Infradiane Rhythmik


Infradiane Rhythmen (lat. infra, unter, und dies, Tag = die Frequenz liegt unter der eines Tages) sind Rhythmen, die länger als 24 Stunden sind. Darunter fallen in der Chronobiologie beispielsweise Jahresrhythmen wie der Vogelzug und Gezeitenrhythmen, aber auch "Non-Circa-Rhythmen" (Rhythmen, die keine Entsprechung in der Umgebung haben) wie beispielsweise der Sexualzyklus.

Jahresrhythmen

(Circannuale Rhythmen, von lat. circa = ungefähr; annus = Jahr). Die Rotation der Erde um die Sonne verursacht die Jahreszeiten, besonders ausgeprägt außerhalb der Tropen. Variationen in der Sonneneinstrahlung (durch die Veränderung der Tageslänge und den Azimut der Sonne) führen zu den Saisonunterschieden in Temperatur und Nahrungsangebot. So gut wie alle terrestrischen und die meisten marinen Organismen zeigen als Antwort darauf eine ausgesprochene Jahresrhythmik bei ihrer biologischen Organisation. Dies äußert sich beispielsweise in einer Saisons gebunden (Reproduktion) Aktivitäts- beziehungsweise Ruhephase und allen damit verbundenen Phänomenen wie Mauser, Migration, Winterschlaf, Diapause und anderem. In Gebieten, die näher am Äquator liegen, werden brütende Vögel oft zu allen Jahreszeiten angetroffen. Weiter im Norden ist die Fortpflanzung in den günstigen Frühjahrs- und Sommermonaten konzentriert. Die Kenntnis von Mechanismen, die die Jahresrhythmik regulieren, ist besonders für die Vieh- und Gemüseproduktion von großer Bedeutung.

Bei der Analyse der Jahresrhythmik wird zwischen ultimaten und proximaten Faktoren in der Umgebung unterschieden.

Ultimate Faktoren sind die Variablen, die im Lauf der Evolution den Selektionsdruck ausgeübt haben, wodurch sich ein Verhalten, wie beispielsweise die Fortpflanzung, auf einen bestimmten Zeitpunkt des Jahres begrenzt. Proximate Faktoren sind Variablen, die durch das Individuum als Signal benutzt werden können, um zum Beispiel die Reproduktion einzuleiten und fallen unter die Kausale Analyse.

Ultimate Faktoren

Für viele Jahresrhythmen ist das Nahrungsangebot ein wichtiger ultimater Faktor, der in der Evolution zum Timing von Verhalten geführt hat. Während der Wintermonate sind viele Insekten in der Diapause, einem lang dauernden Ruhestadium der Eier, Larven oder der adulten Tiere. Manche Säugetiere unterdrücken andauernd ihren Energieverbrauch und fallen in Winterschlaf. Zugvögel verlassen ihre Brutgebiete und fliegen in ihre Winterquartiere, wo sie mit einem besseren Nahrungsangebot rechnen können. Durch das präzise Timing solchen Verhaltens und den daran gekoppelten Konsequenzen für das Individuum kann die Rolle der ultimativen Faktoren analysiert werden. Die Synchronisation der inneren Uhr mit einem exogenen Stimulus wird Entrainment genannt.

Timing der Reproduktion

Für das Timing der Reproduktion von Vögeln gelten grob drei funktionale Prinzipien.

  • Synchronisation mit dem Futterangebot: Als Beispiel ist hier die Ausnahme von der Regel zu nennen. Der Eleonorenfalke (Falco eleonorae) brütet im September auf kleinen Inseln im Mittelmeer und füttert seine Jungen fast ausschließlich mit Zugvögeln, die auf dem Herbstzug Richtung Afrika sind.
  • Synchronisation mit Artgenossen: Diese gilt beispielsweise für Kolonievögel nach der Regel "Je größer die Kolonie, desto kleiner das Risiko für den individuellen Vogel" (Fraser Darling-Prinzip). Predatoren üben also einen Selektionsdruck auf die relativ frühen und späten Brüter aus.
  • Knappheit der Ressourcen: Die am frühesten zurückkehrenden Zugvögel können die besten Territorien besetzen und ihre früh geborenen Jungen haben wahrscheinlich eine bessere Überlebenschance. Diese These kann nur durch Experimente gesichert werden. Diese sind aber noch kaum gemacht. Allerdings lassen neuere Untersuchungen an Kohlmeisen vermuten, dass ein früher Beginn der Brutzeit einen positiven Selektionsfaktor darstellt.

