Syringomyelie
Klassifikation nach ICD-10 | |
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G95.0 | Syringomyelie und Syringobulbie |
ICD-10 online (WHO-Version 2019) |
Die Syringomyelie (griech. Syrinx: Rohr, Flöte) ist eine Höhlenbildung im Rückenmarksgrau und gehört zu den dysrhaphischen Erkrankungen. Es ist eine sehr seltene und teilweise schmerzhafte, unheilbare Erkrankung des Rückenmarks. Jährlich tritt sie bei etwa 1 bis 2 von 1.000.000 Menschen auf. Dabei ist die Häufigkeit der Syringomyelie regional unterschiedlich: In Südwestdeutschland und in Österreich ist die Rückenmarkserkrankung häufiger zu finden.
Männer sind genauso häufig wie Frauen betroffen. Typischerweise tritt die Erkrankung in der späten Pubertät oder im jungen Erwachsenenalter auf. Die Syrinx kann Druck auf die umgebenden Nervenbahnen des Rückenmarks ausüben und dadurch Schmerzen oder Lähmungen auslösen. Hervorgerufen wird die Syrinx meistens durch Störungen im Fluss des Liquors, der das gesamte zentrale Nervensystem aus Gehirn und Rückenmark umgibt. Solche Störungen können dazu führen, dass sich das Nervenwasser in der Nähe dieser Störung im Inneren des Rückenmarks aufstaut und sich eine Syrinx ausbildet. Dies ist eine etwas grobe Beschreibung, die genauen Prozesse, die zur Bildung der Syrinx führen, sind erst seit kurzem bekannt und zum Teil noch Gegenstand der Forschung.
Die Erkrankung kann auf einer Entwicklungsstörung beruhen oder sich nach einer Verletzung, einem Tumor oder einer Entzündung entwickeln. Es findet sich eine Höhlenbildung im Rückenmarksgrau, insbesondere von Hals- und Brustmark. Betrifft die Erkrankung die Medulla oblongata (den hintersten Gehirnteil), wird sie Syringobulbie genannt. Nach den ersten Symptomen kann es zu einer über Jahre bis Jahrzehnte dauernden langsamen Verschlechterung des Befindens kommen.
Gemeinsame Ursache aller Syringomyelieformen ist eine Beeinträchtigung der freien Liquor-Zirkulation, die im Rückenmark zu einer Entstehung einer mit Liquor gefüllten Höhle, der „Syrinx“, führen kann. Die Größe einer Höhle korreliert nicht mit der Schwere der Erkrankung, vielmehr bestimmt die Lage der Syrinx die Symptomatik. Im fortgeschrittenen Stadium kann es durch eine lokale Blut-Minderversorgung zusätzlich zu einer Rückenmark-Schädigung kommen. Weiterhin kann es zu einer Einkammerung der Syrinx durch Wucherung der Gliazellen des Rückenmarks kommen.
Der primären (angeborenen) Syrinx liegt oft eine so genannte „Chiari-Malformation“ (Fehlbildung des zerebromedullären Überganges mit so genanntem „Kleinhirn-Tonsillen-Tiefstand“) zugrunde. Die Verlagerung der Gehirnteile bewirkt eine chronische Liquorzirkulationsstörung, welche manchmal über einen Zeitraum von Jahren eine Rückenmarkshöhle ausbilden kann, die meistens im zervikalen oder thorakalen Rückenmark liegt.
Die sekundäre (erworbene) Form entwickelt sich auch noch Jahre nach Ereignissen wie einem Trauma bei einem schweren Unfall oder nach multiplen, vom Patienten gar nicht erinnerlichen Mikrotraumen (Verklebung der Rückenmarkshäute mit konsekutiver Liquorzirkulationsstörung). Weiterhin kann eine Entzündung der Spinngewebshaut des Rückenmarks zu einer Liquorzirkulationsstörung führen. Eine Syringomyelie kann auch im Rahmen eines kaudalen Regressionssyndroms auftreten; dieses ist oft Folge eines Schwangerschaftsdiabetes (Gestationsdiabetes). Schließlich können auch Tumore eine Syrinx induzieren.
Symptome
Symptome sind unter anderem Muskelatrophie, Faszikulationen und Fibrillationen, besonders an den Armen mit Areflexie, Störungen der vegetativen Innervation mit vasomotorischen Symptomen, Ödemen, Hyperkeratosen, Horner-Syndrome, später, im Reflexbefund der Beine, Pyramidenbahnsymptome und spastische Lähmungen. Wegen des fehlenden Schmerzempfindens bei Temperaturreizen und spitzen Gegenständen können Verstümmelungen vorkommen, und da Gelenksüberlastungen nicht zeitig gespürt werden, auch vorzeitige Arthrosen, Knochenbrüche, Malum perforans. Bei begleitender Syringobulbie kommt es auch zu Nystagmus rotatorius mit Drehschwindel, Trigeminusstörungen, Lähmungen des Gaumensegels, der Stimmbänder oder einer Hemiatrophie der Zunge. Weitere häufige Symptome sind Verschlechterung des Sehvermögens, Skoliose, sexuelle Funktionsstörungen wie z. B. abnehmende Libido und Impotenz[1], Depressionen, Krampfanfälle und Empfindungsstörungen ähnlich der Multiplen Skleroese.
