Altsteinzeitlicher Stress in der Kindheit bei Neandertalern und modernen Menschen



Bio-News vom 27.05.2024

Forschungsteam der Universität Tübingen untersucht Hinweise auf schwierige Phasen der frühen Lebensjahre vor mehreren Zehntausend Jahren anhand von Zähnen.

Kinder von Neandertalern, die bis vor rund 40.000 Jahren lebten, und moderne Menschen der Jüngeren Altsteinzeit vor 50.000 bis 12.000 Jahren waren wahrscheinlich vergleichbaren Belastungen ausgesetzt, jedoch lag die jeweilige höchste Intensität in verschiedenen Entwicklungsphasen. Das hat die Untersuchung von Zähnen ergeben, deren Struktur Stressphasen etwa durch Krankheiten und Mangelernährung während der frühen Lebensjahre widerspiegelt.


Szene mit Kind in der Altsteinzeit.

Publikation:


Laura S. Limmer, Matteo Santon, Kate McGrath, Katerina Harvati, Sireen El Zaatari
Differences in childhood stress between Neanderthals and early modern humans as reflected by dental enamel growth disruptions

Scientific Reports (2024)

DOI: 10.1038/s41598-024-61321-x



Sie wurde von Laura Limmer, Dr. Sireen El Zaatari und Professorin Katerina Harvati vom Institut für Naturwissenschaftliche Archäologie der Universität Tübingen gemeinsam mit internationalen Kolleginnen und Kollegen durchgeführt. Die Forscherinnen vermuten, dass die modernen Menschen möglicherweise bessere Strategien hatten als die Neandertaler, die Belastungen für ihre Kinder während schwieriger Abschnitte der Entwicklung zu verringern.


Fundorte der untersuchten Zähne: Orangefarbene Sterne bezeichnen Funde von Neandertalern; blaue Kreise bezeichnen Funde moderner Menschen aus der Jüngeren Altsteinzeit.

Die Paläoanthropologinnen untersuchten 867 Zähne, davon stammten 423 von 74 Neandertalerindividuen und 444 von 102 Individuen moderner Menschen aus der Jüngeren Altsteinzeit. Die Zähne wurden an 56 verschiedenen archäologischen Stätten im westlichen Eurasien gefunden. Sowohl die Milchzähne als auch die bleibenden Zähne der Menschen werden bereits in der Kindheit gebildet. „Wenn die Kinder Infektionen oder andere Krankheiten durchmachen oder die Ernährungslage schlecht ist, kommt es zu Fehlbildungen im Zahnschmelz. Da die bleibenden Zähne später nicht weiterwachsen, können wir solche Defekte auch noch an den Zähnen Erwachsener erkennen“, erklärt Sireen El Zaatari. Die reguläre Schmelzbildung der Zähne ermöglicht es, solche Ereignisse mit bestimmten Entwicklungsstufen der Kinder in Verbindung zu bringen.



El Zaatari weiter: „Da die bleibenden Zähne später nicht weiterwachsen, können wir solche Defekte auch noch an den Zähnen Erwachsener erkennen“. Die reguläre Schmelzbildung der Zähne ermöglicht es, solche Ereignisse mit bestimmten Entwicklungsstufen der Kinder in Verbindung zu bringen.


Makroaufnahme einer hochaufgelösten Replik des unteren rechten Eckzahns eines Neandertalers aus der Fundstelle Le Moustier (Frankreich). Defekte in der Zahnschmelzentwicklung sind mit roten Pfeilen markiert.

Mögliche Strategien

Insgesamt seien die Neandertaler und die modernen Menschen aus der Jüngeren Altsteinzeit in ihrer frühen Kindheit Belastungen in vergleichbarem Ausmaß ausgesetzt gewesen, stellen die Forscherinnen fest. „Wir beobachten jedoch eine unterschiedliche Verteilung der Zahnschmelzdefekte auf die Entwicklungsphasen der Kinder: Bei den modernen Menschen traten die Schmelzdefekte mit größerer Wahrscheinlichkeit in dem Alterszeitraum auf, in dem die Kinder abgestillt wurden“, sagt Limmer. Bei den Kindern der Neandertaler hätten sich Schmelzdefekte zwar ebenfalls vermehrt zum Zeit-punkt des vermutlichen Beginns des Abstillens gezeigt, jedoch habe die Spitzenbelastung durch physischen Stress in einer Entwicklungsphase nach diesem Zeitraum gelegen.

Die Forscherinnen nehmen an, dass die Kinder der Altsteinzeit durch das Abstillen vermehrt Stress ausgesetzt waren, weil ein steigender Energiebedarf im Wachstum mit dem steigenden Risiko von Mangelernährung zusammentraf. „Möglicherweise gewannen die modernen Menschen gegenüber den Neandertalern dadurch Vorteile, dass sie ihre Kinder in dieser schwierigen Phase besser unterstützten, etwa dadurch, dass die Kinder länger beschützt und besser mit Nahrung versorgt wurden“, sagt El Zaatari. Denkbar sei, dass dieses Verhalten ein Baustein gewesen sei bei der Entwicklung, dass die modernen Menschen bis heute überlebten und die Neandertaler ausstarben. „Häufig wurde angeführt, dass die Neandertaler in einem besonders rauen Klima mit niedrigen Temperaturen lebten und daran scheiterten. Über einen gewissen Zeitraum waren jedoch Neandertaler und moderne Menschen den gleichen Klimabedingungen ausgesetzt, sodass wir auch andere Erklärungen untersuchen.“


Diese Newsmeldung wurde mit Material der Eberhard Karls Universität Tübingen via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.


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