Interview: Ein Maßnahmenprogramm zum Insektenschutz für Brandenburg



Bio-News vom 30.09.2020

Das Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) e. V., das Senckenberg Deutsches Entomologische Institut (SDEI) sowie die Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE) arbeiten seit 2019 im Auftrag des Brandenburger Ministeriums für Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz (MLUK) an einem „Maßnahmenprogramm Insektenschutz Brandenburg“. Das Ergebnis ist ein Katalog von rund 50 Maßnahmen für die Landwirtschaft, weitere Landnutzungsformen wie Forst sowie für kommunale Grünflächen.

Dr. Peter Weißhuhn vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) e. V. und Prof. Dr. Thomas Schmitt vom Senckenberg Deutsches Entomologisches Institut (SDEI) begleiten die Entwicklung des Programms wissenschaftlich. Im Interview sprechen sie über die Ziele und konkreten Inhalte.

Herr Professor Schmitt, Herr Dr. Weißhuhn, Sie arbeiten seit 2019 an einem Konzept für besseren Insektenschutz in Brandenburg. Wie geht es den Insekten hierzulande?


Dr. Peter Weißhuhn (ZALF) und Prof. Dr. Thomas Schmitt (SDEI) konzipieren und begleiten als Forscher das „Maßnahmenprogramm Insektenschutz Brandenburg“.

Publikation:


Hendrik Schneider
Dr. Peter Weißhuhn & Prof. Thomas Schmitt im Interview: Ein Maßnahmenprogramm zum Insektenschutz für Brandenburg
Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) e.V.

Peter Weißhuhn: Wir sehen hohe Verluste an Insekten in Deutschland, was verschiedene Ursachen hat. Die wohl bekannteste Untersuchung dazu ist die Krefelder Studie, die gezeigt hat, dass in den letzten 30 Jahren im betrachteten Gebiet die Insektenbiomasse um rund drei Viertel abgenommen hat. Eine andere Studie aus Bayern zeigt, dass dort seit 1900 ein Drittel aller Arten verschwunden sind.

Thomas Schmitt: Für Brandenburg wissen wir bei den Tagfaltern, dass von 120 Arten 20 ausgestorben sind. Überall beobachten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Ähnliches. Das ist alarmierend! Wir beobachten auch sehr große Veränderungen in der Zusammensetzung der Lebensgemeinschaften. Sie verschiebt sich zugunsten der sogenannten Generalisten, die keine großen Ansprüche an ihren Lebensraum stellen. Die Spezialisten, die zum Beispiel nur den Pollen bestimmter Pflanzenarten sammeln oder nur an einer Pflanzenart fressen, verschwinden zusehends.

Was sind die Gründe für diesen massiven Insektenschwund?

Thomas Schmitt: Es gibt vier Hauptgründe: Die Zerstörung von Lebensräumen, die Zerstückelung von Lebensräumen, das Absinken der Qualität von Lebensräumen und klimatische Veränderungen, die sich negativ auswirken. In diesem Jahr sehen wir zum Beispiel, dass die Trockenheit den Insekten zu schaffen macht. Viele Raupen finden nicht genügend Nahrung. Das Jahr 2003 war auch extrem trocken und heiß. Der Silbergrüne Bläuling – ein kleiner Schmetterling – fand damals keine Pflanzen mehr für die Eiablage. Die Population ist deshalb ein Jahr später eingebrochen. Da die Landwirtschaft etwa die Hälfte der Fläche Deutschlands nutzt, kommt ihr bei den oben genannten Punkten zwangsläufig eine besonders große Bedeutung zu. Durch ihre immer stärkere Intensivierung und Industrialisierung sind sehr viele Lebensräume für Insekten weggebrochen. Der Einsatz von Insektiziden steigt, wodurch Insekten direkt auf den Feldern abgetötet und häufig auch auf benachbarten Flächen geschädigt werden. Auch Unkrautvernichtungsmittel sind problematisch, weil damit die Lebensgrundlagen der Tiere verschwinden.

Sie entwickeln derzeit ein Maßnahmenprogramm, um die Insekten besser zu schützen. Wer ist daran beteiligt und wie gehen Sie dabei vor?

Peter Weißhuhn: Das Insektensterben ist als Thema längst in der Gesellschaft und in der Politik angekommen. Im vergangenen Jahr starteten in Brandenburg gleich zwei Volksinitiativen zum Schutz der Insekten. Gemeinsam mit dem Landesumweltministerium und anderen Politikbereichen, den Initiatorinnen und Initiatoren der Volksinitiativen, die aus dem Naturschutz und der Landwirtschaft kommen, Landnutzerinnen und Landnutzern, Forschenden und weiteren Akteuren wollen wir das vorhandene Wissen zum Insektensterben bündeln und gemeinsam Strategien dagegen entwickeln. In Arbeitsgruppen und Workshops bringen wir viele Menschen mit sehr unterschiedlichen Expertisen an einen Tisch – von der Grünflächenpflege über die Imkerei bis hin zur Landwirtschaft. Insgesamt arbeiten rund 70 Beteiligte ehrenamtlich in drei verschiedenen Arbeitsgruppen aktiv mit. Die erste betrachtet den Landwirtschaftsbereich, die zweite andere Landnutzungsformen wie Forst oder kommunale Grünflächen, die dritte überprüft den Wissensstand aus der Forschung und identifiziert Forschungslücken. Ein wissenschaftlicher Beirat aus neun Forschenden des ZALF und des SDEI prüft die erarbeiteten Vorschläge.