Reicht die Syrinx bis in die unteren Hirnanteile, kann es zu Ausfallserscheinungen im Bereich der Hirnnerven kommen. Ebenfalls typisch für eine Höhle in dieser Lokalisation ist der Abbau von Muskelmasse (Muskelatrophie) im Bereich der Zunge. Auftreten können Empfindungsstörungen oder Schmerzen im Bereich des Gesichts. Diese Symptome treten oft einseitig auf und schreiten schnell fort.
Erwähnenswert ist, dass Lage und Größe der Syrinx nicht in Relation zu der Heftigkeit der Symptome stehen müssen – eine sehr breite Syrinx kann auch unbemerkt vorhanden sein, während auch kleinste Liquorfluss-Störungen heftigste Symptome hervorrufen können.
Diagnose
Heute erfolgt die Diagnose der Syringomyelie in der Regel mittels Kernspintomographie (MRT). Dabei wird die Liquorzirkulation im Schädel bzw. im Rückenmarkskanal in einer speziellen MRT-Sequenz unter Verwendung von Kontrastmittel dargestellt. Beurteilt wird die Pulsation des Nervenwassers in Relation zum Herzschlag des Untersuchten, wodurch selbst kleinste Verklebungen mit Zirkulationsbeeinträchtigung des Nervenwassers erkennbar werden. Da die Syrinx selbst durch das Kontrastmittel kaum bis gar nicht erkennbar erscheint, ist eine MRT ohne letzteres vonnöten, um die Zyste genau abbilden zu können. Die Diagnostik sollte stets eine Lumbalpunktion mit anschließender Untersuchung des Nervenwassers beinhalten, um etwaige Entzündungen eindeutig auszuschließen.
Heute zur Diagnose eher unüblich ist die Anwendung einer Myelografie (bzw. Postmyelo-CT).
Therapie
Eine Heilung der Syringomyelie ist bis zum heutigen Tag nicht möglich. Es wird vor allem symptomatisch durch adäquate Schmerztherapie und Krankengymnastik behandelt. Durch die Schwierigkeit der Begrenzung von neuropathischen Schmerzen (Schmerzen durch Rückenmarksverletzungen oder -irritationen) kann sich die Schmerztherapie langwierig und schwierig darstellen, wobei herkömmliche Schmerzmedikamente oft nicht oder nur unzureichend greifen und eine Kombinationsbehandlung mit schmerzhemmenden Medikamenten, Neuroleptika und Antidepressiva empfehlenswert ist. In schweren Fällen kann eine Schmerztherapie durch Opiate (z. B. Transtec, Fentanyl, Durogesic) erfolgreich sein und dem Patienten eine Schmerzlinderung bescheren.
Operativ wird versucht, die Ursache (Verklebung, Vernarbung, Hautsegel u. a.) zu beheben oder, falls die Syringomyelie durch eine sogenannte „Chiari-Malformation“ des Typs I/II bedingt ist, durch eine operative Verkleinerung des Kleinhirns und/oder eine Vergrößerung des Hinterhauptlochs eine Entlastung zu erreichen. Die Beschwerde-Symptomatik bildet sich aber meist nur unvollständig zurück. Bei der früher häufigen Shunt-OP kann zusätzlich eine neue Syrinx als OP-Folge induziert werden, weswegen diese Operationsmethode mittlerweile meist nur noch in schwerwiegenden Fällen angewandt wird.
Prognose
Bei zirka einem Drittel der Patienten verläuft die Erkrankung sehr langsam oder kommt zu einem Stillstand. Bei einem Viertel, oft bei sekundär traumatisch erworbener Syrinx, findet sich eine zunehmende Verschlechterung, die auch nach operativer Therapie keine wesentliche Verlangsamung erfährt.
Für Betroffene
Für Betroffene gibt es einen international aktiven Verein, den Deutsche Syringomyelie und Chiari Malformation e.V. (DSCM e.V.), der von Betroffenen für Betroffene, Angehörige und sonst Interessierte (Ärzte, Physiotherapeuten etc.) gegründet wurde und von Fachärzten und Juristen unterstützend begleitet wird. Schirmherr ist Madjid Samii.
Weblinks
Quelle
- Klaus Poeck: Neurologie. 9. Aufl., Springer, 1996, S. 502 ff, ISBN 3-540-57942-7
- Heinz-Walter Delank, Walter Gehlen: Neurologie. 12. Aufl., Thieme Verlag, 2010, S. 386 f, ISBN 3131297727