Gangstörung


Klassifikation nach ICD-10
R26 Störungen des Ganges und der Mobilität
ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Eine Gangstörung ist eine Bewegungsstörung, bei der in besonderer Weise das Gehen betroffen ist. Ursachen liegen einerseits auf orthopädisch / chirurgischem Gebiet, andererseits auf neurologischem oder psychiatrischem Gebiet.

Klinische Prüfung

Die Gangprüfung erfolgt zunächst klinisch, also ohne technische Hilfsmittel.

  • Prüfung des normalen Gangbildes
    • Gehen: Schrittweite, Geschwindigkeit, Start und Anhalten, Bodenkontakt und Abrollen
    • Bewegung in den großen Gelenken, Abrollen an Fuß und Zehen
    • 180°-Wende (benötigte Schrittzahl)
  • Prüfung unter erschwerten Bedingungen
    • Seiltänzergang (ein Fuß vor den anderen auf einer gedachten Linie)
    • Zehen-/ Hackengang (zur Prüfung von Lähmungen)

Weitere Prüfungen sind mit entsprechender Ausrüstung auf einem Laufband oder unter Videometrie möglich, dabei können auch Analysen mittels Computer durchgeführt werden. Dies spielt aber eher in der Forschung oder Sportmedizin eine Rolle.

Orthopädisch bedingte Gangstörungen

  • Trendelenburg-Gang – watschelndes Gangbild bei Hüftgelenkserkrankungen (kindliche Hüftgelenksdysplasie, Luxation des Gelenkes)
  • Duchenne Hinken - Seitneigung des Rumpfes zum (betroffenen) Standbein.
  • hinkendes Gangbild bei Gelenkversteifungen oder Schmerzen – besonders Knie- oder Sprunggelenk

Neurologisch bedingte Gangstörungen

Gangabweichungen nach der Seite treten auch bei Gleichgewichtsstörungen auf, stehen dabei aber meist nicht im Vordergrund.

Psychogene Gangstörungen

Psychogene Gangstörungen kommen wesentlich häufiger vor, als gemeinhin angenommen.[1] Sie werden in der Psychiatrie nach dem ICD-10 unter die dissoziative Störung subsumiert - genauer als dissoziative Bewegungsstörungen. Die dissoziativen Bewegungsstörungen machen 2,6 – 25 % der Bewegungsstörungen in neurologischen Abteilungen aus.[2] Davon wiederum fallen 32,8 % auf den psychogenen Tremor, 25 % auf die psychogene Dystonie, 25 % auf den psychogenen Myoklonus, 6,1 % auf den psychogenen Parkinsonismus und 10,9 % auf die psychogene Gangstörung.

Nach Feinstein ist die Komorbidität mit anderen psychiatrischen Erkrankungen beträchtlich: 38 % Angststörung, 19 % Major Depression, 12 % Angst & Depression.[3] 12 Wochen ambulante Psychotherapie kann die Symptomatik signifikant verbessern.[4]

Miyasaki-Kriterien

Anamnestische Hinweise auf eine psychogene Gangstörung sind nach Miyasaki plötzlicher Beginn, statischer Verlauf, Spontanremissionen (nicht anhaltend), psychiatrische Auffälligkeiten, multiple Somatisierungen, Patienten im Gesundheitsbereich tätig, finanzielle Entschädigung, sekundärer Krankheitsgewinn, jung und weibliches Geschlecht.[5]

Das klinische Erscheinungsbild der Bewegungen deutet - wieder nach Miyasaki - dann auf eine psychogene Gangstörung hin, wenn folgende Parameter erfüllt sind: unregelmäßig (Frequenz, Amplitude, Verteilung, …), paroxysmal, bei Beobachtung vermehrt, bei Ablenkung vermindert, kann durch unübliche/ unphysiologische Interventionen getriggert / beendet werden, widersprüchliche Schwäche, widersprüchliche Sensibilitätsstörungen, artifizielle Verletzungen, bewußte Langsamkeit, Funktionseinschränkung mit neurologischen Untersuchung im Widerspruch, bizarr, multiple Anteile, schwer zu klassifizieren.

Auch das Therapieansprechen kann nach Miyasaki auf Psychogenität hinweisen: spricht nicht an auf entsprechende Medikamente, spricht aber auf Placebo an, Remission der Gangstörung mit Psychotherapie.

Hayes-Kriterien

Hayes und Mitarbeiter entwickelten 20 Kriterien, die eine psychogene Gangstörung identifizieren können:[6] weibliches Geschlecht, junges Alter, multiple Symptome, Widerspruch der Einschränkung, plötzlicher Beginn, Beginn mit Verzögerung nach Unfall, Variabilität der Symptome, Plötzliche Heilung, primärer und sekundärer Krankheitsgewinn, psychiatrische Komorbidität, ein Vorbild (für die Gangstörung) in der Umgebung des Patienten, übertriebene Anstrengung / Erschöpfung, Langsamkeit, Fluktuationen, Konvulsives Schütteln, unökonomische Körperhaltungen, bizarres Gangbild, neurologische Untersuchung unauffällig, unphysiologische Sensibilitätsverluste und die Art der Darstellung.

Einzelnachweise

  1. Feinstein A, Stergiopoulos V, Fine J, Lang AE. Psychiatric outcome in patients with a psychogenic movement disorder: a prospective study. Neuropsychiatry Neuropsychol Behav Neurol 2001;14(3):169-76.
  2. Miyasaki JM, Sa DS, Galvez-Jimenez N, Lang AE. Psychogenic movement disorders. Can J Neurol Sci 2003;30 Suppl 1:S94-100.
  3. Feinstein A, Stergiopoulos V, Fine J, Lang AE. Psychiatric outcome in patients with a psychogenic movement disorder: a prospective study. Neuropsychiatry Neuropsychol Behav Neurol 2001;14(3):169-76.
  4. VK Hinson, S Weinstein, CG Goetz, B Bernard, S Leurgans. Single-blind clinical trial for treatment of psychogenic movement disorders with psychotherapy. American Academy of Neurology, San Francisco April 25-30, 2004. S65.004, A539
  5. Miyasaki JM, Sa DS, Galvez-Jimenez N, Lang AE. Psychogenic movement disorders. Can J Neurol Sci 2003;30 Suppl 1:S94-100.
  6. Hayes et al. A video review of the diagnosis of psychogenic gait. Movement Disorders 1999:14;914-921

Weblinks

  • Jahn, Klaus; Zwergal, Andreas; Schniepp, Roman: Gangstörungen im Alter: Klassifikation, Diagnostik und Therapie aus neurologischer Sicht. In: Dtsch Arztebl Int. Nr. 107(17), 2010, S. 306–316 (Artikel).

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