Warum bauen Wüstenameisen höhere Nesthügel?



Bio-News vom 31.05.2023

Forschende des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie berichten in der Zeitschrift Current Biology, dass Wüstenameisen höhere Nesthügel bauen, um futtersuchenden Arbeiterinnen die Rückkehr ins Nest zu erleichtern, wenn andere visuelle Orientierungshilfen fehlen.

Forschende des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie berichten in der Zeitschrift Current Biology, dass Wüstenameisen bei Abwesenheit sichtbarer Orientierungshilfen durch die Erhöhung ihres Nesteingangs die Wahrscheinlichkeit erhöhen können, dass futtersuchende Nestgenossen schnell und sicher nach Hause finden.


Die Wüstenameise Cataglyphis fortis.

Publikation:


Freire, M., Bollig, A., Knaden, M.
Absence of visual cues motivates desert ants to build their own landmarks

Current Biology,

DOI: 10.1016/j.cub.2023.05.019



Besonders die Ameisenkolonien, deren Nester tief in der tunesischen Salzpfanne zu finden sind, sind auf die selbstgebauten Landmarken angewiesen. Wurde der Hügel am Nesteingang abgetragen, begannen sie sofort mit dem Bau eines neuen Nesthügels, es sei denn, die Forschenden stellten künstliche Orientierungshilfen auf. Dieses Phänomen fügt dem erstaunlichen Orientierungssinn der kleinen Wüstenbewohner eine weitere faszinierende Facette hinzu.

Wüstenameisen sind unübertroffene Meister der Orientierung. Sie leben in den Salzpfannen Nordafrikas, einer äußerst unwirtlichen Umgebung. Um Nahrung für ihre Nestgenossen zu finden, müssen futtersuchende Ameisen weit in die Wüste hineinlaufen. Wenn sie Futter, beispielsweise ein totes Insekt, gefunden haben, beginnt ihr eigentliches Problem: Wie finden sie in der überaus heißen und kargen Umgebung so schnell wie möglich in ihr Nest zurück?

„Die Wüstenameise Cataglyphis fortis zeichnet sich durch ihre bemerkenswerte Fähigkeit aus, sich selbst in den rauesten Umgebungen erfolgreich zu orientieren und nach Nahrung zu suchen, was sie zu einem hervorragenden Objekt für die Untersuchung der Feinheiten der Navigation macht. Mit einem angeborenen Navigationsmechanismus, der so genannten Wegintegration, nutzen diese Ameisen sowohl einen Sonnenkompass als auch einen Schrittzähler, um die von ihnen zurückgelegten Entfernungen zu messen. Darüber hinaus besitzen sie die Fähigkeit, sichtbare Landmarken und ortsspezifische Gerüche zu erlernen und zu nutzen. Wir glauben, dass dieser extrem raue Lebensraum im Laufe der Evolution zu einem Navigationssystem von unübertroffener Präzision geführt hat,“ fasst Marilia Freire, die Erstautorin der Studie, zusammen, was bislang über die erstaunliche Orientierungsleistung dieser kleinen Tiere bekannt ist.

Den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern war bei früheren Untersuchungen in Tunesien aufgefallen, dass die Nester in der Mitte der Salzpfannen, wo es kaum sichtbare Orientierungspunkte gibt, hohe Hügel an den Nesteingängen hatten. Im Gegensatz dazu, waren die Nesthügel in der Nähe der mit Büschen bewachsenen Ränder der Salzpfannen niedriger oder kaum vorhanden. Das Forschungsteam fragte sich daher schon länger, ob diese sichtbaren Unterschiede einen Zweck erfüllen und den Ameisen dabei helfen sollen, besser nach Hause zu finden. „Es ist immer schwer zu sagen, ob ein Tier etwas zielgerichtet tut oder nicht.

Die hohen Nesthügel in der Mitte der Salzpfannen hätten auch ein Nebeneffekt der unterschiedlichen Bodenstruktur oder der unterschiedlichen Windverhältnisse sein können. Entscheidend für unsere Studie war jedoch die Idee, die Hügel zu entfernen, einige Nester mit künstlichen Orientierungspunkten zu versehen und andere wiederum nicht, um dann zu beobachten, was passieren würde,“ erläutert Markus Knaden, Leiter der Projektgruppe Geruchsgesteuertes Verhalten in der Abteilung Evolutionäre Neuroethologie das Ziel der Untersuchung.

Für die Experimente folgten die Forschenden den Ameisen mit einem GPS-Gerät. So konnten sie die Ameisen auf ihrem Weg in die Salzpfanne und zurück nach Hause verfolgen. „Wir beobachteten, dass Wüstenameisen in der Lage sind, weit größere Entfernungen zurückzulegen als bislang berichtet. Die weiteste Strecke, die ein einzelnes Tier zurücklegte, war mehr als zwei Kilometer lang. Allerdings beobachteten die Forscher auch eine unerwartet hohe Sterblichkeitsrate. Etwa 20% der futtersuchenden Ameisen, denen sie folgten, fanden nach extrem langen Ausläufen nicht nach Hause zurück und starben vor unseren Augen, was den enormen Selektionsdruck für eine noch bessere Orientierung erklärt,“ sagt Marilia Freire.

Experimente, bei denen die Ameisen dank eines auf den Boden gemalten Gitternetzes während der letzten Meter zum Nest mit besonderer Genauigkeit verfolgt werden konnten, ergaben zweifelsfrei, dass die Nesthügel wichtige visuelle Orientierungshilfen sind. Wurden sie entfernt, fanden weniger Ameisen zurück ins Nest, während ihre Nestgenossen gleichzeitig damit begannen, die Nesthügel schnellstmöglich wiederaufzubauen. Platzierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hingegen künstliche Landmarken in Form kleiner schwarzer Zylinder in der Nähe der Nester, deren Hügel sie vorher abgetragen hatten, investierten die Ameisen nicht in den Bau neuer Hügel. Offenbar reichten die Zylinder als Orientierungshilfe aus.

In Ameisennestern herrscht Arbeitsteilung. Ameisen, die sich auf Futtersuche begeben, sind meist ältere und erfahrenere Nestmitglieder, während jüngere Ameisen mit dem Bau beschäftigt sind. Daher muss es einen Informationsaustausch zwischen beiden Gruppen geben. Wie das genau erfolgt, wissen die Forschenden noch nicht. „Eine Möglichkeit wäre, dass im Nest wahrgenommen wird, dass die Rate der Rückkehrenden sinkt, und infolgedessen Aktivitäten zum Bau des Nesthügels verstärkt werden,“ meint Marilia Freire.

Markus Knaden erforscht die Wüstenameisen schon seit 25 Jahren und ist immer wieder überrascht von ihren faszinierenden Fähigkeiten: „Trotz eines kleinen Gehirns lernen die Tiere visuelle und olfaktorische Landmarken. Darüber hinaus können sie entscheiden, welche Informationen für ihre Navigation nützlich sind und welche nicht. All dies war schon bekannt. Dass die Wüstenameisen jedoch sogar eigene Landmarken zur Orientierung bauen und sich nur dann für diesen Arbeitsaufwand entscheiden, wenn andere Orientierungshilfen fehlen, ist schon erstaunlich.“


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Max-Planck-Instituts für chemischen Ökologie via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.

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