Gaia-Hypothese
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Die Gaia-Hypothese wurde von der Mikrobiologin Lynn Margulis und dem Chemiker, Biophysiker und Mediziner James Lovelock Mitte der 1960er-Jahre entwickelt. Sie besagt, dass die Erde und ihre gesamte Biosphäre wie ein Lebewesen betrachtet werden kann; in dem Sinn, dass die Biosphäre – die Gesamtheit aller Organismen – Bedingungen schafft und erhält, die nicht nur Leben, sondern auch eine Evolution komplexerer Organismen ermöglichen. Die Erdoberfläche bildet demnach ein dynamisches System, das die gesamte Biosphäre durch auf menschliche Einflüsse reagierende Mechanismen stabilisiert. Diese Hypothese setzt eine bestimmte Definition von Leben voraus, wonach sich Lebewesen insbesondere durch die Fähigkeit zur Selbstorganisation beziehungsweise Autopoiesis auszeichnen. Die Bezeichnung leitet sich von Gaia, der Erdgöttin und Großen Mutter der griechischen Mythologie, ab. Aus der Gaia-Hypothese ist die Physiologie der Erde (Geophysiologie) entstanden.
Empirische Grundlagen für die Gaia-Hypothese
In ihren Büchern tragen die Begründer der Gaia-Hypothese verschiedene Fakten zusammen, die das Bild vom selbstorganisierenden, „lebenden“ Planeten stützen sollen. Jüngere geowissenschaftliche Erkenntnisse haben die Diskussion weiter angeheizt.
Beispiel Sauerstoff
Molekularer Sauerstoff ist eine hochreaktive Substanz, die in kurzer Zeit Verbindungen mit anderen Elementen eingeht und so verschwindet. Eisen rostet, Holz verbrennt. Das Erstaunliche ist nun aber, dass der Sauerstoffgehalt der Atmosphäre konstant ist: Egal, wie viel Eisen rostet und wie viel Holz verbrennt, der globale Sauerstoffgehalt bleibt unverändert. Besonders spannend werde dies, wenn man berücksichtigt, dass „fossile Luft“ aus Eisbohrkernen oder Bernstein eine sehr ähnliche, oft die gleiche Zusammensetzung aufweist wie die heutige. Offensichtlich hat sich, seit das Leben auf dem Land aktiv ist, der Sauerstoffgehalt der Luft nur unwesentlich verändert. Die Gaia-Hypothese besagt, dass das System „Leben“ selbst den Anteil stabil hält. (Eine Konsequenz dieser Überlegung ist, dass ein anderer Planet mit einer Atmosphäre, die Sauerstoff und ein Gas, das mit Sauerstoff reagiert, enthält, Leben beherbergen muss – bislang ist keiner entdeckt. Die Atmosphäre des Jupitermondes Europa enthält Sauerstoff, aber nicht nennenswert andere Stoffe.)
Beispiel Klimaschwankungen
Zunehmend verdichten sich die Hinweise, dass bis vor 600 Millionen Jahren das Klima extremen Schwankungen ausgesetzt war, die es seitdem nicht mehr gab. Zeitweise war die Erde demnach von einem Eispanzer regelrecht überzogen („Schneeball Erde“), während sie zu anderen Zeiten komplett eisfrei war. Kritiker der Gaia-Hypothese argumentieren deshalb, dass solche extremen Schwankungen der Idee einer im Gleichgewicht gehaltenen Erde widersprechen.
Befürworter sehen es umgekehrt: Eine Erklärung für diese frühen Klimaschwankungen ist, dass es in jener frühen Zeit (Präkambrium) noch keine komplexen Organismen mit Skeletten oder Kalkschalen gab. Denn das kalkhaltige Meeresplankton spielt heute eine enorme Rolle für den CO2-Haushalt der Meere. Wenn diese Organismen wachsen, nehmen sie Kohlenstoffdioxid (CO2) aus dem Wasser auf, und wenn sie wieder sterben, sinken sie mitsamt ihrer Kalkschale auf den Meeresgrund, wo sich dann im Laufe der Jahrmillionen massive Kalksedimente bilden. Auf diese Weise stabilisiert sich chemisch der CO2-Gehalt der Meere – damit indirekt auch der der Atmosphäre. Die Entstehung dieser Organismen hätte demzufolge dazu beigetragen, die Lebensbedingungen auf der Erde zu stabilisieren und somit zu verbessern.
