Geschwind-Behan-Galaburda-Modell


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Das Geschwind-Behan-Galaburda-Modell, auch GBG-Modell genannt, ist eine Hypothese zur Lateralisation des Gehirns.

Die Hypothese

Der US-amerikanische Neurologe Norman Geschwind entwickelte in den 1980er Jahren zusammen mit seinen Kollegen Peter Behan[1] und Albert Galaburda[2][3][4] die nach ihnen benannte Hypothese. Sie besagt, dass während der embryonalen Entwicklung Sexualhormone, und dabei insbesondere das Testosteron, die Rate der Gehirnreifung beeinflussen. Höhere Spiegel von Testosteron würden dabei ab der 20. Schwangerschaftswoche Veränderungen in der Organisation des Gehirnes (Lateralisation) bewirken, die Entwicklung des Immunsystems beeinflussen und die Linkshändigkeit fördern. Die linke Hemisphäre des Gehirns reagiert – so die Hypothese – in dieser Entwicklungsphase des Embryos empfindlicher auf störende Faktoren, wie beispielsweise Testosteron, wodurch das Wachstum einzelner Bereiche in dieser Hemisphäre gehemmt wird. Diese Hemmung soll in der rechten Hirnhälfte dagegen ein kompensatorisches Wachstum hervorrufen, wodurch eine anomale Dominanz der rechten Hirnhemisphäre entstehe. Der erhöhte Testosteronspiegel könne dabei sowohl vom männlichen Fetus selbst, der Mutter, von einem männlichen Zwilling oder von Xenobiotika mit hormonellen Eigenschaften verursacht sein.[5]

Durch die Veränderungen bei der Lateralisation des Gehirns erklären sich der GBG-Hypothese zufolge eine Reihe von Phänomen. Fertigkeiten der rechten Hirnhemisphäre wie beispielsweise Musik, Mathematik und Kunst sind bei Jungen stärker ausgeprägt als bei Mädchen. Andererseits sind sprachliche Anomalien – das Sprachzentrum befindet sich in der linken Hirnhemisphäre – wie beispielsweise Dyslexie, Hyperlexie und Stottern, bei Jungen häufiger anzutreffen, als bei Mädchen. Außer den neurologischen Wirkungen des Testosterons soll dieses Hormon auch Einfluss auf die embryonale Entwicklung des Thymus nehmen, wodurch die GBG-Hypothese Einflüsse auf die Entwicklung des Immunsystems und die Folgen daraus zu erklären versucht. Insgesamt gesehen ist die Geschwind-Behan-Galaburda-Hypothese ein Erklärungsmodell für eine Reihe verschiedener Phänomene. Männer, die in ihrer embryonalen Entwicklungsphase per se einen höheren Testosteronspiegel als Frauen aufweisen, sollten danach:[5]

  • häufiger mathematisch begabt sein
  • erhöht Lernstörungen aufweisen
  • häufiger zur Linkshändigkeit neigen
  • überlegene räumliche Fertigkeiten aufweisen
  • häufiger sprachbezogene Anomalien haben
  • vermehrt ein gestörtes Immunsystem aufweisen.

Geschwind und Galaburda stellten ihre Hypothese auf, nachdem sie bei Linkshändern und ihren Familien eine erhöhte Rate an Immunerkrankungen, Migräne und Lernschwächen feststellten. Bei Immunerkrankungen kamen sie in ihrer Studie auf ein Verhältnis von 2,7 bei Linkshändern im Vergleich zu Rechtshändern. Bei Sprachstörungen (Dyslexie und Stottern) war das Verhältnis von Linkshändern zu Rechtshändern noch höher.[1]

Rezeption

Die Geschwind-Behan-Galaburda-Hypothese wird seit ihrer Formulierung sehr kontrovers diskutiert.[6][7][8][9] Verschiedene epidemiologische Studien konnten Teile der Hypothese in ihrer Aussage bestätigen. Die Hypothese ist sehr umfangreich und hat eine Vielzahl von Parametern, so dass damit eine Reihe von bekannten Phänomenen erklärbar wird, aber auf der anderen Seite die Hypothese deshalb kaum falsifizierbar ist.[10][5]

Für Teilhypothesen des GBG-Modells gibt es unterstützende epidemiologische Studienbefunde.[5][11] Linkshändigkeit ist bei Männern signifikant häufiger als bei Frauen. Gleiches trifft auf das Stottern und Autismus zu.[12] Männer sind dagegen bei Fähigkeiten, die vor allem die rechte Hirnhemisphäre betreffen, wie beispielsweise räumliches Denken, Frauen im Durchschnitt überlegen.[13]