Natürliche Selektion

Natürliche Selektion bei der Jahresrhythmik kann nur stattfinden, wenn die Variationen eine genetische Grundlage haben. Genetische Variation könnte in der Natur zu Korrelationen beim Timing von verwandten Individuen leiten. Bei Kohlmeisen konnte eine Korrelation bei den Legezeiten von Müttern und Töchtern gefunden werden. Allerdings stehen Kreuzungsversuche noch aus. Bei der Mönchsgrasmücke (Sylvia atricapilla), bei der die deutsche Population im Winter zieht, während die Population auf den Kanarischen Inseln das nicht tut, konnte bei Kreuzungen in der F1-Generation in Gefangenschaft Zugunruhe (nächtliche Aktivität) in abgemilderter Form nachgewiesen werden.

Mensch

Auch beim Mensch kann eine Saisonsperiodizität bei der Reproduktion nachgewiesen werden. Der Jährliche Höhepunkt bei der Konzeption liegt auf der nördlichen Hemisphäre im Juni und für Geburten im März. Die Spitze bei der Säuglingssterblichkeit liegt im Winter. Die Amplitude des Reproduktionsrhythmus hat allerdings seit Beginn der Geburtenstatistik (Anfang des 19.Jahrhunderts) abgenommen.

Proximate Faktoren

Viele von der Jahreszeit abhängigen Aktivitäten können nicht plötzlich stattfinden, sondern setzen eine längere Vorbereitungszeit voraus. Erreichen die ultimaten Faktoren in der Umgebung einen kritischen Wert, kann es schon zu spät sein. So muss beispielsweise vor der Fortpflanzung von Zugvögeln erst das Brutgebiet angeflogen, ein Territorium besetzt, ein Partner gefunden, ein Nest gebaut werden. Daher bietet der ultimate Faktor meist keinen guten Stimulus. Viele Organismen haben daher Strategien entwickelt, Signale aus ihrer Umgebung als Vorbote für den zu erwartenden optimalen Moment der Fortpflanzung, des Zuges etc. zu benutzen. Solche Triggersignale heißen Proximate Faktoren. Nur in sehr variablen, nicht einschätzbaren Umgebungen ist der proximate Faktor normalerweise mit dem ultimaten gleich zu setzen. Beispielsweise werden Vögel in tropischen Gebieten mit dem Brüten beginnen, wenn der erste Regen gefallen ist und sich das Futterangebot entsprechend verbessert hat. Manchmal kann auch der Regen selbst, wie beispielsweise beim Zebrafink, der proximate Faktor sein. Die meisten Tiere der gemäßigten Breiten benutzen als proximaten Faktor die Tageslänge oder Fotoperiode, der genaueste Indikator für die Jahreszeit. Die Reaktion auf die Tageslänge wird Fotoperiodismus genannt. Es kann auch eine Kombination von proximaten Faktoren benutzt werden, beispielsweise die Tageslänge und das Futterangebot.

Angeboren oder erlernt?

Wie bei den circadianen Rhythmen wurde bei den Jahresrhythmen die Frage gestellt, ob sie exogener oder endogener Natur sind. Und wie bei den 24-Stunden-Rhythmen konnte durch Experimente gezeigt werden, dass die Rhythymik unter konstanten Bedingungen erhalten bleibt. Auch konnte am Beispiel von Zieseln, die in Gefangenschaft unter konstanten Bedingungen geboren und aufgezogen wurden, gezeigt werden, dass die annuale Rhythmik angeboren und nicht erlernt ist. Gleiches gilt für viele Vogelarten.

Oszillator-Mechanismus

Der Jahresrhythmus von Ziesel und Zugvögeln verhält sich also wie ein inwendiger Oszillator. Über die Mechanismen dahinter weiß man allerdings noch sehr wenig. Die Theorie, dass die Tiere die Tage zählen, konnte nicht bestätigt werden. Bis jetzt konnte noch kein endogener Pacemaker wie bei den circadianen Rhythmen nachgewiesen werden. Eventuell fungiert der Organismus als ganzes als Oszillator, wobei verschiedene Stadien einander folgen, allerdings konnten die wenigen Experimente dazu diese These in keiner Weise stützen.

