Alpenwanderung mit Folgen: Forscher verifizieren fast 70 Jahre alte genetische Hypothese
Bio-News vom 09.01.2019
An einer Orchideen-Population in Südtirol belegen Forscher der Universitäten Hohenheim, Zürich und Wien die Überdominanz-Hypothese / Publikation in Nature Communications
Mischerbige Pflanzen sind fitter als reinerbige – und ihnen daher überlegen. Mit dieser Hypothese der sogenannten Überdominanz wird seit 1951 das Vorkommen verschiedener Erscheinungsformen in einer Population erklärt. Doch einen klaren Beleg für diesen Mechanismus konnte bisher noch niemand erbringen. Erst jetzt ist es einem Forschungsteam der Universitäten Hohenheim, Zürich, Wien und Cambridge gelungen, die These zu bestätigen. Das Forschungsobjekt: Das Schwarze Kohlröschen, eine schöne, wohlriechende Alpenorchidee. Auf der Seiser Alm in Südtirol ist sie nicht nur in ihrer dunklen Variante zu finden – und hat damit die Neugier der Forscher geweckt. Ihre Erkenntnisse haben sie jetzt in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht.
Es begann als Wanderung und endet als Forschungsprojekt: Als der Botaniker Dr. Roman Kellenberger in Südtirol unterwegs war, stach ihm etwas Außergewöhnliches ins Auge. Das Schwarze Kohlröschen (Gymnadenia bzw. Nigritella rhellicani) ist hier weit verbreitet – doch die eigentlich dunkle, duftende Alpenorchidee zeigt sich auf der Seiser Alm in drei verschiedenen Farbausprägungen. Nur 62 Prozent der Pflanzen weisen den fast schwarzen Wildtyp auf, 28 Prozent sind rot und 10 Prozent weiß.
Publikation:
Roman T. Kellenberger, Kelsey J.R.P. Byers, Rita M. De Brito Francisco, Yannick M. Staedler, Amy M. LaFountain, Jürg Schönenberger, Florian P. Schiestl, Philipp M. Schlüter
Emergence of a floral colour polymorphism by pollinator-mediated overdominance
Nature Communications
DOI: https://doi.org/10.1038/s41467-018-07936-x
„Diese Zahlen sind zu hoch, um einfach nur spontane Mutationen zu sein. Es gibt zwar immer mal vereinzelt Exemplare in anderen Farben, aber Sie verschwinden wieder, wenn sie keinen Selektionsvorteil haben“, erklärt Dr. Kellenberger, damals noch Doktorand an der Universität Zürich und mittlerweile an der Universität Cambridge tätig. Er besprach sich mit seinem Fachbetreuer Prof. Dr. Philipp Schlüter, der heute das Fachgebiet Biochemie des pflanzlichen Sekundärstoffwechsels an der Universität Hohenheim leitet.
Fit durch Mischerbigkeit
Der Verdacht der beiden Forscher: Es könnte sich um einen sogenannten Polymorphismus („Vielgestaltigkeit“) durch Überdominanz handeln – eine Hypothese, die im Jahr 1951 erstmals von Theodosius Dobzhansky aufgestellt wurde und die ein grundlegendes Konzept in der Evolutionsbiologie darstellt.
Doch einen überzeugenden Beleg für eine echte Überdominanz zum Erhalt von Polymorphismus in einer natürlichen Population gab es bisher noch nicht. Prof. Dr. Schlüter erklärt den genetischen Hintergrund: „Überdominanz bedeutet, dass die Fitness mischerbiger Nachkommen höher ist als bei beiden reinerbigen Eltern.“
Bestäuber bevorzugen rote Blüten…
Um dem Phänomen auf die Spur zu kommen, war zunächst Recherche nötig: „Der Farbpolymorphismus beim Schwarzen Kohlröschen existiert seit mindestens 100 Jahren“, berichtet Prof. Dr. Schlüter. „Denn erstmals erwähnt wurde er im Jahr 1906.“ Aufzeichnungen zufolge sei von 1997 bis 2016 der Anteil der roten und weißen Exemplare von zusammen unter 5 Prozent auf rund 40 Prozent gestiegen – ein Hinweis darauf, dass die neuen Varianten, bzw. vor allem die rote Variante, der schwarzen überlegen sind.
Grund dafür sehen die Forscher in den Bestäubern der Pflanze: „Auf der Seiser Alm sind Bienen und Fliegen die wichtigsten Bestäuber des Schwarzen Kohlröschens“, erklärt Prof. Dr. Schlüter. „Die beiden werden jedoch von unterschiedlichen Farben angezogen: Bienen bevorzugen die dunklen Blüten, Fliegen die weißen, und die roten werden von beiden Bestäubern aufgesucht.“ Mit der Folge, dass die rote Farbvariante die höchste Anzahl an Samen trägt und sich dadurch am stärksten vermehrt.
…und rote Blüten sind mischerbig
Nähere Untersuchungen in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Jürg Schönenberger am Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Universität Wien ergaben schließlich, dass die Pflanzen tatsächlich nur in einem Merkmal variieren – lediglich eine Klasse von Farbpigmenten unterscheidet sich. Die Forscher führten genetische Untersuchungen durch, korrelierten die Ergebnisse mit dem Erscheinungsbild der Pflanzen – und konnten tatsächlich ein Gen als Verursacher ermitteln.
