Genomanalyse: Das Buch vom Tippfehler her verstehen



Bio-News vom 22.04.2020

Blütenfarben, Duftstoffe oder Substanzen, die sich therapeutisch nutzen lassen – oft sind es nur winzige Varianten im Erbgut, die dafür ausschlaggebend sind, welche Merkmale ein Organismus ausprägt. Die Fahndung nach solchen Varianten gestaltet sich oft wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Entwicklungsbiologie veröffentlichen jetzt in Nature Genetics eine Methode, mit der sich solche Genvarianten selbst bei Arten aufspüren lassen, deren Erbgut noch nicht vollständig entziffert ist.

Statt vom gesamten „Text“ des Erbguts her zu suchen, spüren sie gezielt Unterschiede auf und tasten sich von da aus vor zu Genen und Eigenschaften, die davon betroffen sind. Die neue Methode ist nicht nur schneller als der traditionelle Weg – sie eröffnet auch die Möglichkeit, bei bislang nur wenig untersuchten Pflanzen, Gene ausfindig zu machen, die eine grundlegende Rolle für die Biosynthese medizinisch wertvoller Inhaltsstoffe spielen.

Pflanzen weisen in verschiedenen Eigenschaften große Unterschiede auf – von der Wuchshöhe über die Blütenform und -farbe bis hin zu Resistenzen gegenüber Schädlingen oder chemischen Inhaltsstoffen, die sich für therapeutische Zwecke nutzen lassen. Oftmals sind es nur kleine Varianten im Erbgut, die für eine bestimmte Eigenschaft verantwortlich zeichnen. Das kann der Austausch einzelner Nukleotide, also DNA-Bausteine, sein (Einzelnukleotid-Polymorphismen, Single nucleodid polymorphisms, SNPs) oder auch strukturelle Varianten, die etwa durch den Verlust, das Einfügen oder den Austausch von größeren oder kleineren DNA-Abschnitten entstehen können.

Traditionell nutzen Wissenschaftler sogenannte Referenz-Genome als Ausgangspunkt für die Suche nach Erbgutvarianten. Da das Erstellen solcher Referenzgenome sehr anspruchsvoll ist, gibt es normalerweise nur eine pro Art. Das Erbgut von anderen Individuen wird dann mit einem viel einfacheren Verfahren analysiert und mit dem Referenzgenom verglichen. „Das ist, als ob man aus der Bibliothek des Lebens ein Buch auswählt, es in Sätze und schließlich in Wörter zerlegt und dann versucht, die kleinen Tippfehler in anderen Ausgaben auszumachen“, veranschaulicht Detlef Weigel, geschäftsführender Direktor am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie. Der Nachteil dieser Herangehensweise: Sie ist enorm aufwändig und zeitraubend – zumal die Voraussetzung ist, dass ein vollständig entschlüsseltes Referenzgenom existiert.


Oft sind es nur winzige Varianten im Erbgut, die dafür ausschlaggebend sind, welche Merkmale ein Organismus ausprägt.

Publikation:


Voichek Y and Weigel D.
Identifying genetic variants underlying phenotypic variation in plants without complete genomes
Nature Genetics 2020

DOI: 10.1038/s41588-020-0612-7



Yoav Voichek, Erstautor der Studie und Mitarbeiter in Weigels Team, hat jetzt eine neue Methode entwickelt, die den Spieß quasi umdreht. „Statt zuerst den gesamten Gentext einer Pflanze zu entschlüsseln, machen wir uns direkt gleich auf die Suche nach genetischen Varianten und bringen diese mit bestimmten Merkmalen in Verbindung“, sagt Voichek. „Davon ausgehend können wir dann betroffene Gene identifizieren.“ Diese Herangehensweise gelingt mithilfe bioinformatischer Analyse sogenannter k-mere, die sich in Bezug auf den gesamten Text des Erbguts mit Wortfragmenten oder Silben vergleichen lassen. Dabei handelt es sich um kurze DNA-Stückchen, deren Vorhandensein oder Fehlen eine Aussage über Genvarianten wie SNPs aber auch über größere Unterschiede erlaubt.

Voichek und Weigel haben die Methode für drei Pflanzenarten – Ackerschmalwand, Mais und Tomate – mit dem herkömmlichen Ansatz verglichen. Für alle drei Beispiele zeigte sich, dass die Methode beim Aufspüren von SNPs anderen Ansätzen nicht nachsteht, aber darüber hinaus auch sehr effizient größere Abweichungen vom Referenzgenom aufdeckt. „Für die Pflanzen, an denen wir die Methode erprobt haben, existiert ein Referenzgenom“, sagt Weigel. „Entscheidend ist für uns aber: Diese Methode würde auch funktionieren, wenn keine oder nur bruchstückhafte Informationen über das Erbgut vorliegen.“ Besonders interessant sei dies, wenn es darum geht, neu entdeckte Pflanzen zu analysieren oder nach bestimmten Inhaltsstoffen zu fahnden, die möglicherweise von medizinischem Nutzen sind.

Gemeinsam mit der Chemikerin Sarah O'Connor vom Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena wollen die Wissenschaftler ihre Methode baldmöglichst dem Härtetest unterziehen. O'Connor erforscht die chemischen Inhaltsstoffe einer großen Bandbreite von Pflanzen. „Viele der Pflanzen, für die wir uns interessieren, lassen sich nicht einmal im Labor züchten“, sagt O'Connor. Solche Arten wissenschaftlich zu untersuchen ist entsprechend kompliziert. „Ich freue mich darauf, die Methode anzuwenden, etwa bei Pflanzen, die im Amazonas-Regenwald wachsen.“ Gemeinsam erhoffen sich die Max-Planck-Forscher, bislang kaum erforschten Arten auf diese Weise das eine oder andere Geheimnis zu entlocken.


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Max-Planck-Instituts für Entwicklungsbiologie via Informationsdienst Wissenschaft erstellt

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