Egoistische Chromosomen machen schädliche Pilze angreifbar



Bio-News vom 11.02.2019

Kiel Evolution Center entdeckt grundlegend neue Züge in den Vererbungsmechanismen von pflanzenschädlichen Pilzen.

Weizen ist weltweit das am zweithäufigsten angebaute Getreide und in vielen Ländern unverzichtbarer Rohstoff für zahlreiche wesentliche Grundnahrungsmittel. Allein in Deutschland werden pro Jahr zwischen 20-25 Millionen Tonnen des Getreides geerntet. In Nordwesteuropa ist der Weizenanbau allerdings mit einem bedrohlichen Schädling konfrontiert, der im Extremfall Ernteeinbußen von rund 50 Prozent verursachen kann.

Die Bekämpfung des Pilzes Zymoseptoria tritici ist daher von elementarem Interesse für die Ernährungssicherheit und erfolgt bislang hauptsächlich auf konventionellem Weg durch den großflächigen Einsatz von Fungiziden - mit allen damit verbundenen Nachteilen für die Umwelt und Verbraucherinnen und Verbraucher. Da der Pilz vermehrt unempfindlich gegen Pflanzenschutzmittel wird und es umgekehrt bislang keine vollständig gegen den Schädling resistenten Weizensorten gibt, forschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen weltweit intensiv an nachhaltigen Wegen, um den Pilz in Schach zu halten.


Ein mit dem Pilz Zymoseptoria tritici befallenes Weizenblatt zeigt die typischen Anzeichen der sogenannten Blattdürre, die zu drastischen Ernteausfällen führen kann.

Publikation:


Michael Habig, Gert HJ Kema and Eva Holtgrewe Stukenbrock
Meiotic drive of female-inherited supernumerary chromosomes in a pathogenic fungus
eLife 2018;7:e40251

DOI: 10.7554/eLife.40251



Translationale Evolutionsforschung

An der CAU arbeitet insbesondere das Kiel Evolution Center (KEC) daran, evolutionsbiologische Prinzipien zur Anwendung zu bringen und unter anderem für die Schädlingsbekämpfung nutzbar zu machen. Einen wichtigen Schritt in diese Richtung hat nun ein KEC-Forschungsteam gemeinsam mit dem Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön (MPI-EB) gemacht, indem es die Grundlagen der Vererbung des schädlichen Pilzes und damit potenzielle Wege zu seiner Bekämpfung untersuchte. Die Kieler Forschenden fanden heraus, dass die sogenannte Meiose, also die Reifeteilung der Keimzellen und die damit verbundene Vervielfältigung der Erbinformationen, bei Zymoseptoria tritici anders abläuft als bisher gedacht.

Die Pilze weisen zusätzliche, ungepaarte Chromosomen auf, die genetische Informationen an all ihre Nachkommen und nicht nur einen Teil der Folgegenerationen weitergeben können. „Wir haben festgestellt, dass zwar den Chromosomen, nicht aber dem Pilz insgesamt ein evolutionärer Vorteil durch diese Art der Vererbung zugutekommt“, betont Dr. Michael Habig, Erstautor der Studie und wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe Umweltgenomik am Botanischen Institut der CAU. „Nur die Chromosomen selbst profitieren davon, ihre Merkmale an alle Nachkommen weiterzugeben und agieren also im übertragenen Sinne egoistisch“, so Habig weiter. Dieses Phänomen wiesen die Forschenden erstmals bei Zymoseptoria tritici nach und veröffentlichten ihre Ergebnisse kürzlich im Fachmagazin eLife.

Die Meiose – ein alter Bekannter aus dem Bio-Unterricht?

Im Mittelpunkt des neu beschriebenen Vererbungsprozesses steht die Meiose, die ein zentraler Schritt der geschlechtlichen Fortpflanzung ist und bei diesen Pilzen offenbar grundlegend anders ablaufen könnte als bisher gedacht. Bei der normalen, der sogenannten Mendelschen Vererbung dient sie dazu, die unterschiedlichen mütterlichen und väterlichen Chromosomen in Form sogenannter homologer Chromosomen zu kombinieren und auf die Nachkommen zu verteilen. Auf diese Weise kommt die Vererbung von genetischen Merkmalen der Mutter und des Vaters an jeweils die Hälfte der Nachkommenschaft zustande. Bei Zymoseptoria tritici scheint hingegen die Meiose völlig anders abzulaufen - insbesondere für die sogenannten überzähligen Chromosomen, die sich nicht mit dem entsprechenden väterlichen oder mütterlichen Gegenstück kombinieren können.

Diese ungepaarten Chromosomen werden also ausschließlich entweder von der Mutter oder dem Vater vererbt. Dabei konnten die Forschenden nachweisen, dass die mütterlichen überzähligen Chromosomen an alle Nachkommen weitergegeben werden – und nicht nur an die Hälfte, wie zu erwarten gewesen wäre. „Die treibende Kraft hinter dieser Strategie ist der sogenannte meiotische Drive, der für die erhöhte Übertragung der Chromosomen in die Nachfolgegeneration sorgt“, unterstreicht Professorin Eva Stukenbrock, Leiterin der gemeinsam an der CAU und dem MPI-EB angesiedelten Arbeitsgruppe Umweltgenomik und Vorstandsmitglied des KEC. „Diese alternative Art der Vererbung war bereits von anderen Organismen bekannt. Wir konnten sie nun bei Zymoseptoria tritici nachweisen und haben in seinen Erbinformationen besonders viele der daran beteiligten Chromosomen gefunden“, so Stukenbrock weiter.

Ein mögliches Einfallstor zur Bekämpfung der Weizenschädlinge

Die Vererbung durch überzählige Chromosomen scheint für den Gesamtorganismus vor allem ein nachteiliger Prozess zu sein. Warum die Pilze dennoch im Laufe der Evolution über einen langen Zeitraum daran festgehalten haben, ist noch nicht vollständig untersucht. Einerseits hemmt sie die Pilze zwar in der Fähigkeit Weizen zu befallen, erhöht aber möglicherweise zugleich ihre Fähigkeit, sich an geänderte Umweltbedingungen anzupassen. Die Kieler Forschenden sehen in der egoistischen Strategie der Chromosomen aber insbesondere das Potenzial, zukünftig neue Mittel zur Bekämpfung des schädlichen Pilzes zu finden.

„Möglicherweise gelingt es uns, bestimmte genetische Informationen durch diese besondere Art der Vererbung in die Pilze zu bringen, die ihre Schädlichkeit für den Weizen nachhaltig reduzieren könnten“, gibt sich Habig optimistisch. „Dabei könnte man sich zunutze machen, dass sich alle Nachkommen zugleich mit den entsprechenden Erbinformationen ausstatten lassen“, so Habig weiter. Die dafür nötigen Methoden, wie zum Beispiel das sogenannte Genome Editing, werden zurzeit weltweit intensiv erforscht. Das am KEC erforschte Prinzip könnte also in Zukunft dabei helfen, Weizenpflanzen dauerhaft vor dem Befall mit Zymoseptoria tritici zu schützen.


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Informationsdienstes der Wissenschaft (idw) erstellt

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