Familiäres Mittelmeerfieber


Klassifikation nach ICD-10
E85.0 Nichtneuropathische heredofamiliäre Amyloidose
ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Das Familiäre Mittelmeerfieber (FMF) – auch als familiäre rekurrente Polyserositis bezeichnet – ist eine autosomal-rezessiv vererbte Erkrankung, die gehäuft bei Bewohnern der östlichen Mittelmeerregion (Türkei, Nahost, Nordafrika, arabische Länder, Armenien, seltener Griechenland und Italien) auftritt. Im türkischen Volksmund wird die Krankheit auch „Armenische Krankheit“ (Ermeni Hastalığı) genannt. Hierbei handelt es sich um eine chronische Erkrankung, die durch sporadisch auftretende Fieberschübe mit begleitender Entzündung der Tunica serosa charakterisiert ist, was zu Bauch-, Brust- oder Gelenkschmerzen führt. Die häufigste Komplikation des familiären Mittelmeerfiebers ist eine Amyloidose, wodurch sich die Lebenserwartung der Patienten verkürzt.

Epidemiologie

Insgesamt ist das familiäre Mittelmeerfieber eine seltene Erkrankung. Allerdings hat es in den betroffenen Volksgruppen eine höhere Prävalenz. Bis zu einem Sechstel nordafrikanischer Juden und bis zu einem Siebtel der armenischen Bevölkerung sind Merkmalsträger. Etwa 0,2 % dieser Volksgruppen sind auch tatsächlich erkrankt. In der Türkei wird die Prävalenz der Erkrankung auf etwa 0,1 % der Bevölkerung geschätzt.

Ätiologie

1997 wurde von zwei Konsortien ein Gen auf Chromosom 16 (Genlocus 16p13.3) beschrieben, dessen Mutationen FMF verursachen. Das Proteinprodukt dieses MEFV-Gens wurde als Marenostrin oder Pyrin[1] bezeichnet.

Es codiert ein 781 Aminosäuren umfassendes Protein, welches nahezu ausschließlich in Blutzellen exprimiert wird. Es hat mehrere noch nicht endgültig geklärte Funktionen, von denen einige relevant in der Pathogenese des FMF zu sein scheinen.

So transloziert ein Spaltprodukt von Pyrin in den Nukleus (besitzt aber selbst keine DNA-Binde-Domäne), bestimmte Domänen führen auch zu einer Aktivierung von NF-κB – einem Transkriptionsfaktor, der für viele proinflammatorische Prozesse wichtig ist. Ebenfalls wurde eine Interaktion von Pyrin mit Tubulin und eine Kolokalisation mit Mikrotubuli gezeigt – das bei FMF wirksame Medikament Colchicin greift an Mikrotubuli pharmakodynamisch ein. Weiterhin binden Domänen von Pyrin an das Adapterprotein Asc, das ein Bestandteil des Inflammasoms ist. Dieser Proteinkomplex spielt eine entscheidende Rolle bei der Produktion von Interleukin-1β, einem der Schlüsselproteine der Entzündungsreaktion. Pyrin scheint ein negativer Regulator dieses Proteinkomplexes zu sein, so dass bestimmte Mutationen mit einer Überaktivierung (und damit mit einer überschießenden Sekretion von Interleukin-1-beta) einhergehen. In der Folge kommt es u. a. zur Durchblutungssteigerung, zum Einstrom von Granulozyten und zu weiteren Prozessen der Entzündungsreaktion. Die Bedeutung dieser Theorie wird durch die Tatsache verdeutlicht, dass FMF-Patienten von einer Behandlung mit dem IL-1β-Antagonisten Anakinra profitieren.[2]

Die vielen unterschiedlichen Mutationen die bei FMF-Patienten im MEFV-Gen gefunden wurden spiegeln wieder, dass ein einheitlicher molekularbiologischer Prozess dieses Krankheitsbild keinesfalls komplett erklären kann. Die weitere Verbreitung heterozygoter Patienten deutet auf einen Selektionsvorteil hin, über den bisher nur gemutmaßt werden kann.

