Stäbchen (Auge)
Stäbchen (englisch rod cells, oder rods) sind die Fotorezeptoren in der Netzhaut des Auges, die dem Sehen bei geringer Helligkeit, dem Skotopischen Sehen, Nachtsehen oder Dämmerungssehen, dienen. Mit diesen spezialisierten, sehr empfindlichen Sinneszellen wird ein Lichtsignal aus der Außenwelt in ein für das Gehirn verwertbares Signal umgewandelt. Stäbchen erlauben monochromatisches Sehen, da die Rezeptorzellen nur auf das Licht eines bestimmten Wellenlängenbereichs reagieren (Schwarz-Weiß-Sehen). Viele Tiere besitzen zusätzlich die analog aufgebauten, weniger empfindlichen Zapfen, die für eine Farbwahrnehmung, das sogenannte Photopische Sehen, notwendig sind.
Aufbau und Funktion
Im Aufbau sind Stäbchen und Zapfen ähnlich organisiert und bestehen aus einem Zellkörper, einer Synapse sowie einer Zellspezialisierung: dem Innen- und Außensegment. Im Außensegment („Outer segment“, OS) findet die visuelle Signaltransduktion durch die Sehfarbstoffmoleküle statt. Diese setzen sich aus einer chromophoren Gruppe (Retinal) und einem Glykoprotein (Opsin) zusammen. Diese Moleküle sind in vielen (>1000) membranösen Scheiben („Disks“) eingelagert. Die Außensegmente der Stäbchen sind lang, schmal und grenzen an das retinale Pigmentepithel (RPE), welches abgeschnürte, alte Membranstapel phagocytiert. Ein Außensegment ist über ein modifiziertes Cilium in dezentraler Lage, das Verbindungscilium („Connecting cilium“, CC), mit dem Innensegment verbunden. Neun Mikrotubuli-Dupletts in nonagonaler Anordnung bilden die innere Struktur dieses unbeweglichen Ciliums. An dieses schließt sich das stoffwechselaktive Innensegment („Inner segment“, IS) an, welches noch in das an Mitochondrien reiche Ellipsoid und in das Myoid mit dem endoplasmatischen Retikulum (ER) unterteilt ist. Hier erfolgt unter anderem die Proteinbiosynthese. Die folgende Schicht ist die äußere Körnerschicht („Outer nuclear layer“, ONL), welche den Zellkörper mit dem Zellkern (Nucleus, N) beinhalten. Von diesem geht ein Axon aus, welches mit einer Synapse (S) in der äußeren plexiformen Schicht („Outer plexiform layer“, OPL) endet. Die Synapsen der Photorezeptoren sind so genannte „Ribbon-Synapsen“, band- oder plattenartige Strukturen direkt an der aktiven Zone der Präsynapse. An die Ribbon-Struktur sind viele synaptische Vesikel gekoppelt und es können im Vergleich zu normalen Synapsen eine weit höhere Anzahl von Vesikel pro Zeiteinheit ausgeschüttet werden. Im Dunkeln erfolgt eine fortwährende Ausschüttung des Neurotransmitters Glutamat. Dieser wirkt in der Regel exzitatorisch auf die Postsynapsen von Horizontal- und Bipolarzellen. Trifft Licht auf die Photorezeptorzelle, werden Ionenkanäle in der Zellmembran geschlossen, ausgelöst durch die Signaltransduktionskaskade. Die Photorezeptorzelle hyperpolarisiert und schüttet den Neurotransmitter nicht weiter aus. In der Folge werden die Ionenkanäle der nachgeschalteten Zellen geöffnet und so der Impuls an diese übertragen.
Lichtempfindlichkeit
Die Stäbchen des Menschen enthalten eine Form des Sehpigments Rhodopsin, die am empfindlichsten für Licht mit einer Wellenlänge von etwa 500 nm (blaugrün) ist. Diese Sinneszellen sind hauptsächlich für das Sehen in der Dämmerung und bei Nacht wichtig, da sie schon bei geringer Lichtintensität arbeiten. Durch die Stäbchen können keine Farben unterschieden werden, weil im Gegensatz zu den Zapfen alle Stäbchen dasselbe Empfindlichkeitsspektrum aufweisen. Im Außenbereich der Netzhautmitte (5–6 mm) überwiegt die Zahl der Stäbchen, wodurch der Mensch bei Dämmerung in der Peripherie besser sieht als im Zentrum. Insgesamt befinden sich im menschlichen Auge etwa 120 Millionen Stäbchen.
Die größere Lichtempfindlichkeit der Stäbchen gegenüber den Zapfen hat im Wesentlichen zwei Ursachen:
- Zum einen sind die lichtempfindlichen Pigmentscheiben im oberen Teil der Stäbchen lichtempfindlicher. Bereits ein einzelnes absorbiertes Photon führt nach einer Reihe von intrazellulären Prozessen zu einer Membranspannungsänderung von etwa 1 mV. Zapfen benötigen hingegen eine wesentlich größere Photonenanzahl (mindestens etwa 200) um ein verlässliches Lichtsignal an die nachgeschalteten Zellen weiterzuleiten.
