Symbiose als Dreiecksbeziehung
Bio-News vom 24.09.2019
Untersuchung der viralen Gemeinschaften von Schwämmen erlaubt neue Einblicke in die Mechanismen der Symbiose. Schwämme bilden einen sehr umfangreichen Tierstamm mit weltweit über 7500 Arten, die in zahlreichen Lebensräumen des Ozeans vorkommen. Eine Besonderheit ihrer Lebensweise ist die Filtration des Meereswassers, mit der diese Tiere ihre Nahrung aufnehmen.
Einzelne Schwammarten schleusen dabei bis zu 24.000 Liter pro Tag durch ihren Körper. Wie alle vielzelligen Lebewesen weisen auch Schwämme ein sogenanntes Mikrobiom auf, also die Gemeinschaft aller mit dem Wirtslebewesen symbiotisch verbundenen Mikroorganismen. Dieses Mikrobiom ist bei den Schwämmen besonders durch bestimmte Viren geprägt, darunter auch viele sogenannte Bakteriophagen. Auch das umgebende Meereswasser beherbergt Viren in großer Fülle, in einem Milliliter Wasser sind im Schnitt 10 Millionen Viren enthalten. Die filtrierende Lebensweise der Schwämme und das reiche Virenvorkommen im Meer legen deshalb die Vermutung nahe, dass Schwämme eine ähnliche Mikrobenzusammensetzung wie das Umgebungswasser beherbergen.
Publikation:
Martin T. Jahn, Ksenia Arkhipova, Sebastian M. Markert, Christian Stigloher, Tim Lachnit, Lucia Pita, Anne Kupczok, Marta Ribes, Stephanie T. Stengel, Philip Rosenstiel, Bas E. Dutilh & Ute Hentschel
A phage protein aids bacterial symbionts in eukaryote immune evasion
Cell Host & Microbe Published on 24 September 2019
DOI: 10.1016/j.chom.2019.08.019
Forschende des Sonderforschungsbereichs (SFB) 1182 „Entstehen und Funktionieren von Metaorganismen“ von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und dem GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel konnten nun belegen, dass Schwämme stattdessen über ein sehr spezifisches, auch innerhalb der Individuen einer Art einzigartiges Mikrobiom besitzen. Bestimmte in diesem Mikrobiom enthaltene Bakteriophagen - also Viren, die Bakterien befallen - sind zudem in der Lage, das Immunsystem des Wirtslebewesens zu beeinflussen und damit bakterielle Symbionten vor der Vernichtung durch dieses zu schützen. Während Viren üblicherweise für Ihre krankmachenden Eigenschaften bekannt sind, zeigen die neuen Forschungsergebnisse nun also einen positiven Einfluss von Bakteriophagen auf die Interaktion von Wirtslebewesen und Bakterien. Sie entstanden in internationaler Zusammenarbeit aus drei Ländern unter anderem mit Forschenden der Universitäten Würzburg, Barcelona und Utrecht. Die heute in der Fachzeitschrift Cell Host & Microbe erschienene Studie wirft damit ein neues Licht auf die Symbiose zwischen vielzelligen Lebewesen und Gemeinschaften von Mikroorganismen, die möglicherweise in einer Dreiecksbeziehung von viralen Bestandteilen reguliert wird.
Ein unerforschter Mikrokosmos
Um die Zusammensetzung der mikrobiellen Gemeinschaft von Schwämmen zu analysieren, untersuchten die Forschenden vier verschiedene Schwammarten von einem bestimmten scharf abgegrenzten Standort im Mittelmeer. Sie verglichen dabei jeweils mehrere Individuen derselben Art untereinander, sowie jeweils Gewebe der Körperoberfläche und des Körperinneren eines individuellen Schwamms miteinander. „Entgegen der Annahme haben unmittelbar nebeneinander lebende Schwämme ein spezifisches, für jedes einzelne Exemplar einzigartiges Virom. Hinsichtlich der in ihm lebenden viralen Gemeinschaft gleicht also kein Schwamm dem anderen“, fasst Martin T. Jahn, Doktorand am GEOMAR und Nachwuchsforscher im SFB 1182 die Beobachtungen zusammen. „Die Zusammensetzung des Viroms ist somit nicht primär von der Umwelt oder der Exposition des Gewebes zum Umgebungswasser abhängig, sondern wird über innere Faktoren definiert “, so der Erstautor der Studie, zu der Nachwuchsforschende aus insgesamt vier Arbeitsgruppen des SFB 1182 beitrugen, weiter.