Was haben Sie bisher erreicht?

Peter Weißhuhn: Wir haben erst einmal sehr viel Wissen gesammelt und anschließend wissenschaftlich bewertet. Es gibt nun eine Sammlung von etwa 50 Maßnahmen, die nach unserer Einschätzung großes Potenzial haben, das Insektensterben zu verringern. Für alle diese Vorschläge gibt es Steckbriefe, welche die Maßnahmen beschreiben, Vor- und Nachteile abwägen und Empfehlungen für die Umsetzbarkeit geben.

Was steht in diesen Handlungsempfehlungen?

Thomas Schmitt: Ein gutes Beispiel, das sofort Wirkung zeigt und leicht umzusetzen ist, ist die Mosaikmahd von Wiesen. Dabei wird eine Wiesenfläche nicht komplett abgemäht, sondern zunächst nur etwa ein Viertel. Raupen, Käfer oder Wildbienen können dann auf die übrig gelassenen Flächen ausweichen. Zehn Tage später wird das zweite Viertel gemäht und wieder zehn Tage später das dritte. Inzwischen blüht es auf dem ersten Abschnitt schon wieder und die Insekten finden Nahrung und Rückzugsraum. Damit können wir sehr schnell sehr positive Effekte erzielen. Wir müssen generell verhindern, dass es Phasen gibt, in denen sämtliche Ressourcen der Insektenwelt durch „Kahlschlag“ ausfallen. Das kann zum Beispiel auch Hecken, Totholz- und Steinhaufen oder naturbelassene Wegränder beinhalten. Mit wenig Geld lässt sich schon viel erreichen. Das Ziel ist eine Landschaft, die wieder vielfältiger an Strukturen und Arten ist.

Peter Weißhuhn: Auch im Grünflächenbereich kann man mit wenigen Mitteln sehr viel bewirken. Städtisches Grün kann artenreicher gestaltet, weniger gemäht und zum Beispiel mit Totholz, als Lebensraum für Insekten, aufgewertet werden. Schotterflächen und Versiegelung von Böden sollten zurückgefahren werden. Ein bisher zu wenig beachteter Punkt ist auch die Lichtverschmutzung. Zu helle und nach oben strahlende Lampen irritieren die nachtaktiven Insekten, die einen oft unterschätzten Anteil an der Insektenvielfalt ausmachen. Ihre Nahrungssuche, ihr Fortpflanzungsverhalten und sogar ihre körperliche Entwicklung kann dadurch gestört werden. Mit der richtigen Beleuchtungstechnik lassen sich diese negativen Einflüsse auf Insekten stark reduzieren.

Was muss nun geschehen, damit die entwickelten Empfehlungen umgesetzt werden?

Thomas Schmitt: Es müssen die richtigen politischen Entscheidungen getroffen werden. Wir haben jetzt eine sehr tragfähige Basis geliefert und listen wirksame Maßnahmen auf. Besonders in der Landwirtschaft sind neue Wege gefragt. Landwirtschaftsbetriebe sind auch Landschaftsgestalter und übernehmen damit gesamtgesellschaftliche Aufgaben. Deshalb denke ich, dass sich Subventionierungen in der Landwirtschaft deutlich verändern müssen. Die derzeitigen Flächennutzungsprämien sind nicht angemessen. Stattdessen sollte eine Landnutzung, die einen ökologischen Wert hat, honoriert werden. Die Betriebe produzieren nicht nur landwirtschaftliche Güter, sondern auch Naturschutz und Artenvielfalt. Die enge Zusammenarbeit mit der landwirtschaftlichen Praxis und unterschiedlichen Landnutzern sowie die eingebrachten Erfahrungen sind für uns hierbei sehr wichtig.

Was geschieht, wenn es uns nicht gelingt, die Insektenwelt besser zu schützen?

Thomas Schmitt: Für den Menschen ist natürlich die Bestäubungsleistung der Insekten wichtig, ohne die es viel weniger Obst oder Gemüse geben würde. Aber Insekten sind auch eine wichtige Grundlage der sNahrungspyramide. Ohne Insekten keine Vögel und so weiter. Wenn die Insekten verschwinden, brechen auch unsere Ökosysteme zusammen. Was das für Konsequenzen hätte, kann noch niemand wirklich abschließend abschätzen.

Peter Weißhuhn: Insekten sind ein ganz starker Indikator für den Zustand von Ökosystemen. Wenn diese Tiergruppe, die alle möglichen Nischen besetzen kann, Schwierigkeiten bekommt, geht es der Umwelt generell sehr schlecht. Viele andere Dinge, die wir für selbstverständlich halten, sind dann gefährdet. Bei den Vögeln sind die Insektenfresser in den vergangenen Jahrzehnten am stärksten zurückgegangen. Aber es gibt noch unzählige weitere Wechselwirkungen, die wir noch gar nicht alle kennen und deren Umfang wir nicht abschätzen können.

Das Gespräch führte Heike Kampe


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Leibniz-Zentrums für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) e.V. via Informationsdienst Wissenschaft erstellt

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