Wachsblumen und ihre komplexe Verwandtschaft
Bio-News vom 25.08.2022
Vor rund 33 Millionen Jahren entstanden die Wachsblumen und eine Reihe mit ihnen verwandter Pflanzengattungen. Kurz darauf haben sie sich in drei unabhängige Entwicklungslinien aufgespalten, wie eine neue internationale Studie zeigt. Es entwickelten sich insgesamt 37 Gattungen und rund 740 Arten, die in den Tropen und Subtropen weltweit verbreitet sind. Erst die Verknüpfung herkömmlicher morphologischer Untersuchungen mit neuesten molekulargenetischen Analyseverfahren ermöglichte eine korrekte taxonomische Beschreibung und Zuordnung. In der Zeitschrift „Taxon“ sind die Forschungsergebnisse veröffentlicht.
Die im Oligozän entstandenen Wachsblumen bilden die nach dem englischen Gärtner Thomas Hoy genannte Pflanzengattung Hoya. Diese Gattung zählt – ebenso wie die ihr verwandten Gattungen – zur Gattungsgruppe (Tribus) der Marsdenieen, die ihrerseits der großen Pflanzenfamilie der Hundgiftsgewächse (Apocynaceae) angehören. Die Forscherinnen und Forscher aus Bayreuth, Singapur, Le Mont Dore (Frankreich, Neukaledonien), Brisbane (Australien) und Philadelphia (USA) haben die Evolution der Wachsblumen und ihrer komplexen Verwandtschaft jetzt erneut untersucht. Das Ergebnis: Die Marsdenieen lassen sich drei verschiedenen Entwicklungslinien zuordnen, die sich bereits vor mehr als 30 Millionen Jahren herausgebildet haben.
Publikation:
Liede-Schumann, S.; Reuss, S. J.; Meve, U.; Gâteblé, G.; Livshultz, T.; Forster, P. I.; Wanntorp, L.; Rodda, M.
Phylogeny of Marsdenieae (Apocynaceae, Asclepiadoideae) based on chloroplast and nuclear loci, with a conspectus of the genera
Taxon 71(4): 833-875 (2022)
DOI: 10.1002/tax.12713
Eine kleinere Entwicklungslinie umfasst nur wenige ursprüngliche – sogenannte reliktäre – Arten, die ausschließlich im südafrikanischen Raum und auf Madagaskar vorkommen. Die beiden anderen Entwicklungslinien hingegen sind mit jeweils rund 360 Arten weitaus reichhaltiger und haben eine völlig verschiedene biogeographische Geschichte. Die eine von beiden ist auf Südostasien und Pazifik-Inseln beschränkt: Zahlreiche verschiedene Arten sind heute in Australien sowie auf Neukaledonien und Neuguinea weit verbreitet; die neukaledonischen Arten sind in zwei Einwanderungswellen aus Australien gekommen.
Zu dieser Linie zählen die als Zierpflanzen beliebten Wachsblumen, aber beispielsweise auch die Färber-Schwalbenwurz (Marsdenia tinctoria). Die andere Entwicklungslinie breitete sich über die gesamten altweltlichen Tropen und Subtropen aus und erreichte vor etwa 21,5 Millionen Jahren auch das tropische Amerika. Von hier aus haben sich rund 130 Arten, darunter die als Heilpflanze bekannte Liane Cundurango (Ruehssia cundurango), über das Gebiet der heutigen Tropen ausgebreitet.
Die Entdeckung dieser drei Entwicklungslinien war nur möglich, weil zusätzlich zu morphologischen Untersuchungen, wie sie in der Pflanzensystematik seit langem etabliert sind, erstmals auch gezielte molekulargenetische Untersuchungen der Marsdenieen durchgeführt wurden. Dabei hat die pflanzensystematische Arbeitsgruppe an der Universität Bayreuth 171 der 740 Arten anhand von sieben verschiedenen Markern sowohl aus dem Chloroplasten- als auch aus dem Kerngenom analysiert. So konnten einige fehlerhafte Klassifizierungen aus früheren taxonomischen Studien korrigiert werden, die sich aufgrund der vielen Parallelentwicklungen im Blütenbau eingeschlichen hatten.
So haben sich weiße trichterförmige Blüten in Anpassung an die bestäubenden Nachtfalter mindestens fünf Mal unabhängig voneinander entwickelt. Weil solche Parallelentwicklungen früher nicht erkannt wurden, hat man einige Arten der Marsdenieen häufig einer falschen Gattung zugeordnet.
Die jetzt veröffentlichte Studie anerkennt und umschreibt 37 Gattungen, zwei davon werden erstmals pflanzensystematisch beschrieben. Hinzu kommen 26 Arten, bei denen die Gattungszugehörigkeit korrigiert werden konnte. „Für die korrekte pflanzensystematische Einordnung der Marsdenieen stellt unsere Untersuchung einen neuen Bestimmungsschlüssel zur Verfügung, der sich auf morphologische Merkmale stützt.
Für die sichere Gattungszuordnung einzelner Arten sind aber molekulargenetische Analysen zuweilen unumgänglich. Nur auf dieser Basis lässt sich zuverlässig klären, wie die Entwicklungen von Merkmalen innerhalb der verschiedenen Gattungen miteinander zusammenhängen – zum Beispiel, ob es sich um voneinander unabhängige Parallelentwicklungen oder um aufeinander folgende Entwicklungen in einem größeren evolutionären Zusammenhang handelt“, sagt Prof. Dr. Sigrid Liede-Schumann, Inhaberin des Lehrstuhls für Pflanzensystematik an der Universität Bayreuth.
Diese Newsmeldung wurde mit Material der Universität Bayreuth via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.