Blaualgenblüten mögen es auch kalt – und nicht nur warm
Bio-News vom 20.02.2023
Massenentwicklungen von Cyanobakterien, sogenannte Blaualgenblüten, beeinträchtigen weltweit immer wieder die Qualität von Gewässern und Trinkwasserressourcen. Cyanobakterien gelten als wärmeliebend, und massive Algenblüten werden vor allem im Sommer gemeldet, in dieser Zeit ist das Monitoring besonders engmaschig.
Nun hat ein internationales Forschungsnetzwerk unter Beteiligung des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) aufgezeigt, dass Blaualgenblüten auch bei kälteren Temperaturen auftreten können – sogar unter Eis. Bleiben die Algenblüten unbemerkt, bestehen Risiken für die Trinkwassergewinnung.
Publikation:
Reinl, K.L. et al.
Blooms also like it cold
Limnol. Oceanogr. Lett. (2023)
DOI: 10.1002/lol2.10316
Cyanobakterien – auch Blaualgen genannt – können Giftstoffe bilden, dem Gewässer Sauerstoff entziehen und Wasserpflanzen das Licht zur Photosysnthese nehmen. Blaualgenblüten gefährden so aquatische Ökosysteme mit ihren Lebewesen sowie Trinkwasserressourcen und Badegewässer.
Diese Algenblüten hat man vor allem im Kontext des Klimawandels im Blick, denn wärmere Wassertemperaturen über 25 Grad Celsius begünstigen das Wachstum von Cyanobakterien – so bislang der wissenschaftliche Tenor. Nun hat ein Forschungsteam des internationalen Netzwerks zum wissenschaftlichen Seenmonitoring (Global Lake Ecosystem Observatory Network – GLEON) aufgezeigt, dass Cyanobakterienblüten auch bei relativ kalten Wassertemperaturen unter 15 Grad Celsius im See entstehen können – selbst unter einer Eisschicht. Dazu nutzten die Forschenden bereits vorhandene wissenschaftliche Daten, auch solche die von Bürgerwissenschaftler*innen über eine App bzw. mithilfe von Mikroskopiersets erhoben wurden.
Dr. Kaitlin Reinl, Leiterin der Studie und Forschungskoordinatorin am amerikanischen Lake Superior National Estuarine Research Reserve sagt zur Bedeutung der Studie: „Cyanobakterienblüten sind komplex und eine große Herausforderung. Die gängige Meinung darüber ist, dass sie es warm mögen, und in vielen Fällen stimmt das auch. Es gibt jedoch immer mehr Hinweise darauf, dass diese Blüten auch bei Kälte auftreten können. Das ist auch für uns Forschende überraschend, weil es im Widerspruch zur gängigen Lehrmeinung steht. Unsere Studie unterstreicht die Notwendigkeit, Cyanobakterienblüten in kalten Gewässern zu verstehen, und erinnert uns daran, dass die biologischen Prozesse in Seen auch bei kühlen Temperaturen sehr aktiv sein können."
Ob kalte oder warme Gewässer – gleiche Gewässertypen sind von den gleichen Cyanobakterienarten betroffen
Blaualgenblüten kommen vor allem in nährstoffreichen, „überdüngten“, Gewässern vor – egal ob in kalter oder warmer Umgebung. Auch zeigte sich, dass es oft die gleichen Arten von Cyanobakterien sind, die sowohl im warmen als auch im kalten Wasser Massenentwicklungen ausbilden. Diese weisen jedoch bestimmte Charakteristika auf: Sie haben eine breite Temperaturtoleranz und besondere Überlebensstrategien für kalte Temperaturen entwickelt – wie beispielsweise Kälteschock- und Gefrierschutzproteine oder eine kälteresistente Zellwand aus ungesättigten Fettsäuren. „Einige filamentöse Cyanobakterienarten sind im Winter sogar während eisbedeckter Perioden sehr häufig, da sie in der Lage sind, sich an geringe Lichtverhältnisse und niedrige Temperaturen anzupassen. Indem sie längere Perioden mit weniger Licht überstehen, haben diese Taxa einen Wettbewerbsvorteil, wenn das Licht im Frühjahr zurückkehrt, erläutert die IGB-Forscherin und Koautorin Dr. Stella Berger.
Auch die Aktivierung aus Dauerstadien kann ein Auslöser für Cyanobakterienblüten sein. Einige Arten bilden nämlich Ruhestadien aus, die am Gewässergrund liegen und erwachen, sobald sich die Umweltbedingungen ändern – selbst bei kälteren Temperaturen. Über Microcystis aeruginosa ist beispielsweise bekannt, dass am Boden lebende Bakterien die Dauerstadien dieser Cyanobakterien aktivieren.
Drei Arten von Cyanobakterienblüten im Kaltwasser
Die Autorinnen und Autoren klassifizierten drei Arten von Cyanobakterienblüten im Kaltwasser, je nachdem, wie sie entstehen. Erstens: Oberflächenblüten, die bei kalten Wassertemperaturen initiiert werden und andauern. Zweitens: Cyanobakterienblüten, die in der sogenannten Sprungschicht entstehen, wo zwei Wasserschichten mit starkem Temperaturgefälle übereinanderliegen und die durch physikalische Prozesse an die Oberfläche gebracht werden. Und drittens: Algenblüten, die bei wärmeren Temperaturen beginnen und bei kalten Temperaturen anhalten.
Starke Stürme im Klimawandel könnten Algenblüten bei kalten Temperaturen nach oben befördern
Die zweite Art von Cyanobakterienblüten, die in der Sprungschicht entsteht, bleibt in der Regel zunächst unentdeckt, weil sie in den tieferen Wasserschichten stattfindet. Doch durch Stürme können diese Algen an die Oberfläche gelangen. „Wir konnten das vor einigen Jahre im Stechlinsee beobachten. Ein starker Sturm führte zum Umwälzen der Wassersäule, Cyanobakterien kamen in Massen an die Oberfläche und verschlechterten die Wasserqualität des Sees für mehrere Wochen. Da starke Stürme im Klimawandel zunehmen, werden solche Ereignisse sicher häufiger auftreten“, erläutert IGB-Forscherin und Ko-Autorin Dr. Mina Bizic. Dieses Phänomen wurde auch für den Zürichsee oder kleine Gletscherseen und Stauseen beschrieben.
Unbemerkte Algenblüten in tieferen Wasserschichten können Trinkwasser belasten
Doch auch wenn die Cyanobakterienblüten in den tieferen Schichten des Sees verbleiben, können sie für das Ökosystem und die Gesundheit gefährlich werden. So befinden sich Trinkwasserentnahmestellen oft weit unter der Wasseroberfläche und unbemerkte Cyanobakterienblüten können dann das gewonnene Trinkwasser mit Giftstoffen belasten.
„Die Studie zeigt, dass das Paradigma „Cyanobakterienblüten mögen‘s warm“ aufgebrochen werden muss. Für das Gewässermonitoring und -management bedeutet dies, dass die Probenahmen auf die kalten Jahreszeiten ausgedehnt werden sollten, und dass man die nicht offensichtlichen Algenblüten in den tieferen Schichten bei der Trinkwassergewinnung im Auge behalten muss“, resümiert IGB-Forscher und Koautor Prof. Dr. Hans-Peter Grossart.
Diese Newsmeldung wurde mit Material des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischenrei (IGB) via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.