Beispiel Salzgehalt der Meere
Der Salzgehalt der Meere liegt konstant bei 3,5 %. Obwohl vom Land weiterhin beträchtliche Mengen an Mineralien gelöst und ins Meer verfrachtet werden, ist der Salzgehalt seit Jahrmillionen nicht mehr gestiegen. Nimmt man an, dass die Mineralfracht in früheren Zeiten ähnlich hoch war wie heute, müsste inzwischen soviel Salz in den Meeren sein, dass höhere Lebensformen nicht mehr existieren könnten. Tatsächlich gibt es Prozesse, die Salz auch wieder aus dem Ozean entfernen. Hierzu gehört zum einen die Bildung von Lagunen und abgeschlossenen Meeresbecken, in denen sich Meerwasser sammelt, verdunstet und sich auf diese Weise mächtige Salzablagerungen bilden. An der Bildung solcher Lagunen sind riffbildende Organismen beteiligt. Auch dies ist somit nach Lovelock ein Prozess, bei dem die Gemeinschaft der Lebewesen selbst dafür sorgt, dass ihre Lebensbedingungen erhalten bleiben. Zum anderen werden Methylchlorid und Methyliodid durch Meeresalgen produziert und anschließend in die Atmosphäre freigesetzt. Auch durch diesen biologischen Prozess werden Salzbestandteile wie Chlor aus dem Meerwasser entfernt.
Gegen einige dieser Argumente sprechen jüngere Forschungen. Die Theorie, der Urozean sei mit der Zeit immer salziger geworden, konnte nicht bestätigt werden. Offenbar war der Salzgehalt vor über einer Milliarde Jahre bereits höher als heute - was mit ein Grund dafür gewesen sein könnte, dass es so lange gedauert hat, bis sich höhere Lebensformen in den Ozeanen entwickelten.[1]
Geschichte
Die Ursprünge der Gaia-Hypothese liegen im wissenschaftlichen Hintergrund der beiden Forscher James Lovelock und Lynn Margulis. Der Geochemiker Lovelock befasste sich intensiv damit, wie die Biosphäre im Laufe der Erdgeschichte die Erdatmosphäre verändert hat und noch immer verändert. Ein Ergebnis dieser Überlegungen ist die CLAW-Hypothese, die Ende der 1980er Jahre formuliert wurde und sich auf den Zusammenhang von Phytoplankton und Weltklima bezieht. „Diese Phänomene“, schrieb Lovelock, „sind nur verständlich, wenn der Planet als ein einziger lebender Organismus angesehen wird.“
Die Biologin Lynn Margulis wiederum gilt als eine der Begründerinnen der Endosymbiontentheorie, wonach die heutigen Zellen einst aus der Symbiose eigenständiger Organismen entstanden sind. Die Idee der Symbiose hat ihr gesamtes biologisches Denken geprägt. „Gaia“, meinte Greg Hinkle (Student von Lynn Margulis und heute Professor), sei „Symbiose aus dem Weltraum betrachtet“. Schließlich beinhaltet die Gaia-Hypothese, dass die Gesamtheit der Organismen auf der Erde gewissermaßen in Symbiose einen größeren Organismus bilden.
Mehrere wissenschaftliche Symposien haben sich mit der Gaia-Theorie beschäftigt, die jüngste davon 2006 in Arlington. Einige Wissenschaftler haben inzwischen auch eine Gegenthese formuliert, in der sie die Biosphäre eher als Medea beschreiben, da sie in bestimmten Fällen auch selbstzerstörerisch sein könne. Als Belege führen sie unter Anderem jüngere Erkenntnisse an, wonach von Bakterien produzierte Halogen-Kohlenwasserstoffe das Massenaussterben an der Perm-Trias-Grenze ausgelöst haben könnten.[2]
Verständnis von Leben
Der Gaia-Hypothese liegt ein systemtheoretisches Verständnis von Leben zu Grunde. Ein Lebewesen ist demnach ein offenes und Entropie-produzierendes System, das sich reaktiv und selbstorganisierend in einer Weise an seine Umgebung anpassen kann, dass es durch Entropie-Export seine Entropie dynamisch unterhalb seiner maximalen Entropie zu halten vermag (Autopoiesis). Ein zentrales Kennzeichen von Lebewesen ist zudem die Fortpflanzung.
