Chitosan


Schematische Darstellung der enzymatischen Synthese von Chitosan aus Chitin

Chitosan (v. griech. χιτών „Unterkleid, Hülle, Panzer“) ist ein Biopolymer, ein natürlich vorkommendes Polyaminosaccharid, welches sich vom Chitin ableitet. Wie dieses besteht es aus β-1,4-glykosidisch verknüpften N-Acetylglucosaminresten (genau 2-Acetamido-2-desoxy-β-D-glukopyranose-Resten). Liegen im Gesamtmolekül mehr deacetylierte 2-Amino-2-desoxy-β-D-glukopyranose-Einheiten vor, spricht man von Chitosan. So ergeben sich lineare Moleküle, die aus etwa 2000 Monomeren bestehen. Es wurde 1859 von C. Rouget durch Kochen von Chitin mit Kalilauge entdeckt.

Herkunft

Gewinnung

Die Hauptchitinquelle für die Herstellung von Chitosan sind Schalen von Garnelen wie Pandalus borealis.

Chitosan wird technisch aus Chitin durch Deacetylierung gewonnen.[1] Dies kann durch (heiße) Natronlauge oder enzymatisch erfolgen. Beide Prozesse werden technisch genutzt, mengenmäßig steht die alkalische Prozedur eindeutig im Vordergrund.

Der Grad der resultierenden Deacetylierung kann erheblich variieren: Die Deacetylierung kann vollständig oder teilweise erfolgen, woraus eine Verteilung stark deacetylierter neben wenig deacetylierten Bereichen oder eine homogene Deacetylierungsverteilung resultieren kann, was erhebliche Auswirkungen auf die Molekülgestalt hat. Gleichzeitig kann aufgrund dieses chemischen Eingriffes die Kettenlänge des Polymers abnehmen (Depolymerisation), wodurch die Löslichkeit verbessert und die Viskosität verringert wird. Außerdem können bei der Behandlung Fremdatome (z. B. Schwermetalle aus Natronlauge) eingebracht werden. Die Endprodukte können sich daher erheblich in ihren Eigenschaften unterscheiden. Am deutlichsten offenbaren sich diese Unterschiede in der Löslichkeit und Viskosität z. B. einer einprozentigen Chitosanlösung in Essigsäure.

Natürliches Vorkommen

Einige Pilze enthalten neben Chitin auch Chitosan in ihrer Zellwand; aus ihnen kann Chitosan direkt gewonnen werden. Alle bekannten Arten wie z. B. Mucor rouxii, Absidia coerulea[2] und Rhizopus oryzae[3] gehören zur Ordnung der Mucorales.

Eigenschaften

Chitosan ist ein farbloser, amorpher, zäher Stoff. Industriell hergestelltes, hochmolekulares Chitosan ist in verdünnten starken Säuren außer Schwefelsäure sowie in organischen Säuren löslich. Die Löslichkeit in Säuren und gleichzeitig schlechte Löslichkeit in neutralem oder alkalischem pH ist einzigartig unter den Biopolymeren und daher charakterisierend. Mit abnehmender molarer Masse ist aber auch Chitosan (oder Oligo-Glucosamin) in Wasser und sogar in Laugen löslich.

Auf Grund der durch die Deacetylierung entstandenen freien Aminogruppen ist es in nicht alkalischer Lösung ein Polykation mit einer hohen Ladungsdichte. Es ist ungiftig, antibakteriell, antiviral und antiallergen. Die LD50 von Chitosan liegt bei 16 g/kg Körpermasse.

Fettbindung

Die Fettbindung durch Chitosan lässt sich im Labor gut nachweisen. Mehrere Patente und Laborversuchsbeschreibungen haben dies zum Thema, daneben stehen mehr oder weniger wirksame Produkte, welche auf diesem Prinzip beruhen. Die Effizienz der Fettbindung ist mengenmäßig bedeutsam, sodass Chitosan allgemein in der Biochemie und Entsorgung zum Entfernen von Ölen, vereinzelt in Arzneimittelzulassungen (z. B. in Spanien) und in Medizinprodukten mit der Wirkstoffbezeichnung Lipidadsorbens in vielen Ländern der Welt, auch in allen Mitgliedsländern der EU unbeschränkt verkehrsfähig ist, welche durch unabhängige und staatlich anerkannte Gutachter zertifiziert wurden.

