Ein Baukasten für die Mikrobiomforschung
Bio-News vom 10.09.2020
CAU-Forschende legen gemeinsam mit internationalem Team ein Fadenwurm-Modellsystem als Grundlage für eine umfassende Mikrobiomforschung vor.
Alle vielzelligen Lebewesen sind von einer unvorstellbar großen Anzahl von Mikroorganismen besiedelt und haben sich in ihrer Entstehungsgeschichte von Beginn an gemeinsam mit diesen mikrobiellen Symbionten entwickelt. Das natürliche Mikrobiom, also die Gesamtheit der Bakterien, Viren und Pilze, die in und auf einem Körper leben, ist von zentraler Bedeutung für den Gesamtorganismus: Es unterstützt beispielsweise bei der Nährstoffaufnahme, wehrt Krankheitserreger ab und kann zugleich an der Entstehung schwerwiegender Krankheiten beteiligt sein. Um die hochkomplexen Interaktionen von Wirtslebewesen und Mikroorganismen zu entwirren und bestimmte Wirkmechanismen aus ihnen herauslesen zu können, verwenden Forschende sogenannte Modellsysteme. Dies sind zum Beispiel Tier- und Pflanzenarten, die sich gut und einfach im Labor untersuchen lassen, und eine bestimmte, vereinfachte Auswahl an besiedelnden Mikroorganismen.
Publikation:
Philipp Dirksen, Adrien Assié, Johannes Zimmermann, Fan Zhang, Adina-Malin Tietje, Sarah Arnaud Marsh, Marie-Anne Félix, Michael Shapira, Christoph Kaleta, Hinrich Schulenburg and Buck Samuel
CeMbio - The Caenorhabditis elegans microbiome resource
G3: Genes Genomes Genetics September 1, 2020 vol. 10 no. 9 3025-3039
Ein Forschungsteam von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) schlägt nun gemeinsam mit internationalen Expertinnen und Experten unter anderem von der University of California in Berkeley und dem Baylor College of Medicine in Houston ein neuartiges, verbessertes Modellsystem für die Mikrobiomforschung vor, die sogenannte ‚Caenorhabditis elegans Mikrobiom-Ressource’ (CeMbio). Es basiert auf einer methodisch handhabbaren, aber dennoch naturnahen Zusammensetzung eines Fadenwurm-Mikrobioms. Künftig soll es realistischere Mikrobiomuntersuchungen in einer Vielzahl von Forschungsfeldern erlauben und zugleich die Vorzüge des in der Biologie häufig genutzten Fadenwurms C. elegans als Modellorganismus für die Mikrobiomforschung demonstrieren. Das CAU-Forschungsteam aus der Arbeitsgruppe Evolutionsökologie und Genetik unter Leitung von Professor Hinrich Schulenburg wie auch der Arbeitsgruppe Medizinische Systembiologie von Professor Christoph Kaleta stellte die Grundzüge dieses neuen Modellsystems kürzlich in der Fachzeitschrift G3: Genes Genomes Genetics vor.
Ein naturnahes Fadenwurm-Mikrobiom
Ausgangspunkt für das CeMbio-Projekt war eine Vorgängerarbeit der Kieler Forschenden, in der sie erstmals die natürliche Bakterienbesiedlung des sonst zumeist unter keimfreien Bedingungen untersuchten Fadenwurms C. elegans bestimmten. So gelang es ihnen, die Auswirkungen des natürlichen Mikrobioms auf Lebensfunktionen und Fitness des Wurms zu untersuchen. Die damals in ihrer Gesamtheit identifizierten Bestandteile des Fadenwurm-Mikrobioms grenzten sie nun auf zwölf charakteristische einzelne Bakterienarten ein, die gewissermaßen jederzeit in allen Würmern zu finden sind. Mit ihnen führten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedene Besiedlungs-Experimente im Darm des Wurms durch. „Diese Bakterien haben wir einzeln in Reinkultur und in Mischkulturen in keimfreie Würmer übertragen und anschließend ihr Wachstum beobachtet“, sagt Erstautor Dr. Philipp Dirksen, ehemaliger wissenschaftlicher Mitarbeiter in Schulenburgs Gruppe. „Auf diese Weise konnten wir beobachten, wie sich die Fähigkeit einzelner Bakterien zur Ansiedlung und die Beziehung der verschiedenen Bakterien zueinander in der natürlichen Wirtsumgebung verhalten“, so Dirksen weiter.
In einem zweiten Teil der Arbeit rekonstruierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler anhand der genetischen Signaturen aller im Mikrobiom vorhandenen Organismen, welche metabolischen Netzwerke darin vorhanden sind. Sie konnten also mittels bioinformatischer Methoden vorhersagen, welche potenziellen Kreisläufe von Stoffwechselprodukten möglicherweise zwischen Wirt und Mikrobiom existieren. Insgesamt schufen sie so die Grundlagen, um ein realitätsnahes Mikrobiom-Modell zur detaillierten Erforschung von Wirts-Bakterienbeziehungen in C. elegans zu schaffen.
Ein Open Source Mikrobiom-Modell
Mit dem CeMbio-Modell wollen die Kieler Forschenden eine für Kolleginnen und Kollegen in der C. elegans-Forschung weltweit öffentlich zugängliche Ressource schaffen. Neben den unter Laborbedingungen leicht zu kultivierenden Bakterienstämmen gehören dazu auch deren vollständig entschlüsselte Erbinformationen sowie die vollständigen Modellierungen der metabolischen Netzwerke innerhalb ihres Mikrobioms. Damit steht der internationalen Forschungsgemeinschaft ein neuartiger Baukasten zur Verfügung, mit dem sich beispielsweise vom Wachstum bis zur Entwicklung zahlreiche Aspekte der Fadenwurm-Biologie im Zusammenhang der Interaktionen mit seinem natürlichen Mikrobiom untersuchen lassen. „Mit unserem CeMbio-Modell wollen wir die Tür zu einem breiten Spektrum von interessanten Forschungsfragen von der Krankheitsentstehung über die Biologie des Alterns bis hin zu neurobiologischen Aspekten aufstoßen“, betont der Kieler Evolutionsbiologe Schulenburg, Leiter des Kiel Evolution Center (KEC) an der CAU. „Die Möglichkeit, die damit verbundenen Prozesse im Zusammenspiel des natürlichen Mikrobioms zu erforschen, bietet dabei völlig neue Perspektiven für das Verständnis der zugrundeliegenden Mechanismen“, so Schulenburg weiter.
Zusätzlich, so hoffen die Kieler Forschenden, helfe das neue Werkzeug auch dabei, C. elegans stärker als bisher als Modellsystem für die Mikrobiomforschung zu etablieren. Insgesamt steht Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern weltweit mit CeMbio eine neuartige Ressource zur Verfügung, um ihre Arbeit künftig nach ökologischen und evolutionären Kriterien realitätsnäher zu gestalten. Damit liefert die Arbeit einen wichtigen Beitrag, um insgesamt das Verständnis der Mechanismen zu verbessern, mit denen das Mikrobiom Gesundheit und Krankheit seines Wirtslebewesens beeinflusst, so wie dies mehrere Kieler Forschungsverbünden verfolgen, zum Beispiel der Sonderforschungsbereich 1182 „Entstehen und Funktionieren von Metaorganismen“ oder der Exzellenzcluster „Precision Medicine in Chronic Inflammation“ (PMI).
Diese Newsmeldung wurde mit Material der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.