- Der zweite Grund liegt in der neuronalen Verschaltung der Rezeptoren mit nachgeschalteten Zellen. Grob gesagt leiten viele Stäbchen ihr Signal an eine einzige Ganglionzelle (über Bipolarzellen etc.) weiter, während ein Zapfen in vielen Fällen auch nur auf jeweils eine Ganglionzelle ableitet. D. h. die Information der Stäbchen konvergiert ungleich stärker als jene der Zapfen. Darin liegt auch der Grund für die schlechte räumliche Auflösung des Stäbchensehens (z. B. in der Nacht). Erhält eine Ganglienzelle (über welche die Information letztendlich weiter Richtung Gehirn geleitet wird) ein Stäbchensignal, so kann dieses von vielen verschiedenen Stäbchen, die mit ihr Synapsen bilden, stammen und der Punkt auf der Netzhaut, wo das Bild abgebildet wird, ist somit relativ vage. Erhält eine Ganglionzelle hingegen Zapfeninformation, so kann der Lichtpunkt sehr gut auf der Retina lokalisiert werden, da nur sehr wenige Zapfen mit ihr verbunden sind.
Erregungsweiterleitung bei Stäbchen und Zapfen
Die übergroße Mehrheit der Nervenzellen (Neurone) leitet ihre Information über sogenannte Aktionspotentiale an andere Neurone weiter. Vereinfacht gesprochen wird durch die Reizung eines Neurons in ihm eine Spannungsänderung bewirkt (die eigentlich negativ geladene Zelle wird für kurze Zeit positiv geladen), was dazu führt, dass das Neuron über eine synaptische Verbindung Botenstoffe (Neurotransmitter) ausschüttet. Diese Neurotransmitter binden sich an Rezeptoren des nachgeschalteten Neurons und führen auch dort zu Spannungsänderung usw. Bei dieser gewöhnlichen Art der Erregungsweiterleitung wird die Information nicht durch die Stärke des Aktionspotentials (der bewirkten Spannungsänderung) kodiert, sondern einzig durch die Frequenz der Aktionspotentiale. Das nachgeschaltete Neuron interessiert sich also nicht dafür, wie stark das Aktionspotential des anderen Neurons ist bzw. wie viele Botenstoffe ausgeschüttet werden, sondern einzig dafür, wie oft in einer bestimmten Zeitspanne ein Aktionspotential auftritt. Dem entspricht die Frequenz der Aktionspotentiale, es ist also frequenzmoduliert. Die vom vorhergehenden Neuron ausgeschüttete Botenstoffkonzentration kann als annähernd proportional zu den folgenden Potentialen an den Folgerezeptoren gesehen werden. Diese finden ihre Codierung in der Aktionspotentialfrequenz am Folgeneuron wieder, sofern die Rezeptorpotentiale einen gewissen Schwellenwert übersteigen. Aufgrund der Proportionalität von Botenstoffen und Rezeptorpotential gleicht diese Frequenz der des vorherigen Neurons.
Die Erregungsweiterleitung in Stäbchen und Zapfen funktioniert jedoch auf andere Weise: Sie kodieren die Lichtinformation nicht über die Frequenz von Aktionspotentialen, sondern über die Stärke ihrer intrazellulären Spannungsänderung. Die meisten anderen Neurone sind in ihrer Ruhelage (wenn kein Reiz eintrifft) mit etwa –65 mV negativ geladen. Wirkt auf sie ein Reiz ein, schnellt die Ladung für kurze Zeit auf etwa +10 bis +30 mV nach oben und ein Aktionspotential wird durch diese Depolarisation ausgelöst. Stäbchen und Zapfen sind in ihrer Ruhelage (wenn kein Licht eintrifft) jedoch mit etwa –40 mV weniger stark negativ geladen - also leicht depolarisiert. Sobald Licht auf sie einwirkt, werden sie noch negativer geladen (bis max. etwa –65 mV) - also hyperpolarisiert - anstatt wie die anderen Neurone positiver zu werden. Grob gesagt schüttet jedes Neuron umso mehr Botenstoffe aus, je positiver geladen es ist. Während normale Neurone also bei einem Reiz (der Depolarisation bewirkt) auf einmal sehr viel mehr Botenstoffe ausschütten, läuft diese Reaktion bei Fotorezeptoren genau umgekehrt ab: Trifft ein Lichtreiz ein werden sie noch negativer (hyperpolarisiert) und schütten weniger Botenstoffe als in Ruhelage aus. Nachgeschalteten Zellen wird der Lichtreiz also nicht durch mehr, sondern durch weniger ausgeschüttete Botenstoffe signalisiert. Im Gegensatz zu den anderen Neuronen spielt bei den Fotorezeptoren nicht die Frequenz, sondern die Stärke der Spannungsänderung die wichtigste Rolle bei der Reizintensitätskodierung. Die Intensität des Lichtreizes wird den nachgeschalteten Zellen durch das Ausmaß der Botenstoffreduzierung mitgeteilt – je weniger Botenstoffe, desto stärker war der Lichtreiz.