Das rätselhafte Wiederscheinen des Tiefseesaiblings im Bodensee



Bio-News vom 11.01.2023

Heutige Tiefseesaiblinge (Salvelinus profundus) aus dem Bodensee sind sowohl genetisch als auch in ihrer Gestalt mit historischen Exemplaren nahezu identisch. Zugleich unterscheidet sich der Normalsaibling (Salvelinus cf. umbla) deutlich von früher im See vorkommenden Individuen.

Ein unglaublicher Fischfang im Bodensee gab Expertinnen und Experten seit 2014 eine ganze Fülle von Rätseln auf. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Fischereiforschungsstelle Langenargen (FFS/LAZBW) sowie des Wasserforschungsinstituts der Schweiz (EAWAG) entdeckten damals einige Exemplare des Tiefseesaiblings in ihren Netzen – nachdem dieser über 40 Jahre lang verschollen war. Hatte man den bis zu 25 cm langen Tiefseesaibling in einem der bestuntersuchten Gewässer der Welt einfach 40 Jahre übersehen? Oder sind die wiederentdeckten Tiefseesaiblinge Abkömmlinge der normalen, nie ausgestorbenen Saiblinge, die sich im immer nährstoffärmeren Bodensee wieder an das Leben in der Tiefe anpassen konnten?


Tiefseesaibling Salvelinus profundus aus dem Bodensee.

Publikation:


Baer, Jan, Schliewen, Ulrich K., Schedel, Frederic D. B., Straube, Nicolas, Roch, Samuel, and Brinker, Alexander
Cryptic Persistence and Loss of Local Endemism in Lake Constance Charr Subject to Anthropogenic Disturbance

Ecological Applications (2022)

DOI: 10.1002/eap.2773



Um dem rätselhaften Wiederscheinen des Tiefseesaiblings auf den Grund zu gehen, befischte die Fischereiforschungsstelle über mehrere Jahre hinweg die großen Tiefen des Bodensees – und fing dabei neben dem bis zu 40 cm großen Normalsaibling (Salvelinus cf. umbla) auch immer wieder Exemplare des deutlich kleineren Tiefseesaiblings (Salvelinus profundus).


Normalsaibling aus dem Bodensee.

Genetische Untersuchungen ergaben nun, dass die DNA der heutigen Tiefseesaiblinge nahezu identisch ist mit der DNA der früheren, vor über 40 Jahren im Bodensee lebenden Tiefenformen. Einer Forschergruppe um Jan Baer (FFS/LAZBW) und Ulrich Schliewen (SNSB-Zoologische Staatssammlung München) gelang es, für ihre Studie aus historischen Sammlungen brauchbare DNA-Fragmente zu gewinnen. Überrascht hat die Wissenschaftler auch, dass sich die DNA des nie verschollenen Normalsaiblings deutlich von der DNA früher im See vorkommender Individuen unterscheidet.

Die Arbeit liefert außerdem klare Belege dafür, dass Normal- und Tiefseesaiblinge nach wie vor völlig unterschiedliche Laichgebiete und Laichzeiten besitzen. Hypothesen zur Vermischung beider Formen oder rapide evolutionäre Anpassungsstrategien – wie sie von Teilen der Fachwelt kurz nach der Wiederentdeckung des Tiefseesaiblings angestellt wurden – haben sich daher nicht bestätigt. Die Ergebnisse des Vergleichs von historischen mit den heutigen Saiblingsformen des Bodensees wurden nun in der renommierten Fachzeitschrift Ecological Applications veröffentlicht.

„Offenbar haben Hilferufe der Berufsfischer in den 1950er Jahren Wirkung gezeigt: Schon früh ergriffene Maßnahmen gegen Überdüngung haben offenbar die Erhaltung des Lebensraums des Tiefseesaiblings bewirkt. Die heutigen Tiefseesaiblinge stammen direkt von ursprünglichen Exemplaren ab. Es muss also einigen Tieren gelungen sein, in der Tiefe des Sees unentdeckt zu überleben“, so Dr. Jan Baer von der Fischereiforschungsstelle Langenargen.

„Unsere Daten zeigen aber gleichzeitig auch, was Besatzmaßnahmen im Bodensee mit Saiblingen aus aller Welt bis in die 1990er Jahre bewirkt haben: Die ursprüngliche Normalform des Saiblings aus dem Bodensee wurde fast vollständig verdrängt und größtenteils durch einen Mix aus Zuchtfischen ersetzt“, sagt Dr. Ulrich Schliewen Fischexperte der Zoologischen Staatssammlung München.

Da Bodensee-Anrainer inzwischen seit Jahren keine fremden Saiblinge mehr in den Bodensee einbringen, hoffen die Projektverantwortlichen, dass sich die letzten Nachkommen der ursprünglichen Normalsaiblinge im Lauf der Zeit wieder durchsetzen werden.


Diese Newsmeldung wurde mit Material Staatliche Naturwissenschaftliche Sammlungen Bayerns via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.


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