Wale beim gemeinsamen Fressen beobachtet
Bio-News vom 07.07.2022
Finnwale sind nach den Blauwalen die größten Wale der Welt – und der Mensch hat beide Arten nahezu ausgerottet. Nach dem Verbot des kommerziellen Walfangs im Jahr 1976 erholen sich die Bestände der langlebigen und langsam wachsenden Tiere: Forschende und Filmschaffende publizieren jetzt gemeinsam in der Fachzeitschrift Scientific Reports Videos und Fotos, die große Gruppen von bis zu 150 Südlichen Finnwalen im Weddellmeer in ihren historischen Futtergebieten zeigen – so viele wie nie zuvor mit modernen Methoden dokumentiert.
Finnwale haben eine wichtige Rolle für das Nährstoffrecycling, so dass auch andere Arten im antarktischen Ökosystem, wie der Krill, von der Bestandserholung profitieren könnten.
Publikation:
Helena Herr, Sacha Viquerat, Fredi Devas, Abigail Lees, Lucy Wells, Bertie Gregory, Ted Giffords, Dan Beecham, Bettina Meyer
Return of large fin whale feeding aggregations to historical whaling grounds in the Southern Ocean
Scientific Reports (2022)
DOI: 10.1038/s41598-022-13798-7
„Ich habe noch nie so viele Wale an einem Ort gesehen und war total fasziniert davon, diese riesigen Gruppen beim Fressen zu beobachten“, schwärmt Prof. Dr. Bettina Meyer, Biologin am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) und am Helmholtz-Institut für Funktionelle Marine Biodiversität, sowie Professorin an der Universität Oldenburg, die Co-Autorin der aktuellen Studie in der Fachzeitschrift Scientific Reports ist. Sie leitete von März bis Mai 2018 eine Expedition mit dem Forschungsschiff Polarstern, auf der Gruppen von 50 beziehungsweise 70 Südlichen Finnwalen (Balaenoptera physalus quoyi) beobachtet wurden.
Die Expedition erforschte unter anderem die Auswirkungen des Klimawandels auf den Antarktischen Krill. Krill ist die Basis des Nahrungsnetzes in der Antarktis; von den bis zu sechs Zentimeter langen Leuchtgarnelen ernähren sich neben Fischen und Pinguinen auch Robben und Wale. Ein Team um Studienerstautorin Dr. Helena Herr von der Universität Hamburg und ein Kamerateam der BBC nutzten auf der Expedition gemeinsam die Polarstern-Helikopter für wissenschaftliche Messflüge zur Zählung von Walvorkommen und zum Filmen. Bei 22 Einsätzen legte das Team insgesamt 3251 Kilometer zurück und zählte dabei 100 Finnwal-Gruppen, die aus ein bis vier Tieren bestanden. Auch abseits der Helikopterflüge hielt das Walforschungsteam Ausschau - und entdeckte dabei rund um die Elefanteninsel im Weddellmeer nahe der Antarktischen Halbinsel Gruppen von etwa 50 Südlichen Finnwalen, bei einer zweiten Gelegenheit sogar 70. „Ich bin direkt zu unserem Monitor geeilt, auf dem wir mittels akustischer Messverfahren sehen können, ob und in welchem Ausmaß sich Krillschwärme im Wasser befinden“, berichtet Bettina Meyer. „Tatsächlich konnten wir anhand der Daten Krillschwärme ausmachen und sogar sehen, wie die Wale den Krill gejagt haben.“
Die Wale fressen den Krill nicht nur, sie nutzen ihm auch: Die Ausscheidungen der Wale düngen den Ozean, denn die darin enthaltenen Nährstoffe wie das in der Antarktis limitierte Eisen sind für das Wachstum des Phytoplanktons (Kleinstalgen) im Wasser essentiell. Phytoplankton wiederum ist die Nahrung für Krill. „Wenn die Walpopulation größer wird, recyceln die Tiere mehr Nährstoffe und in der Folge kann der Südliche Ozean produktiver werden. So können mehr Algen wachsen, die ihrerseits über die Photosynthese Kohlendioxid aus der Atmosphäre aufnehmen und dadurch den CO2-Gehalt in der Atmosphäre senken“, erklärt Bettina Meyer.
Eine Erholung der Finnwal-Bestände scheint sich abzuzeichnen: Das Walforschungsteam und die BBC kehrte im Jahr nach der Polarstern-Expedition mit einem eigens gecharterten Schiff zur Elefanteninsel zurück und dokumentierte sogar bis zu 150 Tiere. „Auch wenn wir die Gesamtzahl der Finnwale in der Antarktis mangels synchroner Beobachtungen nicht kennen, es könnte ein gutes Zeichen sein, dass sich die Finnwal-Population in der Antarktis fast 50 Jahre nach dem Verbot des kommerziellen Walfangs erholt“, freut sich Bettina Meyer.
Hintergrund Weddellmeer
Das Weddellmeer ist das größte der rund 14 Randmeere des Südlichen Ozeans am antarktischen Kontinent. Seine Grenzen sind definiert durch die Küsten von Coatsland im Osten und Grahamland im Westen. Östlichster Küstenpunkt ist das Kap Norvegia an der Kronprinzessin-Martha-Küste des Königin-Maud-Landes, das den Nordpunkt des Riiser-Larsen-Schelfeises bei 12°18′ West bildet.[1] Östlich schließt sich die König-Haakon-VII.-See an. Als Nordgrenze des Weddellmeeres gilt der Atlantisch-Indische Rücken, ein unterseeischer Gebirgszug. Der südliche Teil ist von einem großen Schelfeis als schwimmender Teil des antarktischen Eisschildes bedeckt (Filchner-Ronne-Schelfeis), kleinere Schelfeise begrenzen die Küste im Osten (Riiser-Larsen-Schelfeis) und Westen (Larsen-Schelfeis).
Die Internationale Kommission zur Erhaltung der lebenden Meeresschätze in der Antarktis (CCAMLR) strebt ein Netzwerk von Meeresschutzgebieten (MPAs) im Südpolarmeer an. Die Europäische Union (EU) stellte im Jahr 2016 erstmals einen Antrag für ein MPA im Weddellmeer, dem atlantischen Sektor des Südpolarmeeres, unter CCAMLR vor. Die wissenschaftlichen Daten für diesen Vorschlag wurden von Expertinnen und Experten des Alfred-Wegener-Instituts zusammengetragen und ausgewertet. Der Antrag auf Weddellmeer-MPA Antrag als Refugium für kälteliebende Arten wird zwar von vielen Staaten unterstützt, bislang jedoch noch nicht angenommen.
Diese Newsmeldung wurde mit Material des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrums für Polar- und Meeresforschung via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.