„Es ist aber keine Mutation im Gen, das direkt für die Produktion der Farbpigmente verantwortlich ist“, betont Prof. Dr. Schlüter, „dieses Gen wird gewissermaßen nur ein- oder ausgeschaltet.“ Das regelt ein sogenannter Transkriptionsfaktor, der nun die kausale Mutation aufweist. „Bei der Vererbung erhalten die Nachkommen je eine Kopie des mütterlichen und des väterlichen Erbguts. Funktioniert der Transkriptionsfaktor bei beiden Kopien, entsteht der schwarze Wildtyp. Ganz ohne ihn wird die Blüte weiß, und bei mischerbigen Pflanzen mit einem funktionierenden und einem nicht funktionierenden Transkriptionsfaktor gibt es die rote Blüte.“
Überdominanz erklärt Farbvarianten in der Population
Die beiden reinerbigen Varianten haben also keinen Fitness-Nachteil, die mischerbige jedoch weist mit ihrer größeren Samenanzahl eine höhere Fitness auf. „Das alles zeigt uns, dass Überdominanz tatsächlich in der Natur auftritt und eine Erklärung für Polymorphismus in einer Population darstellt“, fasst Prof. Dr. Schlüter zusammen.
Die „Alpenvanille“, wie das Schwarze Kohlröschen wegen seines Duftes auch genannt wird, stellt daher auch aus Forschungssicht eine außergewöhnliche Pflanze dar. „Die Population auf der Seiser Alm ist einzigartig“, hebt Prof. Dr. Schlüter hervor. Die Orchideen überleben besonders gut auf mageren Wiesen. Der Experte mahnt daher: „Auch künftig sollten ihre Lebensräume erhalten bleiben – und nicht zuletzt auch die Bestäuber geschützt werden.“
Bestäuber bevorzugen rote Blüten…
Um dem Phänomen auf die Spur zu kommen, war zunächst Recherche nötig: „Der Farbpolymorphismus beim Schwarzen Kohlröschen existiert seit mindestens 100 Jahren“, berichtet Prof. Dr. Schlüter. „Denn erstmals erwähnt wurde er im Jahr 1906.“ Aufzeichnungen zufolge sei von 1997 bis 2016 der Anteil der roten und weißen Exemplare von zusammen unter 5 Prozent auf rund 40 Prozent gestiegen – ein Hinweis darauf, dass die neuen Varianten, bzw. vor allem die rote Variante, der schwarzen überlegen sind.
Grund dafür sehen die Forscher in den Bestäubern der Pflanze: „Auf der Seiser Alm sind Bienen und Fliegen die wichtigsten Bestäuber des Schwarzen Kohlröschens“, erklärt Prof. Dr. Schlüter. „Die beiden werden jedoch von unterschiedlichen Farben angezogen: Bienen bevorzugen die dunklen Blüten, Fliegen die weißen, und die roten werden von beiden Bestäubern aufgesucht.“ Mit der Folge, dass die rote Farbvariante die höchste Anzahl an Samen trägt und sich dadurch am stärksten vermehrt.
…und rote Blüten sind mischerbig
Nähere Untersuchungen in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Jürg Schönenberger am Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Universität Wien ergaben schließlich, dass die Pflanzen tatsächlich nur in einem Merkmal variieren – lediglich eine Klasse von Farbpigmenten unterscheidet sich. Die Forscher führten genetische Untersuchungen durch, korrelierten die Ergebnisse mit dem Erscheinungsbild der Pflanzen – und konnten tatsächlich ein Gen als Verursacher ermitteln.
„Es ist aber keine Mutation im Gen, das direkt für die Produktion der Farbpigmente verantwortlich ist“, betont Prof. Dr. Schlüter, „dieses Gen wird gewissermaßen nur ein- oder ausgeschaltet.“ Das regelt ein sogenannter Transkriptionsfaktor, der nun die kausale Mutation aufweist. „Bei der Vererbung erhalten die Nachkommen je eine Kopie des mütterlichen und des väterlichen Erbguts. Funktioniert der Transkriptionsfaktor bei beiden Kopien, entsteht der schwarze Wildtyp. Ganz ohne ihn wird die Blüte weiß, und bei mischerbigen Pflanzen mit einem funktionierenden und einem nicht funktionierenden Transkriptionsfaktor gibt es die rote Blüte.“
Überdominanz erklärt Farbvarianten in der Population
Die beiden reinerbigen Varianten haben also keinen Fitness-Nachteil, die mischerbige jedoch weist mit ihrer größeren Samenanzahl eine höhere Fitness auf. „Das alles zeigt uns, dass Überdominanz tatsächlich in der Natur auftritt und eine Erklärung für Polymorphismus in einer Population darstellt“, fasst Prof. Dr. Schlüter zusammen.
Die „Alpenvanille“, wie das Schwarze Kohlröschen wegen seines Duftes auch genannt wird, stellt daher auch aus Forschungssicht eine außergewöhnliche Pflanze dar. „Die Population auf der Seiser Alm ist einzigartig“, hebt Prof. Dr. Schlüter hervor. Die Orchideen überleben besonders gut auf mageren Wiesen. Der Experte mahnt daher: „Auch künftig sollten ihre Lebensräume erhalten bleiben – und nicht zuletzt auch die Bestäuber geschützt werden.“
Diese Newsmeldung wurde via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.