Mimik-Erkennung: Warum das Gehirn dem Computer (noch) überlegen ist



Bio-News vom 18.06.2021

Die Corona-Maskenpflicht macht uns derzeit bewusst: Mimik ist eines unserer wichtigsten Kommunikationssignale. Unser Gehirn verarbeitet Mimik unabhängig von der Gesichtsform - So verstehen wir sogar Emotionen von Phantasiefiguren wie Meister Yoda.

Die Corona-Maskenpflicht macht uns derzeit bewusst: Mimik ist eines unserer wichtigsten Kommunikationssignale. Bei der Deutung von Gesichtsausdrücken machen wir erstaunlich wenig Fehler, selbst wenn unser Gegenüber kein Mensch ist. So erkennen wir sofort, dass Meister Yoda skeptisch ist – auch wenn wir keine eingefleischten Star Wars-Fans sind und ihn zum ersten Mal sehen. Menschen sind der künstlichen Intelligenz (KI) hier noch weit überlegen, die zwar menschliche Gesichter sehr gut erkennen kann, aber bei Phantasiefiguren kläglich versagt, wenn sie nicht vorher darauf trainiert wurde.


So sieht der Künstler "Artificial Intelligence".

Publikation:


Taubert et al.
Shape-invariant encoding of dynamic facial expressions in human perception

eLife, 10:e61197

DOI: 10.7554/eLife.61197



Professor Dr. Martin Giese und Professor Dr. Peter Thier vom Hertie-Institut für klinische Hirnforschung und dem Zentrum für Integrative Neurowissenschaft der Universität Tübingen haben nun eine mögliche Erklärung dafür, warum unser Sehsystem hier überlegen ist: Die Form des Kopfes scheint bei der Wahrnehmung von Gesichtsausdrücken keine Rolle für Menschen zu spielen. Im Gegensatz dazu haben KI-Systeme Probleme, Gesichtsausdrücke auf Gesichtsformen zu erkennen, die stark von den vorher trainierten abweichen. Aktuelle Gesichtserkennungsprogramme, wie sie in Sicherheitssystemen oder in der Forensik verwendet werden, können daher Meister Yodas Mimik nicht ohne Weiteres lesen. Der Grund, warum unser Gehirn so gut Gesichtseindrücke deuten kann, liegt möglicherweise in unserer evolutionären Geschichte, wie das Team in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift eLife berichtet


Fotorealistischer Menschen- und Affen-Avatar, deren Gesichtsbewegungen zwischen menschen- und affentypischen Ausdrücken der Emotionen Wut und Angst variierten.

Für ihre Studie erstellten die Tübinger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dreidimensionale computeranimierte Gesichter von Menschen und Affen. „Dabei haben wir Methoden verwendet, die auch bei Hollywood-Filmen wie ‘Avatar‘ oder ‘Herr der Ringe‘ eingesetzt wurden“, sagt Nick Taubert, Erstautor der Studie. Die Forschenden konnten die Bewegung der Gesichts-Avatare kontrollieren, diese entsprachen der typischen Mimik von Menschen wie auch von Affen beim Ausdruck von „Angst“ und „Ärger“. Der Clou: der Affen-Avatar konnte auch menschliche Gesichtsausdrücke übernehmen und der Mensch-Avatar tierische Mimik zeigen.

Während des Experiments mussten menschliche Probandinnen und Probanden die wahrgenommenen Gesichtsausdrücke einordnen. Das Ergebnis: „Die Mimik wurden bei beiden Gesichts-Avataren gleich gut erkannt. Unsere Probandinnen und Probanden identifizierten die menschlichen Gesichtsausdrücke auf dem Affengesicht sofort“, erklärt Michael Stettler, der die Experimente durchgeführt hat. „Die Affenausdrücke, die sich sehr von den menschlichen unterscheiden, lernten sie wiederum nach wenigen Wiederholungen.“ Die unterschiedliche Gesichtsform des Menschen- und des Affen-Avatars scheint daher für die Erkennung der emotionalen Ausdrücke keine Rolle zu spielen.

Den Grund für dieses Ergebnis vermutet das Forschungsteam in der evolutionären Entwicklung unseres Gehirns. „Die Anatomie der Gesichtsmuskeln hat sich in den letzten 25 Millionen Jahren nur wenig verändert, so dass Affen und Menschen im Prinzip sehr ähnliche Gesichtsbewegungen ausführen können,“ erklärt Studienleiter Giese. „Die menschliche Kopfform weicht dagegen deutlich von der des Affen ab, der Affe hat etwa einen viel größeren Mund. Unser Gehirn könnte sich an diesen Unterschied angepasst haben und deshalb die Mimik unabhängig von der Kopfform verarbeiten.“

Das Forschungsteam will weiter untersuchen, welche Berechnungen das Gehirn bei der Mimik-Erkennung durchführt.


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Hertie-Instituts für klinischen Hirnforschung (HIH) via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.


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