Jürgen Aschoff


Jürgen Walther Ludwig Aschoff (* 25. Januar 1913 in Freiburg im Breisgau; † 11. Oktober 1998 ebenda) war ein deutscher Biologe und Verhaltensphysiologe; zusammen mit Erwin Bünning und Colin Pittendrigh Begründer der Chronobiologie.

Leben

Aschoff wurde als fünftes Kind des Pathologen Ludwig Aschoff (Aschoff-Tawara-Knoten) und seiner Frau Clara geboren. Nach dem Abitur an einem humanistischen Gymnasium studierte er – laut eigener Aussage „Mangels spezifischem Interesse“ – Medizin an der Universität Bonn, wo er der Burschenschaft Alemannia Bonn beitrat. Nach seinem Abschluss 1937 an der Universität Freiburg promovierte er dort ein Jahr später zum Dr. med mit der Dissertationsschrift Blutalkoholkurve und Gewöhnung .

Aschoff war danach am Physiologischen Institut der Universität Göttingen tätig und nahm am 26. und 27. Oktober 1942 an der Tagung über Ärztliche Fragen bei Seenot und Wintertod teil, wo auch über die „Unterkühlungsversuche“ im KZ Dachau referiert wurde.[1] Er habilitierte sich 1944. 1947 wurde er kommissarischer Leiter des Physologischen Instituts der Universität Würzburg. Zwei Jahre später trat seine erste Professorenstelle an der Göttinger Universität als Physiologe an.

Ab 1952 arbeitete er am Max-Planck-Institut für medizinische Forschung in Heidelberg. Er war von 1967 bis 1979 Direktor am Max-Planck-Institut für Verhaltensphysiologie in Seewiesen (Standort Andechs) und Wissenschaftliches Mitglied der Max-Planck-Gesellschaft. In der Zeit in Seewiesen war er außerplanmäßiger Professor in München. Weiterhin war er von 1972 bis 1976 Senator der Max-Planck-Gesellschaft. Seit 1978 war er Mitglied der Gelehrtenakademie Leopoldina, weiterhin gehörte er der mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse der Bayerischen Akademie der Wissenschaften von 1984 bis 1987 als ordentliches Mitglied an, nach seinem Umzug nach Freiburg 1987 war er korrespondierendes Mitglied.

Nach seinem Rückzug in den Ruhestand 1983 und 1987 nach dem Umzug zurück nach Freiburg setzte Aschoff seine wissenschaftliche Arbeit in Form von weiteren Veröffentlichungen fort. Erst der Tod seiner Frau Hilde konnte seine außergewöhnliche Vitalität brechen. Jürgen Aschoff starb 10 Monate nach seiner Frau nach kurzer Krankheit im Alter von 85 Jahren.

Wirken

Seine frühen Publikationen machte er im Bereich Physiologie über die Thermoregulation. Fast zwangsläufig stellte Aschoff bei seinen Forschungen über die Körpertemperatur des Menschen (auch bei Eigenuntersuchungen) einen 24-Stunden-Rhythmus der Körpertemperaturschwankungen fest. Aber als „einsamer Wolf“, wie er sich selbst nannte, hatte er keinen Kontakt zu anderen Wissenschaftlern, die sich mit diesen Phänomenen beschäftigten. Außerdem waren ihm die Freilauf Rhythmen bei Pflanzen unbekannt. Aschoff äußerte einmal, dass die Botaniker den Zoologen 103 Jahre voraus wären, was die Entdeckung der circadianen Rhythmik anbetraf.

1953 traf Aschoff Erwin Bünning, einer der ersten Chronobiologen. Die Beziehung der beiden war sehr freundschaftlich. 1958 lernten Aschoff und Colin Pittendrigh sich kennen und blieben ihr ganzes Leben lang sehr gut befreundet. Aschoff, Bünning und Pittendrigh waren 1960 die Hauptinitiatoren des „Cold Spring Harbor Symposiums für biologische Uhren“. Hier legten sie den virtuellen Grundstein für die biologische-Rhythmen-Forschung im 20. Jahrhundert.

1954 trafen Aschoff und Gustav Kramer, der die Sonnenkompassorientierung bei Vögeln entdeckt hatte, sich zum ersten Mal. 1958 holten Konrad Lorenz und Erich von Holst Aschoff nach Seewiesen. Von Erich von Holst lernte er viel über die Kopplung von Oszillatoren und dem Phänomen der relativen Koordination. Kurze Zeit später übernahm Aschoff eine für ihn neu gegründete Abteilung des Max-Planck-Instituts für Verhaltensphysiologie in Erling-Andechs, sodass dort neben der „klassischen“ und eher beschreibenden Ethologie tatsächlich auch physiologisch geforscht wurde.