Die höchste Fettbindungskapazität wurde im Biopolymer L112 mit dem etwa 800-fachen seiner Eigenmasse festgestellt.[4]

Bindung von Schwebstoffen

Chitosan wird in der Wasseraufbereitung, in der Abwasserklärung und in der Getränkeindustrie vielfältig und großtechnisch eingesetzt, um Schwebstoffe zu binden und auszufällen.

Andere Eigenschaften

Anwendungen

Stoffliche Nutzung

Das Anwendungsspektrum dieses Polymers ist relativ breit und unübersichtlich (ähnlich wie bei Zellulose und anderen Biopolymeren). Chitosan wird vor allem als Filtermaterial (zur Wassergewinnung oder in Kläranlagen) sowie als Ausgangsmaterial für Fasern, Schaumstoffe, Membranen und Folien (Biokunststoff) verwendet. Dabei gehören zu den positiven Eigenschaften in dem Bereich die Sauerstoff-Barrierewirkung, die einen Vakuumabschluß ermöglicht. Eine marktrelevante Fertigung von Biokunststoffen aus Chitosan existiert allerdings bislang nicht.

Mit seiner adsorbierenden, blutstillenden, anti-mikrobiellen und heilenden Wirkung kommt Chitosan auch in Medizinprodukten (z. B. bei Lipidadsorbens (L112) oder bei Wundauflagen) zum Einsatz. Des Weiteren findet Chitosan Verwendung in Zahnpasten (Chitodent), als Papier- und Baumwollzusatz sowie zum Ausfällen von Trübungen in der Getränkemittelindustrie. In der Arzneimittelindustrie wird an Chitosan seit langem geforscht, um es zur Mikroverkapselung und gezielten Freisetzung pharmakologischer Wirkstoffe zu verwenden, unter anderem als Vektor für die Gentherapie.


Chitosan-Anwendungen[11]
Anwendungsgebiet nutzbare Anwendungen Forschungsanwendungen
Gesundheit und Biotechnologie Hilfe zur Verdauung von Fetten Enzymimmobilisierung
Cholesterin-Verminderung Immobilisierung bei Synthesen
Lipidbinder zur Gewichtskontrolle Proteinseparation
Lipidabtrennung Adsorption von Endotoxinen und Nukleinsäuren
Wundauflage Zell-Anreicherung
künstliche Haut Glucose-Elektrode
verzögerte Arzneimittelfreisetzung Chromatografie-Material
degradierbarer chirurgischer Füllstoff (Orthopädie, Ophthalmologie, Zahnheilkunde) Bindung polymerer Katalysatoren
Zellmobilisation Zellimmobilisierung (Biotechnologie)
Tumortherapie, Immunstimulation semipermeable Membrane
künstliche Gefäße degradierbares Nahtmaterial
künstliche Tränenflüssigkeit Kontaktlinsenmaterial
Zahncreme Einbettmittel für Elektronenmikroskopie
Landwirtschaft und Nahrungsmittel Versiegelung von Nahrungsmitteln Beschichtungsmittel
fungizide Saatgutbehandlung Konservierung von Saatgut
Entfernung von Farbstoffen, Feststoffen, Säuren
Konservierungsmittel für Obst und Gemüse Nahrungsmittelpackstoff
Stabilisator
Nahrungsmittelzusatz Ballaststoff
Geschmackstoff
Insektizid
Futtermittelzusatz Futtermittelzusatz in Milchproduktion
Nematozid
Beschichtung / Versiegelung von Saatgut und Blättern
Fertilisation Kompostbeschleunigung
verzögerte Freisetzung von Agrochemikalien
Holzschutz
Textilien wasserdurchlässige Stoffe
Kosmetika Dentalprodukte
Mundpflegemittel
Haarpflegemittel
bakteriostatische Konservierungsmittel
Hautpflegemittel
Wasserbehandlung Entfernung organochemischer Bestandteile
Entfernung von Schwermetallen Abwasserbehandlung
Trinkwasserbereitung Saftklärung (Kelterei)
Schwimmbadwasser-Aufbereitung Membranen für Wasserentsalzung
Papierindustrie Luftfiltrationsmaterial
Wasserfiltration
abbaubare Verpackungsmittel
Bindemittel für wiederverwendete Cellulose
Oberflächenglättemittel
Kopierpapiere
Fotopapiere
Technik elektronische Elemente Lautsprechermembrane

