Neues von den gruppenlebenden Tieren: Hilfsbereitschaft und Familienbande



Bio-News vom 26.09.2022

Die Bereitschaft, Artgenossen zu helfen, unterscheidet sich von Tierart zu Tierart – und auch zwischen Männchen und Weibchen. Ein internationales Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zeigte nun für sieben gruppenlebende Tierarten, dass sich der Verwandtschaftsgrad eines Tieres zu den anderen Gruppenmitgliedern im Laufe seines Lebens verändern kann und diese Veränderung systematischen Mustern folgt – bei Tüpfelhyänenweibchen sinkt er beispielsweise im Laufe des Lebens, während er bei deren Männchen steigt. Diese „Verwandtschaftsdynamik“ hat einen großen Einfluss auf den Anreiz, anderen Gruppenmitgliedern zu helfen.

Ein zentrales Ziel von Lebewesen ist, die eigenen Gene an nachfolgende Generationen weiterzugeben. Da nahe Verwandte einen Großteil identischer Gene besitzen, sollten Tiere auch nahen Verwandten helfen, ihre Gene weiterzugeben. Wer in einer Gruppe von nahen Verwandten lebt, sollte daher im eigenen Interesse den Gruppenmitgliedern helfen. Wer dagegen in Gruppen mit Mitgliedern lebt, die nur entfernt oder gar nicht verwandt sind, wie etwa Cousinen zweiten Grades oder völlig Fremden, kann einen Vorteil davon haben, egoistisch zu handeln oder den anderen sogar Schaden zuzufügen. Ein Team von 21 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter der Leitung der University of Exeter (Großbritannien) untersuchte bei sieben Säugetierarten, wie sich der Verwandtschaftsgrad im Laufe des Lebens verändert.


Bei Tüpfelhyänen haben die Weibchen mit zunehmendem Alter weniger und die Männchen mehr familiäre Bindungen. Solche Veränderungen im Verwandtschaftsgrad haben einen großen Einfluss auf die Bereitschaft der Tiere, sich gegenseitig zu helfen.

Publikation:


Ellis, S., Johnstone, R.A., Cant, M.A. et al.
Patterns and consequences of age-linked change in local relatedness in animal societies
Nat Ecol Evol (2022)

DOI: 10.1038/s41559-022-01872-2



„Wir wollten herausfinden, wie sich der Verwandtschaftsgrad mit zunehmendem Alter verändert und wie sich dies auf das Sozialverhalten der Gruppenmitglieder auswirkt“, so Dr. Sam Ellis, Erstautor der Arbeit. „Dafür entwickelten wir ein theoretisches Modell zur Vorhersage von Veränderungen im Verwandtschaftsgrad und verglichen unsere Vorhersagen mit empirischen Daten aus jahrzehntelangen Feldforschungsprojekten an Schwertwalen, Schimpansen, Tüpfelhyänen, Zebramangusten, Dachsen, Rhesusaffen und Pavianen.“ Das Team untersuchte auch, ob sich diese „Verwandtschaftsdynamik“ bei Männchen und Weibchen der gleichen Art voneinander unterschieden.

Das Team fand heraus, dass der Verwandtschaftsgrad von Art zu Art variiert, und zwar abhängig davon, ob die männlichen oder weiblichen Nachkommen (oder beide) die Gruppe verlassen, in die sie geboren wurden, und zu neuen Gruppen abwandern. Bei Schwertwalen beispielsweise bleiben männliche und weibliche Nachkommen in der gleichen Gruppe wie ihre Mutter, so dass die Weibchen mit zunehmendem Alter mit einer wachsenden Zahl von Kindern und Enkeln zusammen leben. Bei anderen Tieren ist das ganz anders. „Bei Tüpfelhyänen verlassen die Männchen in der Regel nach Erreichen der Geschlechtsreife ihre Geburtsgruppe, so dass die Weibchen mit zunehmendem Alter in der Regel unter weniger nahen Verwandten leben“, so Dr. Eve Davidian, Mitautorin des Aufsatzes und Mitglied des Ngorongoro-Hyänenprojekts des Leibniz-IZW.

Die empirischen Daten der Feldforschungsprojekte stimmten gut mit den Vorhersagen des Modells überein. „Das ist spannend, weil unser Modell nur auf zwei Merkmalen des Sozialsystems von Arten aufbaut, nämlich welches Geschlecht auswandert und wie häufig sich Weibchen und Männchen mit Mitgliedern anderer Gruppen verpaaren. Dadurch können wir auch für andere in Gruppen lebende Tiere vorhersagen, wie und wann sich ihre Hilfsbereitschaft verändert“, so Ellis.

Eine der sieben in die Studie einbezogenen Tierpopulationen ist die der Tüpfelhyänen im Ngorongoro-Krater in Tansania. Leibniz-IZW-Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchen diese aus acht Clans bestehende Population seit 26 Jahren und erstellten einen einzigartigen genetischen Stammbaum, der mehr als 2000 Individuen aus neun Generationen umfasst. „Unsere Langzeitdaten stimmten gut mit der vom Modell vorhergesagten Verwandtschaftsdynamik überein: die Verwandtschaft nimmt bei den Männchen mit zunehmendem Alter zu, bei den Weibchen jedoch ab“, sagt Dr. Oliver Höner vom Leibniz-IZW und Mitautor des Aufsatzes. „Mit Hilfe dieses neuen Modells können wir weiterführende Modelle zur Hilfsbereitschaft mit Daten füttern und nun allgemeine Voraussagen für gruppenlebende Tiere treffen, wann und wie ausgeprägt Männchen und Weibchen in welchem Alter hilfsbereit sein sollten.“

Die Ergebnisse könnten auch erklären, weshalb sich Arten und die Geschlechter in ihrer Hilfsbereitschaft voneinander unterscheiden. „Der Verwandtschaftsgrad und damit die Anreize zu helfen, ändern sich oft mit dem Alter und abhängig vom Geschlecht, entsprechend der sozialen Organisation und dem Paarungssystem der Tierart, also je nachdem, wo sich die Tiere verpaaren und welches Geschlecht aus der Geburtsgruppe auswandert“, sagt Prof. Darren Croft von der University of Exeter und Senior-Autor des Aufsatzes.

Die wissenschaftliche Untersuchung liefert Vorhersagen, die mit empirischen Daten überprüft werden können. „Bei Tüpfelhyänen wird es spannend sein zu überprüfen, ob die Männchen mit zunehmendem Alter wie vorhergesagt ihren Gruppenmitgliedern mehr – und die Weibchen weniger – helfen“, so Höner. Die Arbeit öffnet damit die Tür für neue theoretische und empirische Untersuchungen, die es ermöglichen werden, besser zu verstehen, wie das Sozialsystem einer Art die Hilfsbereitschaft von Tieren beeinflusst und wie unterschiedliche Tiergesellschaften entstehen.


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) im Forschungsverbund Berlin e.V. via Informationsdienst Wissenschaft erstellt

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