Hans Flohr


Hans Werner Flohr[1] (* 22. Februar 1936 in Bonn) ist ein deutscher Neurobiologe, der vor allem durch seine Theorie des Bewusstseins und eine darauf basierende Anästhesietheorie bekannt geworden ist.

Biographie

Flohr studierte Medizin und Psychologie, machte sein Staatsexamen 1962 und promovierte 1964. 1969 habilitierte er sich für das Fach Physiologie. 1971 wurde Flohr Professor für Physiologie an der Universität Bonn, seit 1975 ist er Professor für Neurobiologie an der Universität Bremen. Er war 1989/90 Fellow am Zentrum für interdisziplinäre Forschung, Bielefeld und Mitglied der Forschergruppe „Mind and Brain“.

Forschungsschwerpunkte

  1. Neurobiologische Grundlagen von Lernen und Gedächtnis; insbesondere Kompensationsprozesse nach Läsionen des Nervensystems.
  2. Neuropharmakologie plastischer Prozesse.
  3. Physiologische Bedingungen des Bewusstseins. Anästhesie. Wirkungsweise halluzinogener Substanzen.
  4. Philosophie des Geistes.

Theorie des Bewusstseins

In seinem 1989 veröffentlichten Aufsatz „Brain processes and phenomenal consciousness. A new and specific hypothesis“ vertritt Flohr die Auffassung, dass Bewusstseinszustände auf spezifische Hirnzustände zurückgeführt werden können. Die wesentlichen Annahmen dieser Theorie sind:

  1. Bewusstseinszustände sind identisch mit selbst-referentiellen Repräsentationen höherer Ordnung (Metarepräsentationen), durch die das Gehirn seinen eigenen, aktuellen Zustand repräsentiert. Der phänomenale Gehalt von Bewusstseinszuständen entspricht dem Gehalt dieser Metarepräsentationen.
  2. Metarepräsentationen werden im Gehirn durch das raum-zeitliche Aktivitätsmuster großer, komplex strukturierter neuronaler Assemblies realisiert.
  3. Für die Entstehung derartiger Assemblies sind die NMDA-Synapsen der Hirnrinde von entscheidender Bedeutung. Aufgrund ihrer besonderen plastischen Eigenschaften implementieren diese Synapsen den Bindungsmechanismus, der zur Bildung derjenigen Assemblies, die Metarepräsentationen verkörpern, führt.
  4. Die Bildung derartiger Assemblies ist abhängig vom Aktivierungsgrad der kortikalen NMDA-Synapsen. Dieser bestimmt die Geschwindigkeit, mit der repräsentationale Strukturen aufgebaut werden. Metarepräsentationen entstehen automatisch, wenn die kortikalen NMDA-Synapsen ubiquitär aktiviert sind. Wird der kritische Aktivierungsgrad der kortikalen NMDA-Synapsen nicht erreicht, resultieren fokale Bewusstseinsstörungen oder ein globaler Bewusstseinsverlust.

Anästhesie. Halluzinogene Substanzen

Die Flohrsche Theorie ist empirisch prüfbar. Inzwischen ist eine große Zahl von experimentellen Befunden bekannt, die Vorhersagen, die sich daraus ableiten lassen, bestätigen. Die Theorie besitzt ein großes Problemlösungspotential, d.h. sie liefert Erklärungen für bisher unverstandene Sachverhalte. 1995 entwickelte Flohr aus diesen Ansätzen eine Theorie der Anästhesie. Diese umfasst zwei Hypothesen

  1. Der für den anästhetischen Zustand charakteristische Bewusstseinsverlust beruht auf einer ubiquitären Ausschaltung der kortikalen NMDA-Synapsen.
  2. Alle NMDA-Antagonisten (wie Ketamin) sind anästhetisch wirksam. Anästhetisch wirksame Substanzen, die primär nicht an der NMDA-Synapse, sondern an anderen Komponenten des Nervensystems angreifen (wie z.B. GABAA-Agonisten), führen deshalb zum Bewusstseinsverlust, weil sie indirekt hemmend auf die NMDA-Synapse wirken.

Für derartige indirekte Effekte ist wesentlich, dass der Aktivierungsgrad der NMDA-Synapse von zwei Faktoren abhängt: erstens, der Depolarisierung der postsynaptischen Membran, in die der Rezeptor eingebettet ist und zweitens, der Phosphorylierung des Rezeptorproteins, die über zahlreiche intrazelluläre Signaltransduktionswege beeinflusst werden kann. Die Wirkung halluzinogener Substanzen (wie LSD, Meskalin, Amphetamin, Scopolamin) beruht – nach Flohr – auf einer partiellen Hemmung der kortikalen NMDA-Synapsen. Dadurch entstehen abnorm strukturierte Assemblies und dementsprechend Metarepräsentationen mit abnormem Inhalt. Alle Substanzen, die direkt hemmend auf die NMDA-Synapse wirken (wie Phencyclidin), besitzen eine halluzinogene Wirkung. Substanzen, die primär an anderen zentralnervösen Synapsen des Zentralnervensystems angreifen, haben diese Wirkung, weil sie indirekt hemmend auf die NMDA-Synapse wirken.

Philosophisch gesehen vertritt Flohr eine repräsentationalistische Theorie des Bewusstseins. Seine Hypothesen entsprechen einer physikalistischen („mentale Entitäten sind physische Entitäten“) und reduktionistischen („mentale Zustände lassen sich auf Hirnprozesse zurückführen“) Auffassung.

Publikationen

Bücher

  1. Flohr, H., Precht, W. (eds.) Lesion-induced plasticity in sensorimotor systems. Springer, Berlin 1981
  2. Flohr, H. (ed.) Post-lesion neural plasticity. Springer, Berlin 1988
  3. Basar, E., Flohr, H., Haken, H., Mandell, A.J. (eds.) Synergetics of the brain. Springer, Berlin 1983
  4. Beckermann, A., Flohr, H., Kim, J. (eds.) Emergence or Reduction. Essays on the prospects of non-reductive physicalism. De Gruyter, Berlin 1992

Aufsätze

  1. Flohr, H., Lüneburg, U. Influence of melanocortin fragments on vestibular compensation. In: Lacour, M., Toupet, M., Denise, P., Christen, Y. Vestibular compensation. Elsevier, Amsterdam 1989
  2. Flohr, H., Lüneburg, U. Role of NMDA-receptors in lesion-induced plasticity. Arch.Ital.Biol. 131, 173-190 (1993)
  3. Flohr, H. Brain processes and phenomenal Consciousness: a new and specific hypothesis. Theory and Psychology 1, 245-262 (1991)
  4. Flohr, H. An information processing theory of anaesthesia. Neuropsychologia 33, 1169-1180 (1995)
  5. Flohr, H. Die physiologischen Grundlagen des Bewusstseins. In: Elbert, T., Birbaumer, N. (eds.) Enzyklopädie der Psychologie. Biologische Grundlagen der Psychologie Bd 6, Hogrefe, Göttingen 2002
  6. Flohr, H. Der Raum der Gründe. DZ Phil 53, 5, 1-12 (2005)
  7. Flohr, H. Unconsciousness. Best Pract. Res. Clin. Anaesth. 20, 11-22 (2006)

Literatur

  • Otto J. Groeg: Who's who in Germany, Band 1, Ausgabe 7, Who's who, 1980 ISBN 3921220289

Weblinks


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