Modellierung
Um die Gaia-Hypothese zu untermauern und der Kritik zu begegnen, sie sei rein teleologisch, schuf Lovelock mit Daisyworld eine einfache Computersimulation, in der das Leben in einem selbstregulierenden Prozess trotz sich ändernder äußerer Parameter konstante Umweltbedingungen auf einem Planeten aufrechterhält.
Wirkung und spirituelle Verklärung
Seit der Formulierung steht die Hypothese in der Diskussion zwischen Kritik und Faszination für das Bild, das sie transportiert.
Der Begründer der Gaia-Hypothese, James Lovelock, bemerkt dazu:
- „Wenn ich von einem lebendigen Planeten spreche, soll das keinen animistischen Beiklang haben; ich denke nicht an eine empfindungsfähige Erde oder an Steine, die sich nach eigenem Willen und eigener Zielsetzung bewegen. Ich denke mir alles, was die Erde tun mag, etwa die Klimasteuerung, als automatisch, nicht als Willensakt; vor allem denke ich mir nichts davon als außerhalb der strengen Grenzen der Naturwissenschaften ablaufend. Ich achte die Haltung derer, die Trost in der Kirche finden und ihre Gebete sprechen, zugleich aber einräumen, dass die Logik allein keine überzeugenden Gründe für den Glauben an Gott liefert. In gleicher Weise achte ich die Haltung jener, die Trost in der Natur finden und ihre Gebete vielleicht zu Gaia sprechen möchten.“
Im Zuge der Ökologiebewegung hat die Gaia-Hypothese viele Anhänger in der Hippie- und New-Age-Bewegung gefunden. Hier wird die Erde gelegentlich als „beseelter“ Organismus dargestellt, der – wie eine Erdgöttin – bestraft und belohnt. Damit wird Prozessen eines Ökosystems eine Bedeutung gegeben, die zu teleologischen Erklärungsversuchen führt. Die Begründer der Hypothese haben sich von einer solchen Auslegung ihrer Hypothese stets distanziert.
Literatur
- Helan Jaworski: Le Géon ou la Terre vivante. Librairie Gallimard, Paris 1928.
- Jim E. Lovelock: Unsere Erde wird überleben: GAIA, eine optimistische Ökologie. (Aus dem Engl. von Constanze Ifantis-Hemm.) Piper, München 1982, ISBN 3-492-02580-3; Original: James Lovelock: Gaia - a new look at life on Earth; 1979
- James Lovelock: Das Gaia-Prinzip: die Biographie unseres Planeten. (Aus dem Engl. übertr. von Peter Gillhofer und Barbara Müller.) Artemis & Winkler, Zürich, München 1991. Ill., grafische Darstellung; ISBN 3-7608-1050-0, Original: The ages of Gaia
- James Lovelock: GAIA - Die Erde ist ein Lebewesen. (Aus dem Engl. übertr. von Jochen Eggert und Marcus Würmli.) Scherz, Bern, München, Wien 1992. 191 S.; Ill., graph. Darst.; ISBN 3-502-17420-2; Original: GAIA - The practical science of planetary medicine
- James Lovelock: GAIAS RACHE – Warum die Erde sich wehrt. List 2007, ISBN 3-471-79550-2.
- Lynn Margulis: Symbiotic Planet: A New Look at Evolution. Basic Books, ISBN 0-465-07272-0.
- Lynn Margulis: Die andere Evolution. 1999. ISBN 3-8274-0294-8. (dt. Übersetzung)
- Elisabet Sahtouris: Gaia. Vergangenheit und Zukunft der Erde. Insel Verlag, Frankfurt/M. 1998, ISBN 3-458-16525-8.