Erbgut liefert schnellere Vorhersage zu Gewinnern und Verlierern des Klimawandels



Bio-News vom 16.01.2020

Forschende des Senckenberg und des LOEWE-Zentrums für Translationale Biodiversitätsgenomik wollen mit einem neuen Forschungsansatz schneller und für eine größere Anzahl an Arten vorhersagen, welche Tiere und Pflanzen es schaffen können, sich an den Klimawandel anzupassen und welche nicht. Der Schlüssel ist laut den Forschern im Erbgut der jeweiligen Art zu finden. In Kombination mit ökologischen Daten sind die Ergebnisse vor allem für den Naturschutz relevant. Das Team plädiert daher dafür, zunächst Arten in den Blick zu nehmen, die für ihr jeweiliges Ökosystem von besonderer Bedeutung sind. Die Studie ist soeben im Fachjournal „Evolution Letters“ erschienen.

Der globale Klimawandel wird die Umweltbedingungen für Mensch und Natur drastisch verändern. Tiere und Pflanzen, die mit den neuen Bedingungen nicht zurechtkommen, sind gezwungen, in andere Gebiete auszuweichen oder sich genetisch anzupassen. Ansonsten droht ihnen das Aussterben. Mobile Arten wie Vögel können ihre Wanderrouten verändern und sich neue, passende Lebensräume erschließen; Regenwürmer hingegen sind eher ortsgebunden und damit auf Anpassung angewiesen. Doch wie eine Art reagieren wird, ist bislang in den meisten Fällen ungeklärt.


Forschende wollen anhand des Erbguts schneller vorhersagen, wie Arten auf den Klimawandel reagieren können; im Vordergrund stehen Arten, die für ihr Ökosystem von zentraler Bedeutung sind.

Publikation:


A-M. Waldvogel, B. Feldmeyer, G. Rolshausen, M. Exposito-Alonso, C. Rellstab, R. Kofler, T. Mock, K. Schmid, I. Schmitt, T. Bataillon, O. Savolainen, A.Bergland, T. Flat, F. Guillaume & M. Pfenninger
Evolutionary genomics can improve prediction of species’ responses to climate change
Evolution Letters

DOI: 10.1002/evl3.154



Ein internationales Team an Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen unter der Leitung von Senckenberg-Forschern und Mitgliedern des LOEWE-Zentrums für Translationale Biodiversitätsgenomik will diese Vorhersage mit einem neuen Forschungsansatz revolutionieren. Ihre Methode besteht darin, aus dem Erbgut abzuleiten, welcher Spielraum einer Art zur Verfügung steht, sich genetisch an neue Umweltbedingungen anzupassen. Diese Informationen lassen sich mit weiteren Daten, beispielsweise zum Verbreitungspotential oder Temperaturveränderungen, zu sogenannten ökoevolutionären Vorhersagemodellen kombinieren.

„Arten entwickeln sich ständig weiter. Wir können deshalb eine Art mit ihren heutigen Eigenschaften nicht einfach in die Zukunft projizieren, sondern müssen berücksichtigen, inwieweit sie sich anpassen oder evolutionär verändern kann. Solange wir dieses Potenzial außer Acht lassen, spiegeln Vorhersagen dazu, wie Arten auf den Klimawandel reagieren werden, nicht wider, was tatsächlich passieren kann. Mit der Zusammenführung genomischer und ökologischer Daten verbessern wir daher die Vorhersage-Modelle maßgeblich“, so Prof. Dr. Markus Pfenninger, Leiter des Forschungsprojekts, Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum und LOEWE-Zentrum für Translationale Biodiversitätsgenomik.

Inwieweit sich eine Art im Lauf der Evolution verändert, hängt von der genetischen Vielfalt ihres Erbguts, der Größe der Population in einem bestimmten Gebiet und dem Austausch von Erbgut zwischen verschiedenen Populationen ab. Mithilfe der heutigen Technologien und Rechenansätze lässt sich das Erbgut jeder Art entschlüsseln und ihre langfristige, evolutionäre Anpassungsfähigkeit einschätzen.

„Dies ermöglicht es uns, schnellere Vorhersagen zu den Gewinnern und Verlierern des Klimawandels zu treffen, um die nötigen Naturschutzmaßnahmen einzuleiten, bevor es für viele Arten zu spät ist“, erklärt Senckenberg-Forscherin Dr. Ann-Marie Waldvogel, Hauptautorin der Studie. „Doch es ist unrealistisch, kurzfristig alle Tier- und Pflanzenarten weltweit genetisch analysieren zu wollen. Daher sollten wir uns zunächst auf Arten konzentrieren, die für ihr jeweiliges Ökosystem von besonderer Bedeutung sind. Dazu zählen beispielsweise Bienenarten, die als Bestäuber für den Erhalt sämtlicher Ökosysteme an Land maßgeblich sind.“

Die Forscher sehen den neuen Ansatz als wichtiges Werkzeug für Wissenschaft und Gesellschaft. Waldvogel dazu: „Anhand der Studie können geeignete Arten, Methoden und Analyseformen für Forschungsfragen zur genomischen Klima-Anpassung ausgewählt werden. Wenn wir darüber hinaus wissenschaftliche Ressourcen und Ergebnisse effektiver bündeln, können wir die Folgen des Klimawandels besser bewältigen, denn Vorhersagemodelle bilden die Grundlage für politische Entscheidungen und Umweltschutzkonzepte.“

Zunächst müssen jedoch weitere Daten für eine Vielzahl verschiedener Arten gesammelt werden. „Wir kennen bisher nur das genomische Anpassungspotenzial weniger Modellorganismen. Um einschätzen zu können, welche Arten durch den Klimawandel bedroht sind, benötigen wir deutlich umfangreichere Studien. Einzelne Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können diese Aufgabe kaum bewältigen. Was wir brauchen, sind groß angelegte Konsortien und die Mithilfe der Bevölkerung, beispielsweise beim Sammeln von Probenmaterial. Neue Technologien und die Digitalisierung ermöglichen Online-Plattformen, die große Datenmengen nahezu in Echtzeit auswerten. Die methodischen Bausteine, die wir für unseren Forschungsansatz benötigen, gibt es also – wir müssen sie nur zusammensetzen und mit der Datenerhebung starten“, resümiert Pfenninger.


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Senckenberg Forschungsinstituts und Naturmuseen via Informationsdienst Wissenschaft erstellt

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