Auf den Spuren der Erinnerung



Bio-News vom 07.11.2019

Der Mensch lernt, solange er lebt, und dies geschieht gewöhnlich durch Erfahrung und Interaktion mit seiner Umwelt. Aber wie übersetzt das Gehirn Informationen von außen in eigene Erinnerungen? Ein internationales Forscherteam hat im Rahmen des „Human Brain Project“ die neuronalen Schaltkreise in dem Teil des Gehirns untersucht, der an der Bildung von Erinnerungen, Verhalten und rückmeldungsbasiertem Lernen beteiligt ist. Die Ergebnisse der Studie in "PLOS Computational Biology Journal" tragen wesentlich zum Verständnis grundlegender Funktionen des Nervensystems bei.

Wie übersetzt das Gehirn Informationen von außen in eigene Erinnerungen? Ein internationales Team von Wissenschaftlern aus Deutschland, Schweden und der Schweiz hat sich im Rahmen des „Human Brain Project“ ( www.humanbrainproject.eu) die neuronalen Schaltkreise im Striatum näher angesehen, dem Teil des Gehirns, der an der Bildung von Erinnerungen, Verhalten und rückmeldungsbasiertem Lernen beteiligt ist. Die Ergebnisse der Studie wurden jetzt in der Fachzeitschrift PLOS Computational Biology Journal veröffentlicht und tragen wesentlich zum Verständnis grundlegender Funktionen des Nervensystems bei, wie zum Beispiel der Fähigkeit zu lernen und sich an veränderte Bedingungen anzupassen.


Die Denkprozesse im Gehirn (künstlerische Darstellung).

Publikation:


Bruce NJ, Narzi D, Trpevski D, van Keulen SC, Nair AG, et al.
Regulation of adenylyl cyclase 5 in striatal neurons confers the ability to detect coincident neuromodulatory signals

PLOS Computational Biology 15(10): e1007382

DOI: 10.1371/journal.pcbi.1007382



Wir alle kennen das: wir hören eine Melodie und sie bleibt uns in Erinnerung, so dass wir sie auch Jahrzehnte später noch wiedererkennen. Oder wir sehen ein Gemälde von van Gogh und vergessen es bis an unser Lebensende nicht mehr. Aber wie kann etwas so Flüchtiges wie eine Melodie zu einem Teil unserer Erinnerung werden und unter Umständen sogar unser Verhalten beeinflussen?

Die Informationsverarbeitung im Gehirn geschieht innerhalb neuronaler Schaltkreise, die durch Synapsen verbunden sind. Jede Veränderung dieser Synapsen hat einen Einfluss darauf, wie wir uns an Dinge erinnern oder auf bestimmte Reize reagieren. Eine Möglichkeit, diese neuronalen Schaltkreise zu verändern, besteht in der synaptischen Plastizität, einem Prozess, in dessen Verlauf bestimmte Synapsen mit der Zeit entweder verstärkt oder geschwächt werden, je nach neuronaler Aktivität. Durch die Analyse der Netzwerke biochemischer Reaktionen, die diesen synaptischen Veränderungen zugrunde liegen, ist es Wissenschaftlern in Heidelberg, Lausanne, Jülich und Stockholm gelungen, die Mechanismen der Plastizität weiter zu entschlüsseln.

“Die Simulation von Plastizitätsmechanismen ist entscheidend für unser Verständnis bestimmter Phänomene auf einem höheren Level – zum Beispiel beim Lernen und der Gedächtnisbildung – die aus molekularen Berechnungen entstehen,” erklärt Jeanette Hellgren Kotaleski vom Royal Institute of Technology in Stockholm, eine der Leiterinnen der Studie.

Bei Neuronen erfolgt die externe und interne Informationsverarbeitung durch synaptische Signalübertragungsnetzwerke, die die synaptische Plastizität bestimmen. Manchmal können sogar einzelne Moleküle innerhalb dieser Netzwerke diese Berechnungen ausführen. Oft handelt es sich dabei um Enzyme, das heißt Proteine, die in der Lage sind, bestimmte chemische Reaktionen wesentlich zu beschleunigen oder zu katalysieren. Dies trifft zum Beispiel auf die Familie der Adenylylcyclase-Enzyme bei Säugetieren(ACs) zu, die extrazelluläre Signale in das intrazelluläre Signalmolekül cAMP übersetzen, einen der wichtigsten sekundären Botenstoffe der Zelle.

“Diese Enzyme faszinieren mich schon seit geraumer Zeit,” so Paolo Carloni vom Forschungszentrum Jülich, “weil es hierbei nicht darum geht, wie schnell die katalysierte Reaktion abläuft, sondern wie die Natur eine strikte Kontrolle über diese chemischen Maschinen ausübt: bestimmte akzessorische Proteine setzen die chemischen Reaktionen in Gang, indem sie die AC-Enzyme gezielt ansteuern, andere blockieren sie. Unsere Arbeit ist ein wesentlicher Schritt hin zu einem besseren Verständnis der sogenannten “Molekülerkennung” dieser AC-Proteine, basierend auf den Neuronen, die die Geschwindigkeit der von AC katalysierten Reaktion mit erstaunlicher Präzision und Genauigkeit steuern können. Dies wiederum aktiviert nachfolgende Prozesse, die für die neuronale Funktion Voraussetzung sind.”

Das Gehirn exprimiert neun membrangebundene AC-Varianten, wobei AC5 die dominante Form im Striatum darstellt. Beim rückmeldungsbasierten Lernen ist die cAMP-Produktion entscheidend für die Stärkung der Synapsen von den kortikalen Neuronen auf die striatalen Prinzipalneuronen und die Produktion hängt von verschiedenen neuromodulatorischen Systemen ab, wie zum Beispiel Dopamin und Acetylcholin. “Für diese Studie haben wir die Expertise von Wissenschaftlern aus vier verschiedenen Instituten gebündelt, um gemeinsam einen Mehrskalensimulationsansatz zu entwickeln und daraus ein kinetisches Modell des AC5-abhängigen Signalsystems zu erstellen,” fasst Rebecca Wade, die Leiterin der Studie am Heidelberger Institut für Theoretische Studien (HITS), die Ergebnisse zusammen. “Ausgehend von diesem Modell können wir ermitteln, wie AC5 bestimmte Kombinationen simultan ablaufender Veränderungen bei neuromodulatorischen Signalen erkennt, die zu einer synergistischen cAMP-Produktion führen.“


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Heidelberger Instituts für Theoretischen Studien gGmbH via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.


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