Im Bereich der Immunstörungen wurde bei Allergien,[14] Asthma[15] und Colitis ulcerosa ein Zusammenhang mit der Linkshändigkeit gefunden. Auch haben Linkshänderinnen eine um 65 % höhere Wahrscheinlichkeit an Multipler Sklerose zu erkranken.[16] Ähnliche statistische Werte gelten für linkshändige Männer und Frauen bei Brustkrebs.[17][18][19][20][21] Dagegen besteht bei Myasthenia gravis und Arthritis eine negative Korrelation, das heißt Linkshänder erkranken daran seltener als Rechtshänder.[22]

Männliche Katzen sind fast alle linkshändig, während weibliche Katzen im Wesentlichen rechtshändig sind.[23][24] Bei Schimpansen[25], Pferden[26] und Hunden[27] wurden sehr ähnliche Studienergebnisse erhalten.

Zwischen 1939 und 1960 erhielten Millionen von schwangeren Frauen Injektionen des synthetischen nichtsteroidalen Hormons Diethylstilbestrol (DES), um Komplikationen während der Schwangerschaft und Totgeburten zu vermeiden bzw. zu vermindern.[28] Bei den Nachkommen dieser so behandelten Frauen wurde eine signifikant höhere Rate von Linkshändern geboren.[29][30][31][32]

Weiterführende Literatur

  • G. Krommydas u. a.: Fetal sensitivity to testosterone, left-handedness and development of bronchial asthma: a new approach. In: Med Hypotheses 62, 2004, S. 143–145. PMID 14729020
  • U. Tan und M. Tan: Testosterone and grasp-reflex differences in human neonates. In: Laterality 6, 2001, S. 181–192. PMID 15513169
  • M. M. Clark u. a.: Effects of perinatal testosterone on handedness of gerbils: support for part of the Geschwind-Galaburda hypothesis. In: Behav Neurosci 110, 1996, S. 413–417. PMID 8731067
  • J. W. van Strien: Anomalous dominance is not a key concept in the Geschwind-Behan-Galaburda model. In: Brain Cogn 27, 1995, S. 84–88. PMID 7748547
  • A. St-Marseille und C. M. Braun: Comments on immune aspects of the Geschwind-Behan-Galaburda model and of the article of Bryden, McManus, and Bulman-Fleming. In: Brain Cogn 26, 1994, S. 281–290. PMID 7857622
  • J. E. Obrzut: The Geschwind-Behan-Galaburda theory of cerebral lateralization: thesis, antithesis, and synthesis? In: Brain Cogn 26, 1994, S. 267–274. PMID 7857620
  • I. C. McManus und M. P. Bryden: Geschwind's theory of cerebral lateralization: developing a formal, causal model. In: Psychol Bull 110, 1991, S. 237–253. PMID 1946868