Synchronisation

Tageslänge ist bei Singvögeln ein sicherer Zeitgeber für die endogenen Circannualen Rhythmen. Auch bei Rehen konnte die Geweihformung mit Licht als Zeitgeber beeinflusst werden. Bei den Winterschlafzyklen von Zieseln allerdings scheint Tageslänge keine Rolle zu spielen.

Funktionale Bedeutung von circannualen Rhythmen

Endogene Programmierung einer Jahresrhythmik ist vermutlich vor allem für Arten wichtig, die stark von einem präzisen Timing abhängig sind, aber keinen Zugang zu einer sicheren Information über die Jahreszeit haben. So kann bei einem Winterschläfer wie dem Goldmantel-Erdhörnchen (Spermophilus lateralis), das sechs Monate unter der Erde verbringt und dann innerhalb der ersten Woche nach dem Erwachen einen Sexualpartner finden muss, um sich in der kurzen Sommersaison zu reproduzieren, eine exakte Zeitbestimmung reproduktionsbestimmend sein.

Gezeiten, Mond, Östrus, Populationszyklen

Eine weitere infradiane Rhythmik ist die Gezeitenrhythmik (12,4 oder 24,8 Stunden) und die Mondrhythmik (29,5 Tage). Beide spielen vor allem in der Gezeitenzone der Ozeane eine Rolle. In einem Gebiet, das regelmäßig trocken fällt und überflutet wird, ist es lebensnotwendig diese Ereignisse antizipieren zu können. Die Untersuchungen nach diesen Phänomenen sind im Vergleich mit circadianer Rhythmik allerdings noch sehr begrenzt.

Circatidale Rhythmen

Wie bei der circadianen Rhythmik ist es evident, dass Arten, die in der Gezeitenzone leben, mit Hilfe endogener Gezeiten-Oszillatoren die Zeiten von Hoch- und Niedrigwasser antizipieren. Am besten ist das an den Winkerkrabben (Uca sp.) gezeigt. Sie zeigen unter konstanten Laborbedingungen zwei Aktivitätsphasen, die anfänglich mit den Gezeiten überein stimmen, sich aber langsam dazu aus der Phase bewegen. Über die Pacemaker, die dafür verantwortlich sind, ist noch nichts bekannt. Es wird vermutet, dass das Supra-ösophagiale (über der Speiseröhre liegend) Ganglion damit in Zusammenhang stehen könnte.

Circalunare Rhythmik

Diese hat sich im Zusammenhang mit dem 29 Tage dauernden Mondzyklus entwickelt. Borstenwürmer im Mittelmeer paaren sich im Sommer bei Vollmond. Extremer ist die Kombination von Jahr und Mondrhythmik beim Palolowurm aus dem Stillen Ozean. Diese Art vermehrt sich nur einmal im Jahr bei Vollmond durch die Abtrennung der hinteren Körpersegmente.

Oestruszyklus

Bei Säugetieren ist der Oestrus oder auch Östrus die Zeit der erhöhten sexuellen Aktivität. Während des Oestrus kommt es zum Eisprung. Dieser Zyklus sei der Vollständigkeit halber hier erwähnt. Er steht häufig in besonderer Beziehung zur circadianen Rhythmik. Siehe auch Menstruationszyklus; Sexualzyklus

Populationszyklus

Für die Ursachen von Populationszyklen, wie beispielsweise bei Lemmingen, gibt es eine Vielzahl an Hypothesen. Dabei werden häufig Rückkopplungsmechanismen diskutiert. So ist es wahrscheinlich, dass Beutegreifer-Beute-Relationen oder Parasiten bei der Regulation eine Rolle spielen. Bei vergleichbaren Taxa bestehen für die Populationszyklen häufig allometrische Beziehungen.

Rhythmen mit kürzeren Periodenlängen

Literatur

  • Eberhard Gwinner: "Circannual Rhythms", Springer-Verlang, ISBN 3540168915 in englischer Sprache