Neues vom Großen Amerikanischen Leberegel, dem eingeschleppten Wildtierparasiten
Bio-News vom 09.08.2023
Jedes fünfte untersuchte adulte Stück Rotwild im Bayerischen Teil des Projektgebiets war vom Großen Amerikanischen Leberegel befallen. Im Nationalpark Šumava war sogar mehr als jedes vierte adulte Stück infiziert. Dies ergab ein grenzübergreifendes Forschungsprojekt der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF) in Kooperation mit den Nationalparken Bayerischer Wald und Šumava (Tschechien) sowie dem Forstbetrieb Neureichenau der Bayerischen Staatsforsten. Das Projekt widmete sich sowohl der Frage der Verbreitung des eingeschleppten Parasiten, als auch seinen Auswirkungen auf Wildtiere im Böhmerwald-Ökosystem.
Vom Großen Amerikanischen Leberegel wird vor allem Rotwild befallen, aber auch Rehe und Nutztiere könnten von einer Infektion betroffen sein. Er ist ein invasiver Parasit, der im Laufe des frühen 20. Jahrhunderts mit dem Import amerikanischer Hirsche nach Europa eingeschleppt wurde. Als Zwischenwirte für seine Entwicklung nutzt der Parasit Wasserschneckenarten. Als Endwirt parasitiert der Leberegel in Europa vor allem Rotwild, aber auch Rehe und Wildschweine und sogar Nutztiere können befallen werden.
Die Infektion ruft bei den verschiedenen Wildarten unterschiedlich starke Krankheitsverläufe hervor. Der Parasit befällt die inneren Organe der Wirtstiere und der erwachsene Leberegel kann bis zu 10 cm lang werden, bei einem Durchmesser von maximal 35 mm. Bei Rotwild treten starke Krankheitssymptome eher selten auf, dagegen kann beim Reh bereits ein moderater Befall tödlich verlaufen. Menschen werden von dem Parasiten dagegen gar nicht befallen.
Auf tschechischer Seite des Böhmerwald-Ökosystems war die Anwesenheit des Parasiten schon länger bekannt. Im Nationalpark Bayerischer Wald wurde der Große Amerikanische Leberegel erstmals im Herbst 2019 an einem erlegten Stück Rotwild nachgewiesen. Daraufhin wurden im Rahmen des grenzübergreifenden Forschungsprojekts seit 2021 systematisch Befallsraten von Rot-, Reh- und Schwarzwild für das Bayerisch-Böhmische Grenzgebiet erhoben.
Die Untersuchung von mehr als 650 Rothirschen ergab, dass im Nationalpark Šumava die Infektionsrate bei adulten Tieren derzeit bei über 27 % liegt. Im Bayerischen Teil des Projektgebiets ist die Infektionsrate mit 20 % dagegen etwas niedriger. Kälber waren von einer Infektion nur sehr selten betroffen. Unter mehr als 150 beprobten Rehen konnte lediglich eine Infektion festgestellt werden. Von den fast 500 beprobten Wildschweinen war kein einziges Tier von dem Parasiten befallen.
Im Rahmen des Forschungsvorhabens wurden unter Zuhilfenahme innovativer Untersuchungsansätze Grundlagendaten zur räumlichen Verteilung und zum Infektionsrisiko durch den eingeschleppten Parasiten erhoben. Berücksichtigt wurden dabei nicht nur die End- und Fehlwirte des Parasiten, sondern erstmals auch seine Zwischenwirte. Hierzu wurden zwei Wasserschneckenarten großflächig kartiert. Sie spielen für das Infektionsgeschehen eine entscheidende Rolle und ihre Verbreitung könnte sich unter klimatischen Veränderungen künftig verschieben. Zusätzlich wurde die Lebensraumnutzung der Wildtiere mit Kamerafallen beobachtet. Unter Berücksichtigung von Umweltvariablen berechneten die Wissenschaftler Raumnutzungskarten für Zwischen, End und Fehlwirte. Durch das Verschneiden dieser Raumnutzungskarten liegen nun wertvolle Informationen zur räumlichen Verteilung des Infektionsrisikos für die Endwirte vor.
Kurz vor Projektabschluss fand im Dezember 2022 in Bayerisch Eisenstein ein umfangreicher Abschlussworkshop statt. Dabei präsentierte das Projektteam seine Forschungsergebnisse dem interessierten Fachpublikum. Knapp 60 Akteure unterschiedlicher Disziplinen nahmen an der Veranstaltung teil: Vertreter der Nationalparke, der Forstbetriebe, der Jagdbehörden und der Veterinärämter aus Tschechien und Bayern diskutierten mit den Wissenschaftlern intensiv über die vorgestellten Ergebnisse.
Die Projektergebnisse unterstreichen, wie wichtig es ist, dass Nutztierbestände gründlich untersucht werden, bevor sie in Wildlebensräume ausgebracht werden. Die Bekämpfung von eingeschleppten Parasiten ist, wenn sich diese erst einmal etabliert haben, nur sehr begrenzt möglich. Zur Sprache kamen auch Managementmaßnahmen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens, wie beispielsweise die Schließung der Rotwild-Wintergatter im Sommer. Die Gatter stellen potenzielle Infektionshotspotts dar, da infiziertes Rotwild hier über den Winter mit dem Kot konzentriert auf enger Fläche Parasiteneier ausscheidet. Die Eier können die kalte Jahreszeit überdauern. Mit steigenden Temperaturen entwickeln sich in den Eiern Parasitenlarven, die nach weiteren Entwicklungsschritten im Zwischenwirt dann wiederum Wildtiere infizieren können.
Weiteres Monitoring notwendig
Die Projektergebnisse stellen eine Momentaufnahme der derzeitigen Infektionslage dar.
Da sich die Ausbreitung des Parasiten aber vermutlich in einer dynamischen Phase befindet, ist ein weiteres Monitoring des Infektionsgeschehens, insbesondere vor dem Hintergrund von sich ändernden klimatischen Voraussetzungen, die sich auf die Entwicklung des Parasiten auswirken können, unabdingbar.
Nur so kann abgeschätzt werden, ob eine weitere Verbreitung des Parasiten stattfindet und ggf. die Einleitung von Gegenmaßnahmen vorgenommen werden.
Förderung
Das länderübergreifende Projekt wurde über die Strukturförderung der Europäischen Union im Rahmen des INTERREG-Programms zwischen dem Freistaat Bayern und der Tschechischen Republik (Interreg V) gefördert.
Diese Newsmeldung wurde mit Material Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.