Klinik und Verlauf

Das familiäre Mittelmeerfieber ist eine chronische Erkrankung, die schubartig verläuft. Die Schübe zeichnen sich durch hohes Fieber mit stärksten Schmerzen aus, welche durch die Entzündung der Serosa bedingt sind. Hierbei sind in absteigender Reihenfolge häufig das Bauchfell (Peritoneum), das Brustfell (Pleura) oder die Innenhaut der Gelenkkapseln (das Stratum synoviale) betroffen, was zu den typischen Bauch-, Brust- und Gelenkschmerzen führt. Die meisten Patienten haben ihre ersten Fieberschübe im frühen Kindes- und Jugendalter. 90 Prozent der Patienten hatten ihren ersten Schub vor dem 20. Lebensjahr. Die Attacken dauern etwa ein bis drei Tage an und bilden sich dann von alleine wieder zurück. Zwischen den Attacken sind die Patienten symptomfrei und fühlen sich gesund. Die Hauptkomplikation des familiären Mittelmeerfiebers ist eine progressive sekundäre Amyloidose vom AA-Typ, die in 30–60 Prozent der Patienten auftritt. Amyloid A ist ein Akute-Phase-Protein, welches vom Körper während einer jeden akuten Entzündung gebildet wird. Bei Patienten mit familiärem Mittelmeerfieber findet sich im akuten Schub besonders viel Amyloid im Blut, welches sich in unterschiedlichen Organen (vor allem Niere) ablagern kann. Dies führt zu Organschäden, die letztendlich für die erhöhte Sterblichkeit der Patienten mit familiärem Mittelmeerfieber verantwortlich sind. Eine weitere sehr schwere Komplikation stellt die Niereninsuffizienz dar.

Diagnostik

In einem akuten Schub zeigt sich manchmal im Blut eine Erhöhung der Entzündungsparameter (Leukozytose mit Neutrophilie, CRP-Anstieg). Klinisch muss eine Abgrenzung zu anderen periodischen Fiebererkrankungen getroffen werden. Eine definitive Diagnose kann nur durch eine genetische Untersuchung gestellt werden. Man muss hier jedoch beachten, dass eine genetische Diagnostik ein Mittelmeerfieber nicht ausschließen kann. In großen Studien wurde gezeigt, dass lediglich in ca. 80 Prozent der Patienten mit klinisch gesichertem familiärem Mittelmeerfieber Mutationen im MEFV-Gen gefunden werden, so dass von einem weiteren Gen ausgegangen werden muss, welches bei der Entstehung eines familiären Mittelmeerfiebers eine Rolle spielt. Der große Vorteil einer genetischen Diagnostik liegt auch in der Möglichkeit, dass Komplikationen der Erkrankung wie eine Amyloidose klar mit bestimmten Mutationskombinationen zusammenhängen. Außerdem kann das Krankheitsbild dadurch eindeutig gegen andere periodische Fiebersyndrome wie das Hyper-IgD-Syndrom, die zyklische Neutropenie, das Tumornekrosefaktor-Rezeptor-1-assoziierte periodische Syndrom (TRAPS), das Chronisch-infantile-neurologisch-cutan-artikuläre Syndrom (CINCA-Syndrom), das Muckle-Wells-Syndrom oder das PFAPA-(periodisches Fieber, Aphthen, Pharyngitis, Adenitis)-Syndrom abgegrenzt werden.

Therapie

Es gibt keine kausale Therapie für das familiäre Mittelmeerfieber. Die akuten Schübe werden symptomorientiert mit Schmerzmitteln aus der Klasse der Opioide (z. B. Morphin, Oxycodon) oder der nicht-steroidalen Entzündungshemmer (z. B. Acetylsalicylsäure oder Diclofenac) behandelt. Prophylaktisch erfolgt zwischen den Schüben die Gabe von Colchicin, welches die Häufigkeit der Schübe zu verringern vermag und dadurch auch der Entwicklung der Amyloidose vorbeugt. Dies wird mit der hemmenden Wirkung dieses Medikaments auf die neutrophilen Granulozyten erklärt. In jüngster Zeit wird auch eine Therapie mit dem Interleukin-1-Rezeptor Antagonist Anakinra empfohlen.

Literatur

  • A Livneh, P. Langevitz: Diagnostic and treatment concerns in familial Mediterranean fever. In: Baillieres Best Pract Res Clin Rheumatol, 2000, 14(3), S. 477–498, PMID 10985982.
  • J Rakob et al.: Familiäres Mittelmeerfieber – Klinik und molekulargenetische Befunde bei 40 Kindern in Berlin. In: Monatsschrift Kinderheilkunde, 2003, 10, 151, S. 1064–1071, springerlink.com.
  • HA. Reiman: Periodic disease. Probable syndrome including periodic fever, benign paroxysmal peritonitis, cyclic neutropenia and intermittent arthralgia. In: JAMA 1948, 136, S. 239–244.
  • S. Siegal: Benign paroxysmal peritonitis. In: Ann Intern Med, 1945, 23, S. 1–21.
  • Ancient missense mutations in a new member of the RoRet gene family are likely to cause familial Mediterranean fever. The International FMF Consortium. In: Cell, 1997, 90, S. 797–807, PMID 9288758.
  • A candidate gene for familial Mediterranean fever. The French FMF Consortium. In: Nat Genet, 1997, 17, S. 25–31, PMID 9288094.

Siehe auch

  • Mittelmeerfieber (durch Brucella melitensis)
  • Mittelmeerfleckfieber (durch Rickettsia conori)

Einzelnachweise

  1. PMID 608107
  2. PMID 19302049