Bedrohte Lemuren: „Unser Verhalten entscheidet, wer überlebt“
Bio-News vom 12.04.2021
Biologen zeigen in einer Studie am Beispiel des Fingertiers oder Aye-aye wie Bildungsarbeit dazubeitragen kann, bedrohte Tierarten zu schützen. Das Überleben vieler Tierarten – gerade auch solcher, die als problematisch wahrgenommen werden (das Aye-aye gilt als Unheilsbringer) hängt ab vom Umgang und von der Akzeptanz der Menschen, die mit den Tieren zusammenleben. Biologen der Universität Hildesheim erforschen Lebensräume, die sich bedrohte Tierarten und Menschen teilen.
Zusammen mit einem madagassischen Forschungsteam untersuchen Dr. Torsten Richter, Biologe der Universität Hildesheim, und der Hildesheimer Doktorand Dominik Schüßler das Zusammenleben von Mensch und Tieren in geteilten Lebensräumen am Beispiel des Aye-ayes (Daubentonia madagascariensis). Das Aye-aye, auch als Fingertier bekannt, ist eine Primatenart aus der Gruppe der Lemuren.
Durch Bildungsarbeit zum Überleben der geheimnisvollen Art beitragen
Dr. Torsten Richter konzentriert sich in seiner Forschung auf Lebensräume, die sich bedrohte Tierarten und Menschen teilen. Bedeutsam sind in diesem Zusammenwirken die Kultur und Traditionen, der Umgang und die Akzeptanz.
Publikation:
Roger Doménico Randimbiharinirina, Torsten Richter, Brigitte M. Raharivololona, Jonah H. Ratsimbazafy, Dominik Schüßler
To tell a different story: Unexpected diversity in local attitudes towards Endangered Aye‐ayes Daubentonia madagascariensis offers new opportunities for conservation
British Ecological Society
DOI: 10.1002/pan3.10192
Uns haben die positiven Einstellungen zum Aye-aye sehr überrascht. Vorher kannte man nur die vielen schrecklichen Erzählungen über das Aye-aye als Unheilsbringer und Todesboten, die oft genug zum Tod der Aye-ayes führten und das Überleben der Art gefährden. Mit den neuen Erkenntnissen ergeben sich auch neue Chancen, durch Bildungsarbeit zum Überleben dieser immer noch sehr geheimnisvollen Art beizutragen. Mit unseren madagassichen Partnern arbeiten wir bereits an ersten Konzepten.
Dr. Torsten Richter, Senior Researcher an der Universität Hildesheim
„Das Aye-aye ist eine der geheimnisvollsten Lemurenarten und durch sein bizzares Aussehen auch in der westlichen Welt durchaus bekannt. Das Aye-aye gilt auf Madagaskar vielerorts als Unglücksbote und wird deshalb getötet, wenn man es antrifft, um großen Schaden vom Dorf abzuhalten. Das ist eine der Haupttodesursachen des Aye-ayes und bedroht dessen Überleben. Unsere Forschungsergebnisse aus dem Nordosten Madagaskars haben aber ein differenzierteres Bild ergeben: In einigen Dörfern haben die Menschen eine neutrale, zuweilen sogar positive Einstellung zum Aye-aye“, erläutert der Biologe Dr. Torsten Richter.
Ein Entdecker
Der Hildesheimer Doktorand Dominik Schüßler untersucht Lemuren und hat bereits im vergangenen Jahr eine neue Primatenart im Regenwald Madagaskars entdeckt – „Microcebus jonahi“.
Der Doktorand Dominik Schüßler war bereits mehrfach zwecks Forschungsaufenthalten in Madagaskar. Hier hat der Wissenschaftler gemeinsam mit einem Forschungsteam aus sechs Ländern Lemuren in den Regenwäldern Nordost-Madagaskars untersucht und im vergangenen Jahr eine neue Art entdeckt. Mit Hilfe moderner genetischer Methoden und der Vermessung der Körpermaße wurde eine bisher unbekannte Art von Mausmakis entdeckt, der „Jonah‘s Mausmaki“. Die Erkenntnisse hatte das Forschungsteam im vergangenen Jahr veröffentlicht.
Die neue Art, der „Jonah‘s Mausmaki“ (Microcebus jonahi), ist mit einer Länge von der Nasen- bis zur Schwanzspitze von rund 26 cm und einem Körpergewicht von etwa 60 g ein echtes Fliegengewicht. Diese kleinen nachtaktiven Primaten leben in einer begrenzten Region in den Tieflandregenwäldern Nordost-Madagaskars und ernähren sich von Insekten und Früchten.
Obwohl Microcebus jonahi gerade erst wissenschaftlich beschrieben wurde, ist die Art bereits vom Aussterben bedroht.
Jonah’s Mausmaki: Entdeckung einer neuen Primatenart in MadagaskarEine positive Einstellung zum Aye-aye existiert vor allem dort, wo die Menschen beobachtet haben, dass das Aye-aye als Insektenfresser auf Nelkenbäumen Schädlinge frisst und somit eine Ökosystemleistung für die Menschen erbringt. Der Nelkenanbau ist eine wichtige Einnahmequelle in der Region, so Richter.
„Letztlich entscheiden unsere Einstellungen und unser Verhalten, welche Arten überleben werden und welche nicht“, sagt Dr. Torsten Richter. „Wir verstehen inzwischen, dass das Überleben vieler Tierarten, gerade auch solche, die als problematisch wahrgenommenen werden, vom Umgang und von der Akzeptanz der Menschen, die mit den Tieren zusammenleben, abhängt. Also letztlich von psychologischen und sozialen Faktoren und weniger von der Biologie der Tiere.“
Torsten Richter forscht seit vielen Jahren zur Akzeptanz von Tierarten. Am Beispiel der Rückkehr der Wölfe in der deutschen und niedersächsischen Kulturlandschaft untersucht der Biologe den von Menschen und Wildtieren geteilten Lebensraum und die soziale Tragfähigkeit. Eine Forschungsfrage ist, „wie viele Wölfe wir Menschen mit uns zusammen in unserem Lebensraum leben lassen und ob diese Zahl an Tieren und der Platz, den wir Menschen ihnen zugestehen, ausreicht, um ihr Überleben zu sichern“.
Das Forschungsteam wurde ergänzt durch die Expertise von Dr. Brigitte Raharivololona, eine Expertin für Aye-ayes und Fachfrau für Primatologie in Madagaskar, sowie Dr. Jonah Ratsimbazafy, ein Experte für Primatologie und den Schutz von Lemuren, der als externer Dozent bereits an der Universität Hildesheim gelehrt hat.
Interdisziplinäre Forschung
„Wir kombinieren in unserer Forschung die Expertise aus verschiedenen Bereichen. Der Erstautor des aktuellen Papers, Doménico Randimbiharinirina, ist ein Experte für die Ökologie des Aye-ayes und hat die Datenaufnahme im Feld geplant und die Interviews durchgeführt. Ich habe mich mit der Datenanalyse und dem Zusammenfügen der einzelnen Disziplinen befasst, die Interviews übersetzt und die Datenaufnahme mit Torsten Richter geplant“, erläutert Dominik Schüßler, Doktorand in der Abteilung (Biologie) der Universität Hildesheim.
Diese Newsmeldung wurde mit Material der Stiftung Universität Hildesheim via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.