Wüstenfische „under cover“ – neu entdeckte Vielfalt auf der arabischen Halbinsel
Bio-News vom 16.02.2021
Das Landschaftsbild des Oman ist geprägt durch ausgedehnte Wüstenlandschaften und karge, trockene Hochgebirgsketten. Hört man von neu entdeckten Süßwasserfischen, denken wohl die wenigsten an den Wüstenstaat im Südosten der arabischen Halbinsel. Studien des Naturhistorischen Museums Wien belegen nun, dass die Fisch-Vielfalt in dieser trockenen Region bisher unterschätzt wurde.
Für Fische wirkt die Landschaft lebensfeindlich, sie ist aber durchzogen von einem Netz aus oberirdischen Wasserläufen und unterirdischen Wasserverbindungen, die sich entlang des Hajar-Gebirges über den Norden des Oman erstrecken und als Rückzugsgebiet und Verbreitungsweg von diversen Süßwasserorganismen benutzt werden.
Publikation:
Sandra Kirchner, Luise Kruckenhauser, Arhur Pichler, kai Borkenhagen, Jörg Freyhof
Revision of the Garra species of the Hajar Mountains in Oman and the United Arab Emirates with the description of two new species (Teleostei: Cyprinidae)
Zootaxa
DOI: 10.11646/zootaxa.4751.3.6
Eine blinde und zartrosafarbene (unpigmentierte) Höhlenform des Barben-ähnlichen Fisches Garra barreimiae ist ausschließlich aus den unterirdischen Seen eines Höhlensystems bekannt und erregte das Interesse der Forscherinnen und Forscher des NHM Wien. Zum ersten Mal wurden die Forscherinnen und Forscher auf den Süßwasserfisch während der Arbeiten zur Erfassung der Fauna der Al Hoota Höhle aufmerksam, als diese 4,5 km lange und damit größte Höhle in der Region zur Schauhöhle ausgebaut wurde.
Erste DNA-Untersuchungen zeigten, dass Fische aus der Höhle sich genetisch isoliert von ihren sehenden Verwandten aus den Oberflächengewässern unterscheiden. Zusätzlich fand man heraus, dass sich die äußerlich sehr ähnlich erscheinenden, aber pigmentierten Oberflächenfische aus verschiedenen Gewässern, genetisch noch stärker voneinander unterscheiden. In weiterer Folge wurden viele dieser Populationen morphologisch (nach Struktur und Gestalt) und mittels DNA-Analyse im Detail untersucht. Dabei stellte sich heraus, dass sich die Fische verschiedener Populationen genetisch so stark unterscheiden, wie man es zwischen Arten erwarten würde. Diese genetische Differenzierung spiegelte sich jedoch nicht in körperlichen Unterschieden wider. Zwar sind die Populationen in ihrem äußeren Erscheinungsbild recht vielfältig, doch es gibt keine klaren Merkmale, anhand derer man die Populationen unterscheiden könnte.
Durch die Analyse mehrerer Gene konnte Mag. Sandra Kirchner, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Garra-Forschungsgruppe am NHM Wien, nachweisen, dass die Art Garra barreimiae tatsächlich vier verschiedene Arten repräsentiert. Derartige genetisch klar abgesicherte Arten, die sich in den äußeren Merkmalen nicht augenscheinlich voneinander unterscheiden, werden als „kryptische Arten“ oder „Zwillingsarten“ bezeichnet. Denn nicht alle Arten entwickeln im Laufe der Evolution auch zwangsläufig äußerlich sichtbare Unterschiede: Grundsätzlich beeinflussen Umweltbedingungen die Ausprägung von Merkmalen. Durch Auslese (Selektion) setzen sich erfolgreiche Merkmalsausprägungen bzw. Merkmalskombinationen im Laufe der Zeit durch. Im beschränkten Verbreitungsgebiet dieser fünf Arten herrschen allerdings durchwegs ähnliche Umweltbedingungen, die extremen Schwankungen unterliegen. Dies lässt wenig Spielraum für Abweichungen gut angepasster Merkmale. Durch längere geografische Isolation können sich so Populationen in Arten aufspalten.
Basierend auf dem heutigen Wissensstand können wir davon ausgehen, dass viele „kryptische Arten“ existieren, die aussterben bevor sie überhaupt entdeckt werden.
Mag. Sandra Kirchner, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Garra-Forschungsgruppe am NHM Wien
Große Regionen auf der Weltkarte sind noch nicht genügend erforscht, um eine zuverlässige Einschätzung der Artenvielfalt zu gewährleisten. Anhand der neu entdeckten, kryptischen Fischarten der Gattung Garra im Norden des Oman konnte beispielhaft gezeigt werden, wie die Biodiversität in vielen Regionen unterschätzt und damit auch „unterschützt“ d.h. gar nicht geschützt wird.
Dazu kommen stetig wachsende Bedrohungen durch den Menschen: Bauvorhaben, die wachsende Ausbeutung der (Grund-) Wasservorkommen, Versalzung und Kontamination der Böden durch Meerwasserentsalzung. Der Schutz von Arten und der Arten-Vielfalt ist unvermeidlich mit dem Schutz von natürlichen Lebensräumen verbunden. Die Entdeckung dieser kryptischen Arten zeigt uns erneut, dass Arten- und Biodiversitätsschutz als dynamische Prozesse zu sehen sind, die regelmäßig neu evaluiert werden müssen. Denn Ausgestorbene Arten kehren nie wieder zurück!
Diese Newsmeldung wurde mit Material Naturhistorischens Museum Wien via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.