Kurz nachdem Aschoff zum Direktor des Max-Planck-Instituts für Verhaltensphysiologie in Andechs ernannt worden war, begannen auch Rütger Wever und Eberhard Gwinner in Andechs zu arbeiten. Das Institut entwickelte sich mit den Jahren zum Mekka der Chronobiologie.

Viele Wissenschaftler aus der ganzen Welt kamen nach Andechs, um zusammen mit Aschoff zu arbeiten, unter anderen auch Colin Pittendrigh und Serge Daan. Hier fanden sie eine ausgezeichnete Ausstattung und – einmalig auf der Welt - den „Bunker“, eine in den Berg gegrabene Isolationseinrichtung für die Erforschung von menschlichen und tierischen circadianen Rhythmen. Der Bunker wurde unter Mithilfe der NATO in den frühen 1960er Jahren gebaut.

Wissenschaftliche Arbeit

Nachdem er bei Eigenversuchen auf den 24-Stunden-Rhythmus bei der menschlichen Temperaturregulation gestoßen war, wuchs bei Aschoff das Interesse an den zugrunde liegenden Mechanismen. Er fing an, weiter Versuche zu diesem Themengebiet zu machen. So zog er Vögel mit der Hand auf und beobachtete etliche Mäusegenerationen, die er unter konstanten Bedingungen im Labor züchtete. Nach diesen Versuchen postulierte er:

  • „Die Rhythmik ist angeboren, und es bedarf keiner Bloßstellung an einen 24-Stunden-Tag, um sie zu erzeugen.“

Er setzte seine Arbeit fort, indem er bei Vögeln und Menschen die Einflüsse exogener Stimuli auf das endogene circadiane System untersuchte. Die Intensität kontinuierlicher Beleuchtung modulierte die Frequenz vorhersagbar, wenn auch bei nachtaktiven (nocturnalen) und tagaktiven (diurnalen) Tieren in entgegengesetzter Richtung – ein Phänomen das bald als „Aschoff's Rule“ (Aschoffs Regel) generalisiert wurde:

  • Die Freilauf Periode tau (τ) in nachtaktiven Tieren ist länger in L:L als in D:D, wogegen in tagaktiven Tieren tau in L:L kürzer ist als in D:D wobei L:L = 24 Stunden Licht und D:D = 24 Stunden Dunkelheit bedeutet

Diese und andere Ergebnisse führten zu einem neuen konzeptionellen Blick auf die Synchronisation von circadianen Rhythmen. Er postulierte einen angeborenen, biologischen Oszillator, welcher in natürlicher Umgebung beispielsweise vom Tag-Nacht-Wechsel synchronisiert ist. Den synchronisierenden Faktor nannte er „Zeitgeber“, ein Wort das auch Eingang in die englische Sprache gefunden hat.

Durch Anwendung der physikalischen Oszillator Theorie konnte Aschoff Vorhersagen zu dem Verhalten von circadianen Systemen und ihrer Antwort auf unterschiedliche Zeitgeber machen. Seine experimentelle und theoretische Arbeit in den 1950er und 1960er Jahren legte den Grundstein für die heutige Sicht der circadianen Rhythmen als einem Produkt endogener Oszillatoren und ihrer konstanten Phasenbeziehung zum Licht–Dunkel-Zyklus – dem präzisesten Zeitgeber, den unser Planet zu bieten hat.

Aschoff und Wever konnten die gut untermauerte Theorie etablieren, dass menschliche Physiologie und Verhalten genauso von endogenen circadianen Oszillatoren kontrolliert wird, wie das der Tiere. Diese Erkenntnis hatte weitreichende Effekte in der Biologie und der Medizin. Es führte zu unserem gegenwärtigen Verständnis vieler sozio-medischer Probleme, wie sie beispielsweise aus der Schichtarbeit, Affektiven Störungen, Schlafstörungen, dem Altern und Jet-Lag resultieren. Außerdem legte es die Basis für die Optimierung pharmakologischer Therapien.

Veröffentlichungen (Auswahl)

  • „Beginn und Ende der täglichen Aktivität freilebender Vögel“ (mit R. Wever, 1962),
  • „Circadian Clocks" (1965), "Desynchronization and Resynchronization of Human Circadian Rhythm“ (1969),
  • „The Circadian System of Man“ (mit R. Wever, 1981).

Literatur

  • Eberhard Gwinner: Jürgen Aschoff : 25.1.1913-12.10.1998. In: Jahrbuch der Max-Planck-Gesellschaft. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1999, ISBN 3-525-86129-X, S. 901ff. (Nachruf auf Aschoff)
  • Eberhard Gwinner: Jürgen Aschoff (1913-1998). In: Journal für Ornithologie. 140, 1999, S. 384–387.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Frankfurt am Main 2007, S. 20.