Ketamin: Neue Erkenntnisse zur Wirkweise gewonnen
Bio-News vom 18.05.2020
Der Wirkstoff Ketamin ist ein erprobtes Narkosemittel und kann auch bei der Behandlung von Depressionen eingesetzt werden. Eine neue Studie des Leibniz-Instituts für Neurobiologie Magdeburg (LIN) zeigt, dass Ketamin zu einer stärkeren Aktivierung und Reiz-gekoppelten Reaktion im Gehirn führt. Mittels räumlich hoch aufgelöster Ableitungen von Nervensignalen aus der Hörrinde von Wüstenrennmäusen konnte das Magdeburger Forscherteam neue Wirkmechanismen identifizieren.
„Ketamin gilt unter Experten als potenzieller Wirkstoff, um Depressionen zu behandeln“, sagt PD Dr. Max Happel, Arbeitsgruppenleiter und Leiter der Studie am Leibniz-Institut für Neurobiologie (LIN). „Bislang ist allerdings unklar, wie Umweltreize vom Gehirn und den neuronalen Netzwerken verarbeitet werden, wenn dem Patienten Ketamin verabreicht wird.“ Die Wissenschaftler vom LIN haben deshalb im Tiermodell untersucht, ob und wie sich die Verarbeitung von Tonsignalen in der Hörrinde verändert.
Publikation:
Katrina E. Deane, Michael G. K. Brunk, Andrew W. Curran, Marina M. Zempeltzi, Jing Ma Xiao Lin, Francesca Abela, Sümeyra Aksit Matthias Deliano, Frank W. Ohl, Max F. K. Happel
Ketamine anesthesia induces gain enhancement via recurrent excitation in granular input layers of the auditory cortex
Journal of Physiology
DOI: 10.1113/JP279705
Die Experimente mit den Mongolischen Wüstenrennmäusen zeigen, dass sich gegenseitig erregende Nervenzellen deutlich aktiver sind, wenn die Tiere mit Ketamin narkotisiert sind und dann Tonreize aufnehmen. Zudem deutet die Analyse der zeitlichen Struktur der Nervensignale, sogenannte „wavelet analysis“, darauf hin, dass Ketamin die Aktivität der erregenden Nervenzellen synchronisiert. Inhibitorische Prozesse werden hingegen weniger gut kontrolliert.
Wirkmechanismus im Tiermodell
„Die Anatomie und Funktionsweise der Hörrinde ist bei der Gruppe der Rennmäuse, auch Wüstenrennmäuse, außerordentlich gut erforscht und die Tiere haben einen dem Menschen sehr ähnlichen Hörbereich“, erläutert Katrina Deane, Erstautorin der Studie. „So helfen die Erkenntnisse über die veränderten sensorischen Filtereigenschaften bei der Verarbeitung von Umweltreizen, ein besseres Verständnis von der pharmakologischen Wirkung des Ketamins zu entwickeln“. Dennoch bedarf es weiterer Forschung, etwa um die längerfristigen Effekte von Ketamin auf unser seelisches Wohlbefinden oder die Einflüsse auf die menschliche Wahrnehmung zu verstehen. So ist die längerfristige Anwendung des Wirkstoffs bei Depressionen derzeit nur unter strengen Bedingungen im Einzelfall möglich. Als Narkosemittel ist Ketamin hingegen schon länger zugelassen und wird bereits seit vielen Jahren auch in der neurowissenschaftlichen Forschung eingesetzt. Illegal wird Ketamin als Partydroge missbraucht, die unter Synonymen wie „Vitamin K“ auf dem Schwarzmarkt angeboten wird und eskapistische bis psychodelische Trips verheißt. Über Risiken, Neben- und Langzeitwirkungen ist derzeit jedoch wenig bekannt.
Diese Newsmeldung wurde mit Material des Leibniz-Instituts für Neurobiologie via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.