In der Zwickmühle



Bio-News vom 27.01.2021

Bei der Flut an Reizen, die ununterbrochen auf uns einbricht, ist es unmöglich auf alles zu reagieren. Das geht auch einem kleinen Fisch so. Doch welchen Eindrücken sollte er Beachtung schenken und welchen nicht? Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Neurobiologie entschlüsseln nun den neuronalen Schaltkreis, mit dem Zebrafische optische Eindrücke priorisieren. Umzingelt von Fressfeinden kann ein Fisch sich so für einen Fluchtweg aus dieser Zwickmühle entscheiden.

Wir sind zwar keinen Fressfeinden ausgeliefert, dennoch müssen wir tagtäglich entscheiden, welchen Reizen wir unsere Aufmerksamkeit schenken – zum Beispiel beim Überqueren einer Straße. Welchen Autos sollten wir ausweichen, welche können wir ignorieren?

„Die Vorgänge im Gehirn und die Schaltkreise, die zu dieser sogenannten selektiven Aufmerksamkeit führen, sind weitgehend unerforscht“, erklärt Miguel Fernandes, Postdoktorand in Herwig Baiers Abteilung. „Doch verstehen wir die Mechanismen in einem einfachen Tiermodell wie dem Zebrafisch, kann uns dies grundlegende Erkenntnisse über Entscheidungsprozesse im Menschen liefern.“


Mit einem neu entdeckten Schaltkreis kann das Gehirn optisch relevante Eindrücke verstärken und unwichtige unterdrücken.

Publikation:


António M. Fernandes, Duncan S. Mearns, Joseph C. Donovan, Johannes Larsch, Thomas O. Helmbrecht, Yvonne Kölsch, Eva Laurell, Koichi Kawakami, Marco Dal Maschio, Herwig Baier
Neural circuitry for stimulus selection in the zebrafish visual system

Neuron, 22.12.2020

DOI: 10.1016/j.neuron.2020.12.002



Aus diesem Grund untersuchte Miguel Fernandes zusammen mit Kollegen das Verhalten von Zebrafischen in der oben beschriebenen Zwickmühle. Mit Virtual Reality simulierte das Team zwei Fressfeinde, die mit gleicher Geschwindigkeit von links und rechts auf einen Fisch zukommen. In den meisten Fällen konzentrierten sich die Fische auf einen der beiden Fressfeinde und flüchteten in die entgegengesetzte Richtung. Sie kalkulierten also nur einen, den sogenannten „Sieger-Stimulus“ in ihren Fluchtweg ein („Sieger bekommt alles“-Strategie).

In einigen Fällen berücksichtigten die Fische jedoch beide Stimuli und schwammen durch die Mitte (Mittelweg-Strategie). Die Fische sind somit im Prinzip in der Lage, beide Bedrohungen in den Fluchtweg miteinzubeziehen. In der Regel schenken sie jedoch nur einem Stimulus ihre Aufmerksamkeit.



Durch das Zusammenspiel zweier Gehirnregionen können Zebrafische entscheiden, vor welchem Fressfeind sie fliehen.


Mit dem Wissen aus den Verhaltensanalysen untersuchten die Forscher, welche Gehirnregionen während der Stimulus-Auswahl aktiv sind. Im fast transparenten Zebrafisch identifizierten sie unter dem Mikroskop zwei beteiligte Gehirnregionen: Das Tectum, die Rechenzentrale für visuelle Reize, und ein Anhängsel davon, den sogenannten Nucleus isthmi (NI).

Um die Rolle des NI genauer zu bestimmen, inaktivierten die Forscher Nervenzellen in dieser Gehirnregion. Interessanterweise wendeten die Fische in Virtual-Reality-Versuchen nun anstatt der „Sieger bekommt alles“-Strategie vermehrt die Mittelweg-Strategie an – ein Zeichen dafür, dass der NI eine wichtige Rolle dabei spielt, einen Sieger-Stimulus festzulegen.

Die Wissenschaftler verfolgten daraufhin die Zellausläufer der beteiligten Nervenzellen und entschlüsselten so nach und nach den Schaltkreis zwischen den beiden Gehirnregionen: Nervenzellen des Tectums laufen zum NI und dessen Zellen wiederum zum Tectum. Dadurch entsteht eine Rückkopplung, welche die Signale der Sieger-Stimuli im Gehirn verstärkt. Alle anderen, als unwichtig eingestuften Eindrücke, werden hingegen unterdrückt.

Mit Hilfe des neu entdeckten Schaltkreises ordnet das Gehirn den verschiedenen optischen Eindrücken somit eine bestimmte Wichtigkeit zu. Als Entscheidungsgrundlage ermöglicht dies dem Fisch, auf wichtige Reize zu reagieren und unwichtige zu ignorieren. Darauf aufbauend können Forscher nun zum Beispiel untersuchen, wie Erfahrung oder Stress die Reaktion des Fisches beeinflusst.


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.

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