Ernährung

In Nahrungsergänzungsmitteln wird Chitosan als Fettblocker eingesetzt,[12] die Verwendung als Nahrungszusatz wird allerdings in einigen Ländern einschließlich Deutschland als möglicherweise illegal betrachtet (in Österreich hingegen ist es legal), da eine Nahrungsergänzung nur die Nahrung ergänzen darf, aber nicht deren Resorption behindern soll. In den Ländern, in denen Chitosan im Nahrungsmittelbereich eingesetzt werden darf, wie etwa den USA, haben mehrere doppelblinde und randomisierte Studien ergeben, dass seine Wirkung ohne gleichzeitige Diät nicht nachgewiesen werden kann.[13]

Einzelnachweise

  1. Fereidoon Shahidi, Jozef Synowiecki: Isolation and characterization of nutrients and value-added products from snow crab (Chionoecetes opilio) and shrimp (Pandalus borealis) processing discards. In: J. Agric. Food Chem., Band 39 (8), 1991, S. 1527–1532, doi:10.1021/jf00008a032
  2. Rudolf Hänsel, Otto Sticher: Pharmakognosie - Phytopharmazie. 9. Auflage, Springer, Heidelberg 2009, ISBN 978-3-642-00962-4, S. 593.
  3. Stoyko Fakirov, D. Bhattacharyya: Handbook of engineering biopolymers: homopolymers, blends and composites. Hanser Verlag, München 2007, ISBN 978-3-446-40591-2, S. 818.
  4. K. Raisch, S. Rockway: Validation of a quantitative fat binding assay for polyglucosamin (L112). Nutrition 2005, Geneva (2. Juni 2005).
  5. F. Poretti, T. Rosent, B. Körner und D. Vorwerk: Randomisierte Untersuchung zur Anwendung eines Chitosan-Gerinnungspads zur Blutstillung bei transbrachialen Angiographien. In: RöFo - Fortschritte auf dem Gebiet der Röntgenstrahlen und der bildgebenden Verfahren. Band 177, Nr. 09, 2005, S. 1260–1266, doi:10.1055/s-2005-858328.
  6. KARL BEESE GmbH & Co.: "Die Wundauflage aus Chitosan – einem Urstoff der Natur".
  7. M. V. Bhaskara Reddy, J. Arul, P. Angers, L. Couture: Chitosan treatment of wheat seeds induces resistance to Fusarium graminearum and improves seed quality. In: J. Agric. Food Chem., Band 47 (3), 1999, S. 1208–1216
  8. M. Eweis, S. S. Elkholy, M. Z. Elsabee: Antifungal efficacy of chitosan and its thiourea derivatives upon the growth of some sugar-beet pathogens. In: Int. J. Biol. Macromol., Band 38 (1), 2006, S. 1–8
  9. 9,0 9,1 Rudolf Hänsel, Otto Sticher: Pharmakognosie - Phytopharmazie - Google Books
  10. Institut für Umweltverfahrenstechnik (IUV) der Universität Bremen: "Chitin, Chitosan" auf Wasser-Wissen.de.
  11. Chitin & Chitosan - a Global Strategic Business Report. Global Industry Analysts, Inc.. Abgerufen am 1. Juli 2012.
  12. Nahrungsergänzungsmittel und funktionelle Lebensmittel: Fitmacher oder Konsumentennepp? (PDF) ak-tirol.com. Abgerufen am 1. Juli 2012.
  13. "There is considerable doubt that chitosan is effective for reducing body weight in humans." nach Max H Pittler und Edzard Ernst: Dietary supplements for body-weight reduction. In: The American Journal of Clinical Nutrition 79(2004), S. 530. (PDF)).

Weblinks

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