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 N. Geschwind, P. Behan: Left-handedness: association with immune disease, migraine, and developmental learning disorder. In: Proceedings of the National Academy of Sciences. Band 79, Nummer 16, August 1982, S. 5097–5100, PMID 6956919, PMC 346835 (freier Volltext).
  2. N. Geschwind und A. M. Galaburda: Cerebral lateralization, biological mechanisms, associations, and pathology: I. A hypothesis and a program for research. In: Archives of Neurology 42, 1985, S. 428–459. PMID 3994562
  3. N. Geschwind und A. M. Galaburda: Cerebral lateralization, biological mechanisms, associations, and pathology: II. A hypothesis and a program for research. In: Archives of Neurology 42, 1985, S. 521–552. PMID 3890812
  4. N. Geschwind und A. M. Galaburda: Cerebral lateralization, biological mechanisms, associations, and pathology: III. A hypothesis and a program for research. In: Archives of Neurology 42, 1985, S. 634–654. PMID 3874617
  5. 5,0 5,1 5,2 5,3 F. Petermann u. a.: Entwicklungswissenschaft: Entwicklungspsychologie, Genetik, Neuropsychologie. Verlag Springer, 2004, ISBN 978-3-540-44299-8, S. 140.
  6. S. A. Berenbaum und S. D. Denburg: Evaluating the empirical support for the role of testosterone in the Geschwind-Behan-Galaburda model of cerebral lateralization: commentary on Bryden, McManus, and Bulman-Fleming. In: Brain Cogn 27, 1995, S. 79–83. PMID 7619133
  7. F. H. Previc: Assessing the legacy of the GBG model. In: Brain Cogn 26, 1994, S. 174–180. PMID 7531984
  8. B. J. Kaplan und S. G. Crawford SG. The GBG model: is there more to consider than handedness? In: Brain Cogn 26, 1994, S. 291–299. PMID 7857623
  9. F. E. Tønnessen: Testosterone and dyslexia. In: Pediatr Rehabil 1, 1997, S. 51–57. PMID 9689239
  10. I. C. McManus und M. P. Bryden: Geschwind's theory of cerebral lateralization: developing a formal, causal model. In: Psychol Bull 110, 1991, S. 237–253. PMID 1946868 (Review)
  11. N. S. Morfit und N. Y. Weekes; Handedness and immune function. In: Brain Cogn 46, 2001, S. 209–213. PMID 11527332
  12. N. Neave: Hormones and behaviour: a psychological approach. Cambridge University Press, ISBN 978-052-169201-4, S. 148.
  13. S. Schmidt: Linkshändigkeit. Ursprung, Bewertung, Umschulung. Grin-Verlag, 2001, ISBN 978-3-638-64475-4, S. 14.
  14. R. E. Weinstein u. a.: Allergy and the Geschwind-Behan-Galaburda Model. In: Brain Cogn 26, 1994, S. 181–184. doi:10.1006/brcg.1994.1048
  15. G. Krommydas u. a.: Left-handedness in asthmatic children. In: Pediatr Allergy Immunol 14, 2003, S. 234–237. PMID 12787305
  16. H. Gardener u. a.: The Relationship between Handedness and Risk of Multiple Sclerosis. In: Mult Scler 15, 2009, S. 587–592. PMID 1938975
  17. M. K. Ramadhani, S. G. Elias, P. A. van Noord, D. E. Grobbee, P. H. Peeters, C. S. Uiterwaal: Innate left handedness and risk of breast cancer: case-cohort study. In: BMJ (Clinical research ed.). Band 331, Nummer 7521, Oktober 2005, S. 882–883, doi:10.1136/bmj.38572.440359.AE, PMID 16186135, PMC 1255796 (freier Volltext).
  18. L. Titus-Ernstoff u. a.: Left-handedness in relation to breast cancer risk in postmenopausal women. In: Epidemiology 11, 2000, S. 181–184. PMID 11021617
  19. L. Fritschi, M. Divitini, A. Talbot-Smith, M. Knuiman: Left-handedness and risk of breast cancer. In: British Journal of Cancer. Band 97, Nummer 5, September 2007, S. 686–687, doi:10.1038/sj.bjc.6603920, PMID 17687338, PMC 2360366 (freier Volltext).
  20. Brustkrebs - Erhöhtes Risiko bei Linkshänderinnen. In: Der Spiegel vom 26. September 2005
  21. Mehr Brustkrebs bei Linkshänderinnen. In: scinexx vom 26. September 2005
  22. Geschwind-Behan-Galaburda-Modell – Theorie der Linkshändigkeit und Lateralisation. In: Andrologen.info September 2006, S. 108
  23. dnews.de: Fast alle Kater sind Linkshänder. (Memento vom 12. Dezember 2009 im Internet Archive) vom 3. August 2009
  24. D. L. Wells und S. Millsopp: Lateralized behaviour in the domestic cat, Felis silvestris catus. In: Animal Behaviour 78, 2009, S. 537–541. doi:10.1016/j.anbehav.2009.06.010
  25. W. D. Hopkins und D. A. William: Hand use and gestural communication in chimpanzees (Pan troglodytes). In: Journal of Comparative Psychology 112, 1998, S. 95–99. doi:10.1037/0735-7036.112.1.95
  26. J. Murphy u. a.: Idiosyncratic motor laterality in the horse. In: Applied Animal Behaviour Science 91, 2005, S. 297–310. doi:10.1016/j.applanim.2004.11.001
  27. D. L. Wells: Lateralised behaviour in the domestic dog, Canis familiaris. In: Behavioural Processes 61, 2003, S. 27–35. doi:10.1016/S0376-6357(02)00161-4
  28. L. Titus-Ernstoff u. a.: Psychosexual characteristics of men and women exposed prenatally to diethylstilbestrol. In: Epidemiology 14, 2003, S. 155–160. PMID 12606880
  29. J. G. Scheirs und A. J. Vingerhoets: Handedness and other laterality indices in women prenatally exposed to DES. In: J Clin Exp Neuropsychol 17, 1995, S. 725–730. PMID 8557813
  30. S. C. Schachter: Handedness in women with intrauterine exposure to diethylstilbestrol. In: Neuropsychologia 32, 1994 S. 619–623. PMID 8084419
  31. J. M. Reinisch und S. A. Sanders: Effects of prenatal exposure to diethylstilbestrol (DES) on hemispheric laterality and spatial ability in human males. In: Horm Behav 26, 1992, S. 62–75. PMID 1563729
  32. L. L. Smith und M. Hines: Language lateralization and handedness in women prenatally exposed to diethylstilbestrol (DES). In: Psychoneuroendocrinology 25, 2000, S. 497–512. PMID 10818283

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