Bemerkenswert war zudem, dass die in den Schwämmen vorhandenen Viren zum großen Teil noch unbekannt waren. „Wir haben fast 500 neue Gattungen von Viren in unseren Proben gefunden“, betont Jahn. „Diese Viren sind vollständig neu, sie kommen möglicherweise nur in den Schwämmen und nirgendwo sonst in der Natur vor“, sagt Jahn. Diese Größenordnung zeigt, dass die Erforschung der viralen Vielfalt innerhalb des Spektrums mikrobiellen Lebens erst am Anfang steht.
Wirtslebewesen, Bakterien und Phagen interagieren
Die deutliche Abweichung der viralen Gemeinschaft innerhalb der Schwämme gegenüber den Virenkommen des Meereswassers warfen die Frage auf, ob sich auch funktionale Unterschiede der Virome identifizieren lassen. Dazu untersuchen die Forschenden des SFB 1182 die Gesamtheit der viralen Gene und stießen auf Abschnitte in diesen Erbinformationen, die jenen vielzelliger Lebewesen ähneln und dort für Interaktionen von bestimmten Proteinen verantwortlich sind. „Dieses überraschende Ergebnis weckte unser besonderes Interesse“, sagt Ute Hentschel Humeida, SFB 1182-Mitglied und Professorin für Marine Mikrobiologie am GEOMAR. „Wir wollten herausfinden, warum die Bakteriophagen Gene für ein Protein besitzen, das man eher in einem vielzelligen Lebewesen vermuten würde“, so Hentschel Humeida weiter.
Um der Rolle dieses sogenannten ANKp-Proteins nachzugehen, untersuchten sie, wie es sich in einem Modellsystem verhielt: Sie ließen das Protein durch das Bakterium Escherichia coli experimentell herstellen und untersuchten seine Wirkung auf bestimmte Fresszellen, die im Immunsystem von Wirbeltieren vorkommen. Das Ergebnis deutet auf eine zentrale Rolle des ANKp-Proteins hin: Es bewirkte, dass E. coli deutlich weniger von den Fresszellen zerstört wurde. Das Protein erlaubt es den Bakteriophagen offenbar, mit dem Wirtsorganismus zu interagieren. So reguliert es die Immunantwort des Wirtes und schützt damit das in einem Wirt lebende Bakterium. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vermuten daher, dass Bakteriophagen Teil einer trilateralen Interaktion von Wirtslebewesen, Bakterien und Viren sind und Mechanismen zur Aufrechterhaltung ihres symbiotischen Miteinanders bereitstellen.
Erweiterung des Symbiose-Konzepts?
Die Forschenden des SFB 1182 interpretieren die neuen Ergebnisse als möglichen wichtigen Beitrag viraler Bestandteile des Mikrobioms, insbesondere der Bakteriophagen, zu den symbiotischen Interaktionen von vielzelligen Wirtslebewesen und ihren mikrobiellen Partnern. „Wir vermuten, dass Bakteriophagen zentral an der Symbiose zwischen vielzelligen Lebewesen einschließlich des Menschen und Bakterien beteiligt sind“, fasst Martin T. Jahn zusammen. „Virale Proteine wie das ANKp machen möglicherweise dieses Zusammenspiel von Organismus und Bakterien erst möglich, weil sie es den Bakterien erlauben, dem Immunsystem des Wirtes zu entgehen“, so Jahn weiter. „Das fundamentale Konzept der Symbiose kann daher als Interaktion dreier Parteien verstanden werden“, folgert Hentschel Humeida. In Zukunft wollen die Kieler Forschenden dieser für die Metaorganismus-Forschung zentralen Hypothese weiter nachgehen und die funktionale Beteiligung der Bakteriophagen an den Mechanismen der Symbiose bestätigen.
Diese Newsmeldung wurde via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.