Delfine und Menschenaffen sind sich ähnlicher als gedacht



Bio-News vom 25.06.2020

Delfine erlernen neue Techniken zum Beutefang nicht nur von ihren Müttern, sondern auch direkt von ihren Gefährten. Das zeigt eine Studie der Universität Zürich von mehr als 1.000 Tümmlern in der westaustralischen Shark Bay. Die Meeressäuger verfügen damit über ähnliche kulturelle Verhaltensweisen wie Menschenaffen.

Delfine wenden zum Teil aussergewöhnliche Techniken an, um an Futter zu gelangen. Eine davon, „Shelling“ genannt, nutzen die Meeressäuger der Shark Bay in Westaustralien: Versteckt sich ihre Beute während der Jagd im leeren Gehäuse einer Riesenschnecke, befördern sie das Schneckenhaus mit ihrem Schnabel an die Wasseroberfläche, wo sie das gefangene Beutetier in ihr Maul schütteln.

Delfine lernen auch direkt von ihren Artgenossen

Normalerweise geben Delfinmütter solche Techniken zur Nahrungssuche an ihre Kälber weiter – was als vertikale Übertragung von Verhalten bezeichnet wird. Bisher ging man davon aus, dass Delfine nur auf diese Weise neue Methoden zur Futterbeschaffung erlernen können. Eine von Michael Krützen, Direktor des Anthropologischen Instituts der Universität Zürich (UZH), initiierte Studie zeigt nun, dass sich die Taktik des „Shelling“ zum Fangen von Fischen in erster Linie innerhalb und nicht zwischen den Generationen ausgebreitet hat – also horizontal übertragen wurde. „Unsere Ergebnisse liefern den ersten Beweis, dass Delfine auch fähig sind, als erwachsene Tiere direkt von ihren Artgenossen zu lernen und nicht nur von ihren Müttern“, sagt Krützen. Das ergab die Analyse von Verhaltens-, genetischen und Umweltdaten.

Kulturelles Verhalten ähnelt jenem von Menschenaffen

„Die Erkenntnis ist ein wichtiger Meilenstein. Sie zeigt, dass das kulturelle Verhalten von Delfinen und anderen Zahnwalen jenem von Menschenaffen noch viel ähnlicher ist, als man bisher dachte“, so Krützen. Denn auch Gorillas und Schimpansen erlernen neue Verhaltensweisen zur Futtersuche sowohl vertikal wie auch horizontal. Obwohl ihre Evolutionsgeschichte und ihre Lebensräume sehr unterschiedlich sind, gibt es gemäss dem Anthropologen Krützen auffallende Ähnlichkeiten zwischen der Gruppe der Zahnwale und der Familie der Menschenaffen: „Beide sind langlebige Säugetiere mit grossen Gehirnen, die über zahlreiche Fähigkeiten zur Innovation und zur Weitergabe von kulturellen Verhaltensweisen verfügen.“


Wilde Delfine: Die Fähigkeit, direkt von Artgenossen zu lernen, ermöglicht eine rasche Verbreitung neuer Verhaltensweisen in den Populationen

Publikation:


Sonja Wild, William J.E. Hoppitt, Simon J. Allen, Michael Krützen
Integrating genetic, environmental and social networks to reveal transmission pathways of a dolphin foraging innovation

Current Biology. 25 June 2020

DOI: 10.1016/j.cub.2020.05.069



Verhaltensbeobachtung während mehr als 10 Jahren

Ihre Entdeckung machten die Forschenden zwischen 2007 und 2018 im westlichen Golf von Shark Bay. Von einem Boot aus beobachteten sie Indopazifische Grosse Tümmler (Tursiops aduncus) und dokumentierten, wie sich das „Shelling“-Verhalten innerhalb der Population ausbreitete. In diesem Zeitraum identifizierten sie mehr als 1'000 Individuen aus rund 5'300 Begegnungen mit Delfingruppen. „Insgesamt dokumentierten wir 42 einzelne ‹Shelling›-Ereignisse, die von 19 verschiedenen Delfinen durchgeführt wurden“, sagt Studienleiterin Sonja Wild, ehemalige Doktorandin an der Universität Leeds und heute Postdoktorandin an der Universität Konstanz.

Raschere Anpassung an sich ändernde Umweltbedingungen

Dass freilebende Delfine neue Jadgtaktiken ausserhalb der Beziehung von Mutter und Kalb erlernen können, erweitert auch das Verständnis darüber, wie sie sich durch Verhaltensänderung an schwankende Umweltbedingungen anpassen können. „Die Fähigkeit, direkt von Artgenossen zu lernen, ermöglicht eine rasche Verbreitung neuer Verhaltensweisen in den Populationen“, sagt Wild.

So starb durch eine beispiellose Hitzewelle Anfang 2011 eine grosse Zahl von Fischen und wirbellosen Tieren in der Shark Bay, darunter auch die in den riesigen Gehäusen lebenden Schnecken. „Möglicherweise hat der durch das Klimaereignis verursachte Beuteschwund die Delfine dazu veranlasst, neues Verhalten zur Nahrungssuche von ihren Gefährten zu übernehmen. Zudem dürfte der Überfluss an toten Riesenschneckenhäusern mehr Möglichkeiten geboten haben, die ‹Shelling›-Technik zu erlernen“, sagt Sonja Wild.


Diese Newsmeldung wurde mit Material der Universität Zürich via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.


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