Anhand von bei der Kriminalpolizei gesammelten Material glaubte Rodenberg 1942 in „Deutsche Justiz“ nachweisen zu können, dass eine Kastration eine geeignete Maßnahme sei, „dem Homosexuellen die kriminelle Dynamik zu nehmen und ihm damit gleichzeitig selbst zu helfen.“[7] Rodenbergs Datenmaterial bezog sich zu über 60 % nicht auf Homosexuelle, sondern auf Pädophile. Rodenbergs Bemühungen, noch vor Kriegsende eine gesetzliche Regelung zur Kastration Homosexueller zu schaffen, blieben erfolglos. Im Oktober 1942 begründete er seinen Vorschlag mit den Kosten, die dem Staat durch die Unterbringung Homosexueller in Konzentrationslagern und in Sicherungsverwahrung entstünden: „Wenn sie kastriert werden, können sie in kürzerer Zeit entlassen werden, da sie keine Gefahr mehr für die Volksgemeinschaft bilden, und außerdem können sie nutzbringend im Leben wieder eingesetzt werden.“[8] Auch Hitler, so Rodenberg, habe „der Bekämpfung diese Übels große Bedeutung“ beigemessen.

Nach Kriegsende lebte Rodenberg in Wald-Michelbach im Odenwald. Wegen seiner Teilnahme an der Konferenz am 27. Oktober 1942 ermittelten in den 1970er Jahren die Staatsanwaltschaften in Darmstadt und Berlin, ohne dass es zu einer Anklageerhebung kam. Gegenüber der Ludwigsburger Zentralstelle bestritt Rodenberg 1986 seine Tätigkeit in der „Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung“. Er gab an, seine Untersuchungen über einen therapeutischen Erfolg von Kastrationen hätten sich nur auf Sittlichkeitsverbrecher bezogen, nicht jedoch auf Homosexuelle schlechthin. Seine Behauptung, es sei ihm gleichgültig gewesen, „auf welche Weise erwachsene Homosexuelle freiwillig unter sich ihren Sexualtrieb befriedigen“,[9] stand im Widerspruch zu Rodenbergs Veröffentlichungen in der Zeit des Nationalsozialismus.

Literatur

  • Burkhard Jellonnek: Homosexuelle unter dem Hakenkreuz. Die Verfolgung von Homosexuellen im Dritten Reich. Schöningh, Paderborn 1990, ISBN 3-506-77482-4

Einzelnachweise

  1. Biographische Angaben zu Rodenberg bei Jellonnek, Homosexuelle, S. 127; Ernst Klee: Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-596-16048-0, S. 501; Hans-Christian Harten, Uwe Neirich, Matthias Schwerendt: Rassenhygiene als Erziehungsideologie des Dritten Reichs. Bio-bibliographisches Handbuch. Akademie-Verlag, Berlin 2006, ISBN 3-05-004094-7, S. 454.
  2. T4-Gutachterliste (Heidelberger Dokumente Nr. 127.891) im Faksimile bei Ernst Klee: „Euthanasie“ im NS-Staat. Die „Vernichtung lebensunwerten Lebens.“ Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-596-24326-2, S. 228.
  3. 3,0 3,1 3,2 Unterlagen im Berlin Document Center zu Rodenberg, zitiert bei Jellonnek, Homosexuelle, S. 127. Anerkennung Himmlers: ebenda, S. 161.
  4. Rodenberg als Teilnehmer siehe Klee, Personenlexikon, S. 501. Zu den Inhalten der Konferenz: Chronologie des Holocaust, Eintrag 27. Oktober 1942.
  5. Verfügung Panzingers vom 6. November 1944, vollständig abgedruckt bei Günther Grau: Homosexualität in der NS-Zeit. Dokumente einer Diskriminierung und Verfolgung. Fischer Taschenbuch, Frankfurt 2004, ISBN 3-596-15973-3, Seite 167f. Siehe auch Jellonnek, Homosexuelle, S. 128.
  6. Carl-Heinz Rodenberg: Betrachtungen zum Fragenkreis: Entmannung aus kriminalpolitischer Anzeige. In: Der öffentliche Gesundheitsdienst. 7(1941), S. 235. zitiert bei Jellonnek, Homosexuelle, S. 159.
  7. Carl-Heinz Rodenberg: Zur Frage des kriminaltherapeutischen Erfolges der Entmannung homosexueller Sittlichkeitsverbrecher. In: Deutsche Justiz 104(1942), S. 581-587, zitiert bei Jellonnek, Homosexuelle, S. 160.
  8. Rodenberg an Ministerialrat Rietzsch (Reichsjustizministerium) am 3. Oktober 1942, zitiert bei Grau, Homosexualität, S. 320f. Siehe auch Jellonnek, Homosexuelle, S. 161.
  9. Schriftwechsel zwischen der Ludwigsburger Zentralstelle und Rodenberg vom März und Mai 1986, zitiert bei Jellonnek, Homosexuelle, S. 127. Die Ludwigsburger Zentralstelle versuchte ohne Erfolg, ein von Jellonnek angestrebtes Gespräch mit Rodenberg zu vermitteln.